Doch auch wenn Kulturpolitik als Politikfeld nicht deutlich nach außen dargestellt und artikuliert wird, wird auf der europäischen Ebene Kulturpolitik gestaltet. Wie auf der nationalen Ebene werden auch in Europa die Weichen für das kulturelle Leben in den Politikfeldern gestellt, die zunächst kulturfern erscheinen. Das Urheberrecht und das Steuerrecht sind die Politikbereiche, in denen wirkungsvoll Kulturpolitik gestaltet wird.
Kulturpolitik gehört in der Regel nicht zu den Themen, die gleich zu Beginn der Agenda europäischer Politik stehen. Im Mittelpunkt europäischer Politik stehen vielmehr Fragen der Agrarpolitik, des Verbraucherschutzes, der gemeinsamen Wirtschaftspolitik oder Ähnliches. In den Diskussionen um den weiteren Europäischen Einigungsprozess hat Kulturpolitik bislang einen geringen Stellenwert. Zwar wird vielfach die Kultur als das verbindende Glied des gemeinsamen Europäischen Hauses beschworen, doch spielt die europäische Kulturpolitik sowohl als Politikfeld als auch unter förderungspolitischen Gesichtspunkten in der Europäischen Union eine untergeordnete Rolle. Doch auch wenn Kulturpolitik als Politikfeld nicht deutlich nach außen dargestellt und artikuliert wird, wird auf der europäischen Ebene Kulturpolitik gestaltet. Wie auf der nationalen Ebene werden auch in Europa die Weichen für das kulturelle Leben in den Politikfeldern gestellt, die zunächst kulturfern erscheinen. Das Urheberrecht und das Steuerrecht sind die Politikbereiche, in denen wirkungsvoll Kulturpolitik gestaltet wird.Verankerung der Kulturpolitik
Auch wenn Europa sich auf einen gemeinsamen kulturellen Kanon bezieht, ist die Kulturpolitik in den einzelnen europäischen Staaten sehr unterschiedlich verankert: von der auf die Zentrale Paris ausgerichteten Kulturpolitik in Frankreich zur föderalen Kulturpolitik in der Bundesrepublik, von der im deutschen Urheberrecht fixierten starken Position des Urhebers zu den britischen Vorstellungen einer Stärkung von Produzenten, von der vornehmlich staatlichen Kulturfinanzierung in der Bundesrepublik zu der zu einem erheblichen Teil auf privaten Mitteln beruhenden Kulturfinanzierung in Großbritannien.
Die Diskussionen um das Steuerrecht und um das Urheberrecht nehmen aufgrund dieser unterschiedlichen Traditionen und damit auch Positionen in der europäischen Politik einen breiten Raum ein.
Gerade die durch die Europäische Union forcierte Weiterentwicklung der Informationsgesellschaft mit den entsprechenden Förderprogrammen für neue Technologien haben, auch wenn sie nicht unter der Überschrift Kulturpolitik stattfinden, wesentliche Auswirkungen auf das kulturelle Leben, auf die Produktions- und Verwertungsbedingungen von Künstlern und Künstlerinnen, auf die Marktposition von Verwertern. Die Debatten um die „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft“ hat gezeigt, dass die Interessen der verschiedenen Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich sein können. Es prallen auf europäischer Ebene nicht nur die unterschiedlichen Positionen der verschiedenen Gruppen des kulturellen Lebens, also Produzenten, Verwerter und Vermittler aufeinander, sondern zusätzlich verschiedenartige kulturelle Traditionen.
Eine abgestimmte Europäische Kulturpolitik ist vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Interessenkonstellationen bislang nicht zu erkennen. Für die bis zur Neubildung der Kommission im letzten Jahr für Kultur zuständige Generaldirektion X, in der eine der Hauptaufgaben die Information und Öffentlichkeitsarbeit war, war Kultur ein zusätzlicher Bereich, der zwar mit wohlklingenden Projekten wie Kaleidoskop, Ariane und Raphael für Aufmerksamkeit sorgte, deren Mittelausstattung jedoch im Vergleich zur bundesdeutschen staatlichen Kulturförderung lächerlich gering war. – So konnten mehr Kulturprojekte und
-vorhaben über den Europäischen Strukturfonds gefördert werden als aus den Kulturmitteln. Auch in der Akzeptanzförderung neuer Technologien wurden von der für Technologiepolitik zuständigen Generaldirektion stärkere Akzente gesetzt als es aus EU-Kulturfördermitteln allein vom Volumen her je möglich gewesen wäre. – Es wird sich erweisen müssen, ob die neue Kulturgeneraldirektion, in der die Bereiche Bildung und Kultur zusammengefasst sind, neben der Durchführung des neuen Kulturprogramms Kultur 2000 (siehe hierzu den Beitrag von Sabine Bornemann in diesem Dossier) kulturpolitische Akzente setzen wird.
Deutsche Interessen
Für die deutsche Kulturszene hat sich seit der Berufung von Michael Naumann zum Staatsminister beim Bundeskanzler, Beauftragter der Bundesregierung für die Angelegenheiten der Kultur und der Medien, eine entscheidende Änderung ergeben. Auch die Bundesrepublik ist nun mit der Stimme eines Ministers im EU-Kulturministerrat vertreten. Dies war für den Deutschen Kulturrat eines der wichtigen Ziele bei der Diskussion um die Einführung einer solchen Position in der Bundesregierung im Bundestagswahlkampf 1998.
Doch geht es wie in Europa auf der nationalen Ebene nicht nur darum, die für Kultur originär Zuständigen von den notwendigen Reformen zu überzeugen. Ebenso muss bei denjenigen, die der Kultur eher fern stehen, immer wieder für die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur gefochten werden. Der immer noch nicht ausgestandene Streit um die Buchpreisbindung ist ein gutes Beispiel dafür, dass kulturfremde Politikbereiche in entscheidendem Maße die Kulturwirtschaft und das kulturelle Leben beeinflussen. Das heißt konkret, dass die Kulturverbände neben der für Kultur zuständigen Generaldirektion auch die Politiken der anderen Direktionen genau beobachten und gegebenenfalls intervenieren müssen.
Erschwert werden diese Aktivitäten derzeit noch dadurch, dass es auf der europäischen Ebene wenig Verbandsstrukturen gibt, die mit den deutschen vergleichbar sind. Zwar gibt es eine Reihe von europäischen Zusammenschlüssen aus dem Kulturbereich,
u die branchen- oder bereichsspezifische Fragen gegenüber der Kommission oder dem Europäischen Parlament vertreten, doch sind diese Strukturen noch nicht so gewachsen wie die bundesdeutschen. Eine Ausnahme stellt der Europäische Musikrat als Sektion des Internationalen Musikrates dar (siehe hierzu das Interview mit Marlene Wartenberg auf dieser Seite oben).
Es gilt auch im Hinblick auf das Verbandswesen und die Vertretung von Interessen zu berücksichtigen, dass die Interessenvertretung in den verschiedenen europäischen Mitgliedsstaaten auf unterschiedlichen Traditionen beruht.
Es hat sich – vielleicht auch daher – auf dem Brüsseler Parkett eine Form der Interessenvertretung und -artikulation herausgebildet, die der deutschen eher fremd ist. Auf der EU-Ebene sind zahlreiche Berater und Lobbyisten tätig, die nicht so sehr einem Verband als vielmehr einem bestimmten Auftrag verpflichtet sind. Die Fachspezifik hat also einen höheren Stellenwert als die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Zusammenschluss und damit die Verpflichtung auf die interne Meinungsbildung in diesem Zusammenschluss. Diese Form der Interessenartikulation weicht von den deutschen Traditionen ab. Deutsche Verbände können daher auf der europäischen Ebene zumindest bisher ihre Mittlerfunktion kaum erfüllen. Auch haben sich auf der europäischen Ebene zahlreiche Netzwerke gebildet, die teils formell, teils informell zusammenarbeiten und die Interessen gegenüber der Kommission und dem Europäischen Parlament artikulieren. Bei diesen Netzwerken wird sich erweisen müssen, inwiefern sie die Anforderungen, die an demokratisch legitimierte Entscheidungen gestellt werden, in der Zukunft erfüllen können oder wollen.
Kulturelle Wurzel als Antrieb
Doch ist europäische Kulturpolitik oder auch Kulturpolitik in Europa mehr als die Vertretung der Interessen der bundesdeutschen oder auch europäischen Kulturszene. In Europa wird sich auf die gemeinsamen kulturellen Wurzeln des – zumeist christlichen – Abendlandes berufen. Es werden gemeinsame Traditionen angeführt. Zugleich wird stets betont, dass im Zusammenhang mit dem zusammenwachsenden Europa die Regionen an Bedeutung gewinnen werden. Die Regionen sind aber mehr als Nischen mit einem spezifischen Lokalkolorit. Die Regionen und vielmehr noch die Staaten leben auch durch eine gemeinsame Sprache. Die Sprache ist unser unmittelbares Verständigungsmittel. Sie ist zugleich ein Ausdrucksmittel der Kunst. Sprache ist mehr als die Aneinanderreihung von Worten zum Transport eines bestimmten Inhalts, mit der Sprache werden Zwischentöne, Stimmungen und das Zwischen-den-Zeilen-Stehende weitergegeben.
Auf der europäischen Ebene haben sich in der unmittelbaren Kommunikation zwei Sprachen durchgesetzt: Englisch und Französisch. Deutsch als die Sprache, die in zwei Mitgliedsstaaten der Europäischen Union als Muttersprache gesprochen wird, spielt dagegen eine untergeordnete Rolle. Die weiter voranschreitende Bevorzugung der beiden genannten Sprachen wird nicht ohne Folgen für die Gesellschaft und die Kultur bleiben.
Sprache ist lebendig. Stets stirbt ein Teil der Sprache ab, weil sie keine zeitgemäße Ausdrucksform mehr ist. Im gleichen Atemzug gewinnt die Sprache durch neue Ausdrücke und Wörter. Auch steht eine lebendige Sprache immer im Kontakt mit anderen Sprachen und übernimmt Wörter sowie Ausdrucksweisen. Doch besteht ein Unterschied darin, ob es einen wechselseitigen Austausch gibt oder ob eine Sprache durch die Bevorzugung anderer an Bedeutung verliert und schließlich verdrängt wird. Es steht zu hoffen, dass die fehlende deutsche Übersetzung im Rahmen der Ministerratstreffen bei der finnischen EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 1999 die Aufmerksamkeit für die Bedeutung der deutschen Sprache im Konzert der europäischen Sprachen geweckt hat und die Diskussion um eine aktive Sprachpolitik beginnt.
Das Europa der verschiedenen Kultur kann durch den Austausch und den Streit um Positionen nur gewinnen. Die Europäische Kulturpolitik muss die unterschiedlichen Traditionen der europäischen Mitgliedsstaaten berücksichtigen. Der kulturelle Austausch wird nur dann erfolgreich sein, wenn die jeweils eigene Position und Sprache erkennbar bleibt.