„Jedem Kind ein Instrument“, dieser Titel formuliert ein Programm und mehr: Ein Grundrecht. Dass Kinder in der Schule das Spielen eines Musikinstruments genauso selbstverständlich lernen können wie Lesen und Schreiben, ist ein Angebot, das dem chronisch vernachlässigten musischen Unterricht eine neue, breite Offensive verschafft.
An der Musikschule Bochum 2003 mit Unterstützung der Zukunftsstiftung Bildung in der GLS Treuhand gegründet, wurde „JeKi“ 2007, gefördert vom Land Nordrhein-Westfalen und der Kulturstiftung des Bundes, als Kooperationsprojekt der Europäischen Kulturhauptstadt Ruhr 2010 entwickelt und auf das ganze Ruhrgebiet ausgedehnt: 2010/2011, vier Jahre nach dem Start, nahmen 641 Grundschulen in 42 Kommunen daran teil, 31 150 Erst-, 14 621 Zweit-, 6001 Dritt- und 2341 Viertklässler — Tendenz steigend. „JeKi“ ist die wichtigste bildungspolitische Initiative, die in diesem Jahrhundert von Nordrhein-Westfalen ausgegangen ist, viele Bundesländer haben sie aufgegriffen und abgewandelt. Im ersten Schuljahr werden die Instrumente vorgestellt, die Kinder probieren sie aus und wählen sich eines aus, im zweiten bekommen sie es als kostenlose Leihgabe und erhalten einmal in der Woche Unterricht in kleinen Gruppen mit durchschnittlich fünf Teilnehmern, der im dritten und vierten Jahr fortgeführt und um das gemeinsame Musizieren im Schulorchester ergänzt wird. Die Teilnahmegebühr beträgt im zweiten Schuljahr 20 Euro, im dritten und vierten Schuljahr 35 Euro monatlich, Kinder aus sozial schwachen Familien werden befreit.
Im Schuljahr 2015/16 wurde das Programm auf ganz Nordrhein-Westfalen (und damit auf 150 Städte) ausgedehnt und das Konzept verändert: Aus „JeKi“ wurde „JeKits“ – „Jedem Kind Instrumente, Tanzen, Singen“ und die Stiftung mit Sitz in Bochum entsprechend umbenannt. Jede teilnehmende Schule muss sich für einen der drei Schwerpunkte entscheiden: 2016/17 blieb die große Mehrheit von 639 Schulen bei Instrumenten, nur 94 boten Tanzen, 81 Singen an. Doch während die Teilnehmerzahl mehr als verdreifacht wurde, blieb der Etat (von 10,6 Millionen Euro) unverändert. Verflachung des Programms war zwangsläufig die Folge: Die Förderung wurde von vier auf zwei Jahre halbiert.
Das Vorgänger-Programm „JeKi“ läuft 2017/18 aus; das Angebot ins dritte und vierte Jahr fortzuführen, ist fortan Aufgabe der Kommunen, von denen die meisten verschuldet sind und auf Gebühren nicht verzichten können. So wird der kulturpolitische Ansatz geschwächt, wenn nicht torpediert: „Das ist zu kurz, das ist „rausgeschmissenes Geld“, zitiert die „waz“ die Lehrerin einer Essener Grundschule, die ungenannt bleiben möchte. Die Neuausrichtung stößt bei den Leitern der Musikschulen im Ruhrgebiet auf einhellige Kritik. Dabei erkennen sie an, dass, so Volker Gerland, Leiter der Musikschule Dortmund, „‚JeKits‘ auch ein Zeichen politischen Willens zur Stärkung der musikalischen Bildung ist“. Doch durch die Verkürzung der Landesförderung, so Gerland gegenüber der nmz, „fällt in den meisten Kommunen die hundertprozentige Befreiung für sozial Schwächere im 3. und 4. Schuljahr weg. Wer weitermacht, muss jetzt zahlen, in Dortmund fünfzig Prozent.“ Viele Familien gingen da nicht mit: „Jammerschade, denn wir hatten es endlich geschafft, dass auch Kinder aus finanzschwachen und häufig bildungsfernen Familien dabeibleiben.“
Auch habe die Finanzierungsformel, die sich nun auf einen Schnitt von sechs (vorher fünf) Schülern pro Gruppe stützt, dazu geführt, dass viele Instrumente nicht mehr vertreten sind: „Wenn die Kommune nicht die Möglichkeit hat, die Gruppe auf eigene Kosten zu verkleinern, haben Klarinette, Trompete, Posaune, Horn, Fagott oder Oboe kaum noch eine Chance,“ bedauert Gerland. Die Ressourcen müssten jetzt an der schon knappen Ausstattung der Grundschulen orientiert werden, was zur Folge habe, „dass es für die sogenannten Behinderten, die beim Musizieren genauso viel Freude entwickeln, nicht für eine sinnvolle Förderung reicht“. Johanna Schie, Leiterin der Musik- und Kunstschule Duisburg, ergänzt: „Wir befürchten, dass das 2. Schuljahr ein verlängerter ‚Schnupperkurs‘ wird; die Motivation der Lehrkräfte steigert das nicht gerade.“ Mit den besonderen Problemen einer kleineren Kommune hat Peter Brand, Leiter der Musikschule Hattingen, zu kämpfen: „Bei einzügigen Grundschulen haben wir das Problem, dass wir bei einer Mindestzahl von sechs Teilnehmern keine Verschiedenheit von Instrumenten mehr anbieten können. Das Programm verliert an Attraktivität und wird nicht mehr gewählt.“
Die „JeKits“-Stiftung sieht das erwartungsgemäß anders: „Für 75 Prozent der ‚JeKi‘-Kinder war das Programm auch damals schon zweijährig“, sagt ihre Sprecherin, „die Instrumentenvielfalt ist bei ‚JeKits‘ erhalten geblieben.“ Die Zielsetzung aber habe sich geändert: „Herzstück von ‚JeKits‘ ist das gemeinsame Musizieren und Tanzen von Anfang an.“ Auf dieser Linie argumentiert auch Andreas Bialas, kulturpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag: „Wir haben alle Kinder im Fokus. Eben nicht nur die zehn Prozent Verbleibenden. Spaß und gemeinsames Tun, nicht eine rein fachliche Qualifizierung am Instrument sind für uns handlungsleitend“, sagte Bialas der „waz“. Kulturförderung nach Effizienzkriterien: Als sei, wenn zehn Prozent der Kinder ins vierte Jahr gehen, ein zu geringer Anteil; als würde, wer vorher aussteigt, nicht auch etwas Bleibendes mitnehmen. – „Dass ausgerechnet die rot-grüne Landesregierung das Programm ändert und zu Lasten der Schwächeren umschichtet, ist ein Rückschritt“, kritisierte der Leiter der Musikschule Bochum, Manfred Grunenberg, der „JeKi“ erfunden und der Stiftung von 2007 bis 2011 vorstand, vor der Landtagswahl. Die künftige, voraussichtlich schwarz-gelbe Landesregierung, die den Landeskulturetat jährlich um 20 Millionen Euro aufstocken will, könnte auch das korrigieren und das Projekt, das sie während der Amtszeit von Jürgen Rüttgers (2005 bis 2010) mit auf den Weg gebracht hat, in seiner Substanz sichern und landesweit ausbauen.