In Zusammenarbeit mit dem Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik der Justus-Liebig-Universität Gießen fand die jährliche Arbeitstagung des Arbeitskreises Studium Populärer Musik e.V. zum Schwerpunktthema „Keiner wird gewinnen: Populäre Musik im Wettbewerb“ im herbstlich anmutenden Schloss Rauischholzhausen bei Marburg statt.
Auch wenn die interdisziplinären Tagungen turnusgemäß jährlich abgehalten werden, so kann bei der 15. Arbeitstagung von einer ganz besonderen gesprochen werden: Der Arbeitskreis Studium Populärer Musik feiert dieses Jahr sein 20-jähriges Bestehen. Diesem wurde in der zentralen Mitgliederversammlung ausgiebig gehuldigt, und es war äußerst interessant, den Gründungsmitgliedern Alenka Barber-Kersovan (Hamburg), Ekkehard Jost (Gießen), Winfried Pape (Gießen), Fred Ritzel (Oldenburg) und Helmut Rösing (Hamburg) bei ihren spontanen Ausführungen zur Gründung und Entwicklung des Vereins zu lauschen. Besonders amüsant wirkte Helmut Rösings spätes Geständnis, mit Bezug auf Tucholsky nie einen Verein gründen zu wollen. Gut, dass es der systematische Musikwissenschaftler mit seinem Vorsatz nicht ganz so genau nahm.
Der Arbeitskreis hat es sich in den ersten 20 Jahren zur Aufgabe gemacht, die aufregenden und oft aufgeregten Felder der Popmusik wissenschaftlich in Theorien, Methoden und Geschichten anzugehen, um dieses in der Universitätslandschaft zu etablieren. Dabei wurde stets großer Wert auf eine tolerante Diskussionsmentalität gelegt, die Wissen und Anwendung vor akademischer Hierarchie platziert. Dieser Eindruck wurde in den lebhaften Debatten zu den zahlreichen Vorträgen an den drei Tagungstagen bestätigt. Entgegen der üblichen Rituale bei Tagungen drehte sich in Schloss Rauischholzhausen der Diskurs erfreulich unspektakulär um das eigentlich Wesentliche, das Inhaltliche.
Neben dem Schwerpunktthema zum Wettbewerblichen in der Popmusik gab es am ersten Tag einige freie Vorträge, von denen Winfried Pape Anmerkungen zur Gehirnforschung in Bezug auf Gehirn und Musik hervorgehoben seien, schloss Pape hier doch an die derzeit großen Diskussionen zwischen Geistes- und Naturwissenchaften an. Pape bezog sich auf das jüngst von namhaften Hirnforschern um G. Roth und W. Singer publizierte Manifest und plädierte für eine verstärkte gegenseitige Zusammenarbeit der Musikwissenschaften mit den Hirnforschern.
Die fachübergreifende Attitüde des ersten Tages zog sich auch am zweiten Tag konsequent herüber in das Schwerpunktthema „Keiner wird gewinnen: Populäre Musik im Wettbewerb.“ In seinem grundlegenden Vortrag „Kunst und Konkurrenz. Die Geschichte des Wettbewerbs in der Musik“ lieferte Dietrich Helms (Dortmund) ausführliche Hintergründe zu Wettbewerben und Konkurrenz in der (Pop)Musik. Helms’ zentrale These war, dass sich solche gesellschaftlichen Bewegungen immer dann gründen, wenn das Funktionieren musikalischer Kommunikation gefährdet scheint, und zwar von den Agonen des antiken Griechenlands bis zu heutigen Fernsehformaten wie „Deutschland sucht den Superstar (DSDS)“.
Nach weiteren übergreifenden Beiträgen zum Wettbewerb in der populären Musikszene aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg von Fred Ritzel und zur Entwicklung der wissenschaftlichen Medienkritik von Christoph Jacke knüpften einige Vorträge an Helms’ vormittäglichen Gedanken an, in dem vor allem heutigen Medien-Musikwettbewerben wie „DSDS“ Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Kai Lothwesen und Daniel Müllensiefen (Hamburg) etwa haben in einer aufwendigen empirischen Studie die Wahrnehmung von Musikstars bei jugendlichen Rezipienten untersucht und anhand von Befragungen und qualitativen Inhaltsanalysen musik-, medien- und kommunikationswissenschaftliche Aspekte integriert. Dabei ergab sich eine offensichtliche Fähigkeit zur Unterscheidung der Rezipienten zwischen „echten“ Musikstars und Casting-Personen. Auch Ralf von Appen (Gießen) nahm „DSDS“ unter die musiksoziologische Lupe und analysierte die Bewertungskriterien der „DSDS“-Jury um Dieter Bohlen.
Neben den starken Verflechtungen zwischen Massenmedien, Musikindustrie und Popmusik im Wettbewerb, wie sie ferner unter anderem in Michael Webers (Wien) Vortrag zur österreichischen Vorausscheidung zum Grandprix der Volksmusik 2004, Marc Pendzichs (Hamburg) Untersuchungen zu Coverversionen und Hit-Recycling oder Carsten Heinkes (Dortmund) Ausführungen zu den brasilianischen TV-Musikfestivals farbig dargestellt wurden, sei betont, dass es auf der Tagung auch Beiträge zu musikpädagogischen Gesichtspunkten von Wettbewerb, Konkurrenz und Lernen wie etwa von Anja Herold (Bremen) gab.
Dass das Thema Wettbewerb eine immer stärkere gesamtgesellschaftliche Bedeutung von Schulausbildung bis zu Medienformaten und -inhalten erlangt, dürfte auf der 15. Arbeitstagung des Arbeitskreises Studium Populärer Musik e.V. deutlich geworden sein: Tagungsergebnisse werden in der nächsten Nummer der „Beiträge zur Popularmusikforschung“ veröffentlicht.
Besonders auffallend war die ertragreiche Diskussionsfreudigkeit von Musikwissenschaftlern, Musikpädagogen, Soziologen, Medien- und Kulturwissenschaftlern, die diese Tagung zu einem erkenntnisreichen Ereignis abseits eingefahrener wissenschaftlicher Diskurse machte. Bleibt zu hoffen, dass die Popmusikwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in den nächsten 20 Jahren weiter so innovativ arbeiten, dann gibt es nur Gewinner und keine Verlierer.