Berlin - Auch 30 Jahre nach dem Mauerfall hinken Orchester in Ostdeutschland vollen Tarifgehältern hinterher. Nach schwierigen Jahren habe sich aber die Lage an einigen Stellen konsolidiert. «Viele Orchester in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Brandenburg können wieder Tarifgehälter zahlen oder sind zumindest auf dem Weg dorthin», sagte der Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung (DOV), Gerald Merstens, am Dienstag in Berlin.
Nach der Wiedervereinigung starteten Orchester im Osten nach Angaben Mertens' bei etwa 60 Prozent. Gründe waren unter anderem Fusionen zahlreicher Orchester und damit verbundener sozialverträglicher Stellenabbau, den verbliebene Orchestermitglieder mitfinanzierten. Der Öffentliche Dienst im Osten ist seit 2010 auf Westniveau.
Zuletzt konnten laut DOV-Zahlen Orchester in Halle, Halberstadt, Frankfurt (Oder), Neubrandenburger, Görlitz, Chemnitz, Freiberg oder Sonderhausen zu vollen Tarifgehältern aufschließen, für Plauen-Zwickau steht dies an. Annäherungen gibt es für Klangkörper in Greifswald/Stralsund, Aue, Riesa/Radebeul, Greiz Reichenbach, Böhlen und Bad Lausick.
Einen deutlichen Anstieg von neun Prozent verzeichnete die Orchestervereinigung mit 15 078 Veranstaltungen. Darunter waren musikpädagogische Veranstaltungen etwa für Schüler, Kinder oder Jugendliche mit 6325 erstmals stärker als die noch 5557 Sinfonie- und Chorkonzerte.
Die Zukunft in Orchestergräben und auf Konzertbühnen ist aus DOV-Sicht weiblich. Aktuell sitzen nach einer Erhebung der Gewerkschaft zu 40 Prozent Frauen in den Orchestern. Allerdings schränkte die Vereinigung kurz vor dem Weltfrauentag am 8. März ein: «Leider gilt noch immer: Je berühmter ein Orchester, desto geringer die Frauenquote.»
Zur Entwicklung verwies die Orchestervereinigung auf die Alterspyramide. Männer seien besonders stark vertreten in der Altersgruppe von 50 Jahren an. Dagegen sind zwischen 25 und 45 Jahren Frauen in der Mehrheit. «Da es mehr weibliche Nachwuchsmusikerinnen gibt, wird der Frauenanteil in den Berufsorchestern weiter steigen.» Streichinstrumente sind bereits frauendominiert. Bei Pauken, Schlagzeug oder Blechbläsern sind Männer weiter in der Überzahl.
Weiblichen Nachholbedarf gibt es nicht nur in Spitzenorchestern, sondern auch bei Führungspersonen. Bei Konzertmeistern der ersten Violine ist nur ein Drittel weiblich. Beim Solo-Cello besetzen Frauen nur ein Fünftel der Positionen.
Ein Gleichstand ist bereits gesichert: die Tarifverträge unterscheiden nicht zwischen den Geschlechtern. Die Vereinigung sieht deswegen «im Vergleich zu anderen Feldern des Kultursektors und vielen Wirtschaftszweigen keinen Gender Pay Gap».
[update, 6.3.]
ergänzend dazu die Pressemeldung der DOV:
Berufsorchester: immer mehr Veranstaltungen für neues Publikum
DOV-Konzertstatistik: Musikvermittlung ist weiter im Aufwind
Berlin – Die deutschen Berufsorchester und Rundfunkklangkörper haben ihre Aktivitäten zur Ansprache neuer Publikumsgruppen weiter ausgebaut. Die Deutsche Orchestervereinigung legte auf ihrer Jahresmedienkonferenz die Ergebnisse der bundesweiten Konzertumfrage 2017/2018 vor. Musikpädagogische Aktivitäten wie zum Beispiel Instrumentenpräsentationen, Kammermusikauftritte und Workshops in Schulen nahmen in den vergangenen zwei Jahren mit über 6.000 Veranstaltungen um rund 20 Prozent zu. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Kinder-, Jugend-, Familien- und Schülerkonzerte um mehr als 25 Prozent auf 2.863. Im Gegenzug ging die Zahl normaler Sinfoniekonzerte zurück.
„Die Orchester gehen mit immer mehr Angeboten immer differenzierter auf neues Publikum zu“, sagt Gerald Mertens, Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung. „Damit setzt sich der erfreuliche Trend der vergangenen Jahre kraftvoll fort. Mit dem intensiven Ausbau der Musikvermittlungsaktivitäten nehmen die Orchester nicht nur ihren Kulturauftrag wahr, sondern verstärkt auch einen Bildungsauftrag.“ Insgesamt hat sich nach schwierigen Jahren die Lage vieler Orchester konsolidiert. „Viele Orchester in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Brandenburg können wieder Tarifgehälter zahlen oder sind zumindest auf dem Weg dorthin“, sagt Mertens. „Nachholbedarf gibt es in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern. Auch in Bayern und Niedersachsen ist die Finanzierung einzelner Orchester noch verbesserungsbedürftig.“
Für Ende des Jahres 2019 warten die Orchester auf die Entscheidung der UNESCO zur Aufnahme der deutschen Orchester- und Theaterlandschaft auf die Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit. Mertens: „Die Vielfalt von Orchestern, Rundfunkklangkörpern und Theatern in Deutschland ist weltweit einzigartig. Trotz ihrer 500-jährigen Tradition sind sie bis heute wandlungsfähig und innovativ.“