Wer heuer die Gesprächsrunden im nmz-TV-Studio auf der Frankfurter Musikmesse verfolgte, konnte sich bei entsprechender Auswahl und Ausdauer mögliche Stationen eines Komponistenlebens vergegenwärtigen.
Ein solches könnte in einer Kompositionsklasse für Schüler beginnen, wie sie Gegenstand der Diskussion zum Thema „Musik erfinden“ war, könnte durch einen „Talentscout“ oder „Trüffelsucher“ – solche waren am München-Tag anwesend – gefördert werden, könnte dann verlaufen wie die Karrieren eines Johannes Kreidler oder Vykintas Baltakas (beide befragt von Andreas Kolb) und schließlich bei der Frage landen, die Barbara Haack an Helga Pogatschar und Klaus Doldinger stellte und die auch durch eine Aufnahme in die „Edition zeitgenössischer Musik“ (deren 25. Jubiläum galt es zu begehen) nicht obsolet wäre: „Denn wovon lebt der Komponist?“
Zwischendurch hätte sich dieses Komponistenleben freilich auch in die Niederungen oder – je nach Perspektive – Höhen der Musikvermittlung zu begeben. Darüber, wie es um diese im Bereich der Neuen Musik bestellt ist, diskutierten zum Messeauftakt Bojan Budisavljević vom Netzwerk Neue Musik, Olaf Wegener vom Deutschen Musikrat und die beiden Komponisten Peter Köszeghy und Johannes Hildebrandt. Dessen Kritik an den Netzwerk-Aktivitäten fiel dann im Vergleich zu früheren Äußerungen aber eher moderat aus, und auch die Einwände Köszeghys konnte Budisavljevic mit Verweis auf eine erfolgreiche Öffnung der Szene etwa in Kiel und Augsburg entkräften. Schnell war man sich im Übrigen einig, dass die Ursachen für das – zahlreichen erfreulichen und ertragreichen Initiativen zum Trotz – nach wie vor bestehende Nischendasein zeitgenössischen Musikschaffens tiefer liegen und, wie so manches im deutschen Musikleben, auch etwas mit der musikalischen Bildung zu tun haben könnten.
Bevor das erwähnte Panel zum Thema Komponieren mit Schülern genau hier wertvolle Denkanstöße zu geben vermochte, rechnete Johannes Kreidler mit dem klassischen Musikbetrieb ab, indem er ihn ironisch in Schutz nahm: Kritik am philharmonischen Schönklang zu betreiben, sei obsolet. Der sterbe aus und müsse nicht mehr kritisiert werden. „Die Steifheit des Klassikbetriebs ist ja schon fast pornografisch“, so Kreidler weiter; er sei froh, dass es Alternativen gebe, neue Musik, die keine neue klassische Musik sei, „sondern einfach neue Musik, ästhetisch und technisch avanciert, mit einer gewissen Eigenständigkeit.“
Hochkarätig besetzt war schließlich die von nmz-Chefredakteur Andreas Kolb moderierte Runde anlässlich der Veröffentlichung des Buches „Komponieren mit Schülern. Konzepte – Förderung – Ausbildung“ (ConBrio). Neben Mitherausgeber Philipp Vandré gingen die Komponistin Violeta Dinescu, die Hochschulprofessoren Gerhard Müller-Hornbach und Matthias Schlothfeldt sowie der Komponist und Schulmusiker Matthias Handschick der Frage nach, was Kompositionsunterricht für Schülerinnen und Schüler leisten könnte.
Philipp Vandré nannte drei Teilbereiche, in die das Themenfeld differenziert werden müsste: zum einen „die Förderung eines schöpferischen Zugangs zur Musik, das Erlebnis Musik durch eigenes Tun, durch Entdecken des Materials“, weiterhin „die Vermittlung theoretischer Inhalte durch kreative Gestaltungsarbeit oder Komposition“ und schließlich die „Förderung von kompositorischen Talenten“.
Die Bedeutung des zweiten, vornehmlich auf die Schulmusik zielenden Aspekts bekräftigte Matthias Schlothfeldt, der auf ungenutzte Potenziale verwies, aber deutlich machte, dass es hier nicht darum gehen könne, Komponisten auszubilden; es gehe vielmehr darum, „sich wie Komponisten zu verhalten, um Verständnis für Musik und das Bewusstsein zu wecken, dass sie von Menschen für Menschen gemacht“ sei. Gerhard Müller-Hornbach ergänzte: „Im Kunstunterricht ist es selbstverständlich, dass die Schüler selbst malen. Da fragt keiner, ob die alle van Goghs werden sollen. Es gibt in der Musik eine Angst davor, dass es etwas Geniales sein muss. Dabei ist es etwas Selbstverständliches, Musik zu erfinden. Es eröffnet Kommunikation auf eine besondere Weise.“ Matthias Handschick steuerte eine Beobachtung aus dem Schulalltag bei: „Sobald ich das Zimmer aufsperre, stürzen sich die Schüler auf das Klavier und spielen; wenn ich das für den Unterricht unterbreche, kann es nur schlechter werden.“
Philipp Vandré verwies auf andere Bereiche, in denen das Komponieren ganz selbstverständlich passiert: „In der Popmusik wird ausprobiert, die Jugendlichen jammen, kreieren daraus Arrangements und komplexe Songs, die zunächst oft nicht notiert werden. Auch im Elementarbereich entdecken Kinder von sich aus Klänge, entwickeln dafür Kriterien, doch sobald sie ein Instrument in die Hand nehmen, hört das bei uns in Deutschland auf, dann wird ergebnisorientiert reproduziert. Es wird sehr gute Arbeit geleistet, aber der schöpferische Umgang mit dem Material hört auf. Da haben wir ein Problem in der so genannten ernsten Musik, weil der Beruf des Komponisten schon Ende des 19. Jahrhunderts extrem mystifiziert worden ist.“ Diese Erfahrung hat auch Violeta Dinescu in ihrem Kompositionsunterricht gemacht: „Es hat lange gedauert, bis verstanden wurde, dass Komponisten keine Ungeheuer sind, dass sie nicht vom Mond kommen.“ Eine weitere Zukunftsaufgabe formulierte Philipp Vandré: „Es gibt mittlerweile etwa 40 Kompositionsklassen für Schüler, aber noch keine Ausbildung für eine professionelle Leitung solcher Klassen. Welche Qualitäten muss ein Kompositionslehrer haben, der mit Schülern arbeitet? Diese Diskussion muss in die Hochschulen hinein.“ Nun denn.