Hauptrubrik
Banner Full-Size

Von Industrielandschaften und Schalke-Fans

Untertitel
Die Erwartungen an die Ruhr-Triennale und an Gerard Mortier sind hoch
Publikationsdatum
Body

Ein Fest für die sieben Millionen Einwohner im Ruhrgebiet soll die Ruhr-Triennale werden. Ein Festival für alle Kunstfreunde der Region, aber auch aus Paris, Brüssel, Amsterdam oder London. Sie alle möchte der Intendant der Ruhr-Triennale Gerard Mortier an ungewöhnliche Orte locken, in die Industriedenkmäler des Reviers. Ein spezielles Programm will Mortier bieten: nicht nur hehre Kunst, die er „Kunst zwischen zwei Gänsefüßchen“ nennt, sondern auch jene, die mit Herbert Grönemeyer und Nick Cave zu tun hat. Berührungsängste kennt er nicht, so darf das Programm ruhig auch einmal populärer werden. Schließlich hat man sich ein gewaltiges Ziel gesteckt: 200 Veranstaltungen im Triennale-Jahr 2003.

Ein Fest für die sieben Millionen Einwohner im Ruhrgebiet soll die Ruhr-Triennale werden. Ein Festival für alle Kunstfreunde der Region, aber auch aus Paris, Brüssel, Amsterdam oder London. Sie alle möchte der Intendant der Ruhr-Triennale Gerard Mortier an ungewöhnliche Orte locken, in die Industriedenkmäler des Reviers. Ein spezielles Programm will Mortier bieten: nicht nur hehre Kunst, die er „Kunst zwischen zwei Gänsefüßchen“ nennt, sondern auch jene, die mit Herbert Grönemeyer und Nick Cave zu tun hat. Berührungsängste kennt er nicht, so darf das Programm ruhig auch einmal populärer werden. Schließlich hat man sich ein gewaltiges Ziel gesteckt: 200 Veranstaltungen im Triennale-Jahr 2003.Man kalkuliert mit rund 250.000 Plätzen, und die wollen verkauft sein. Schließlich findet die Ruhr-Triennale nicht im „Kulturleeren“ Raum statt, sondern in einer Region, die seit Jahren viel bietet, auch wenn das überregional nur selten zur Kenntnis genommen wird. Da gibt es nicht nur renommierte Festivals verschiedenster Genres wie die Wittener Tage für Neue Kammermusik, die Tage Alter Musik in Herne, das Klavier-Festival Ruhr, die „stücke“-Tage in Mülheim, die Ruhrfestspiele, die Duisburger Akzente und das „Impulse“-Festival freier Theater. Im Ruhrgebiet existieren mehr als ein halbes Dutzend Sinfonieorchester und fünf Musiktheater, darunter das Essener Aalto Theater, eines der führenden Opernhäuser in der Bundesrepublik. Nicht zu vergessen die äußerst lebendige freie Szene, im Theater- wie im Musikbereich.

Jetzt also die Triennale als Sahnehäubchen obendrauf sozusagen. Ein Festival, das kommunales Kirchturmdenken wegwischen und dem Ruhrgebiet zu künstlerischem Glanz und internationalem Renommee verhelfen soll. Das „Super-Festival“ bietet im Haupt-Triennale-Jahr nicht nur mehr Veranstaltungen als alle anderen, sondern ist auch finanziell satt ausgestattet. Als spartenübergreifendes Kunstfest ist die Triennale ein Zyklus, der über drei Jahre angelegt ist. Insgesamt stehen dafür 81 Millionen Mark zur Verfügung. Eine Summe, die sich folgendermaßen aufschlüsselt: 16 Millionen für 2002, 42 Millionen für das eigentliche Triennale-Jahr 2003 und 23 Millionen für das Jahr 2004. Hinzu kommen Eintrittseinnahmen sowie Sponsorengelder. Der Etat stammt zum größten Teil aus dem Landeshaushalt, außerdem fließen EU-Mittel ein. Vorwürfe, das Land kürze bei anderen Kultureinrichtungen zugunsten der Triennale – genannt wurden öffentliche Bibliotheken und die beiden Kultursekretariate – hat der grüne Kulturminister Michael Vesper entschieden zurückgewiesen: Die Ruhr-Triennale gehe „nicht auf Kosten anderer Aktivitäten im Kulturbereich.“

Dass Michael Vesper ein besonderes Interesse am Gelingen des Renommier-Projektes hat, verwundert nicht. Der Minister ist Aufsichtsratsvorsitzender der „Kultur Ruhr GmbH“, das ist jene Gesellschaft, die mit der Durchführung und Organisation der Ruhr-Triennale betraut ist. Gesellschafter der „Kultur Ruhr GmbH“ sind die „Projekt Ruhr GmbH“ (51%), eine hundertprozentige Tochter des Landes Nordrhein-Westfalen, der „Kommunalverband Ruhrgebiet“ (44%) und der „Verein Pro Ruhrgebiet“ (5%). Der „Kultur Ruhr GmbH“ fällt also die Schlüsselrolle zu, ob das Unternehmen Ruhr-Triennale gelingt oder nicht. Die Fäden im Hintergrund zieht Peter Landmann. Der studierte Jurist aus musikalischem Elternhaus war bislang für die regionale Kulturförderung im Kulturministerium NRW zuständig. Nun baut er als Geschäftsführer der „Kultur Ruhr GmbH“ in neuen Räumlichkeiten in Gelsenkirchen seinen Mitarbeiterstab auf. Zwischen 30 und 40 Personen sollen hier einmal tätig sein und die verschiedenen Projekte betreuen. Zwei gibt es bereits: das „ChorWerkRuhr“, ein professioneller Chor, der unter künstlerischer Leitung von Frieder Bernius mehrfach im Jahr zu Arbeitsphasen und Konzerten zusammenkommt und die „Tanzlandschaft Ruhr“ mit Sitz in Essen unter Leitung von Stefan Hilterhaus, für die sich die „Kultur Ruhr GmbH“ ab 2002 als (Mit-)Träger engagiert.

Das dritte Projekt, das eigentlich spektakulärste, das „MusikWerkRuhr“ wurde erst einmal auf die lange Bank geschoben. Geplant war ein „Zentrum für die Musik im Industrieraum“ in der Bochumer Jahrhunderthalle, dem wichtigsten Triennale-Spielort. Von einem „musikwirtschaftlichen Gründerzentrum“ war die Rede, von Projektorchestern, die sich auf die Präsentation moderner Musik in Industrieräumen spezialisieren sollten. Die „Werkstatt“ in der Jahrhunderthalle, so hieß es noch in einer Veröffentlichung des Ministeriums vom Dezember 2000, solle sich „zunächst auf die Produktion von jährlichen Festwochen ‚Musik im Industrieraum’ konzentrieren und dann allmählich in eine permanent tätige, innovative Form von ‚Ruhr-Philharmonie’ hineinwachsen“. Welch visionäre Idee!

Spezial-Ensembles sollten, neben dem „ChorWerkRuhr“ in Bochum arbeiten. Gedacht war an ein Ensemble für zeitgenössische Musik und eines, das den Bereich der Alten Musik abdeckt; als Streicherensemble mit breitem musikalischem Spektrum wäre das Ensemble Resonanz hinzugekommen. Ein Ensemble, das man auf diese Weise an die Region hätte binden können. Das Ensemble Resonanz verlegt nun seinen Sitz nach Hamburg.

Gerade dieses Ensemble hat mehr als einmal bewiesen, dass es künstlerisch wie konzeptionell in der Lage ist, ausgefallene Musik-Programme eigens für Industrieräume zu entwickeln.

Das gilt gleichermaßen für das „ChorWerkRuhr“ und das „Ensemble Modern“, das in diesem Jahr mit einer grandiosen Aufführung des Musiktheaters „Schwarz auf Weiß“ von Heiner Goebbels die Reihe „Musik im Industrieraum“ eröffnete. Eine Reihe, die bereits seit drei Jahren erfolgreich das praktiziert, was Gerard Mortier vorhat: nämlich das Programm auf die jeweiligen Industriehallen abzustimmen. Das Klangerlebnis im Raum spielt dabei eine ganz entscheidende Rolle. „Musik im Industrieraum“ mit ihren ausgefeilten Konzertprogrammen, sollte das „Herzstück“ der Ruhr-Triennale sein. Bezeichnenderweise hat Gerard Mortier bei keiner seiner Pressekonferenzen die Reihe erwähnt.

Geschwärmt hat er allerdings von den historischen Industriestätten im Ruhrgebiet, deren Charakter man beibehalten möchte, wenn auch hier und da Umbaumaßnahmen nötig sind.
50 Millionen Mark hat man allein für die Jahrhunderthalle in Bochum veranschlagt, für die Sanierung des Dachs, einen neuen Boden und den Einbau von drei Bühnen. Die Akustik der Halle lässt es jedoch nicht zu, die drei Bühnen parallel zu bespielen, und kalt wird es nach dem Umbau auch sein. Denn die kathedralenartige Halle ist einfach zu riesig, um beheizt werden zu können. Probleme dieser Art nimmt Gerard Mortier mit Gelassenheit.
Neben der Jahrhunderthalle Bochum (eine „wahre Montagehalle für die Kunst“, so der Minister) werden der Landschaftspark Duisburg Meiderich, die Zeche und Kokerei Zollverein Essen und die Zeche Zollern in Dortmund zu den Haupt-Spielstätten der Ruhr-Triennale. Das Gasometer in Oberhausen soll für Ausstellungen genutzt werden. Als „nicht-industrieller“ Spielort kommt das Festspielhaus Recklinghausen hinzu. Dort sind die Ruhrfestspiele beheimatet. Die sollen zwar in Zukunft weiter juristisch und organisatorisch unabhängig bleiben; ihr derzeitiger künstlerischer Leiter Hansgünther Heyme soll jedoch, so Peter Landmann, 2004 durch Gerard Mortier ersetzt werden. Wie die Ruhrfestspiele unter diesen Vorraussetzungen ein eigenes künstlerisches Profil entwickeln können, bleibt offen.

Die Veranstaltungsreihen der Ruhr-Triennale konzentrieren sich auf den Frühsommer und den Herbst. Im Frühsommer liegt der Schwerpunkt auf dem Theater, im Herbst auf der Musik. Im Herbst 2002 ist der Start, und für diese Spielzeit hat Gerard Mortier auch schon etliche Programmpunkte vorgestellt. Mit inszenierter Kammermusik möchte er beginnen. Dazu gehören Schuberts Liederzyklen „Die schöne Müllerin“ (eine Zusammenarbeit mit dem Schauspielhaus Zürich) und „Die Winterreise“ (mit Christine Schäfer als Interpretin und dem Videokünstler Oliver Hermann). Die „Tanz-Ikone“ Reinhild Hoffmann möchte Gerard Mortier ins Ruhrgebiet zurückholen, sie wird die „Kafka-Fragmente“ von György Kurtág choreografieren (eine Arbeit, die bereits in Luzern gezeigt wurde). Der französische Regisseur Claude Régy wird sich mit Janáceks „Tagebuch eines Verschollenen“ beschäftigen. Als Uraufführung steht eine Musikproduktion des Exilkubanischen Komponisten George Lopez mit dem Titel „Gebirgskriegsprojekt“ an, ein 90-minütiges Werk über den Ersten Weltkrieg. Aber auch Populäres ist dabei, wie Mozarts „Don Giovanni“. Diese Neuinszenierung steht übrigens im Zusammenhang mit einem „Da Ponte“-Zyklus, der sich wie ein roter Faden auch durch die Programme der anderen Triennale-Jahre ziehen wird.

Große Namen führt Gerard Mortier an, Regisseure wie Peter Sellars, Peter Brook, Jürgen Flimm und Christoph Marthaler, dessen spektakuläre „Figaro“-Deutung der diesjährigen Salzburger Festspiele im Jahr 2004 ins Ruhrgebiet kommt. Fest steht auch, dass im Rahmen der Ruhr-Triennale Olivier Messiaens „Saint Francois d’Assise“ und Bernd Alois Zimmermanns „Soldaten“ gezeigt werden. In Vorbereitung sind Musikprojekte unter den Arbeitstiteln „Mozart: Abschied“, „Verdi: Gefühle“ und „Der Fall Wagner“ sowie ein „Parsifal“-Projekt mit Herbert Grönemeyer, an dem auch das Schauspiel Bochum unter Matthias Hartmann beteiligt sein wird.

Gerard Mortier möchte ferner die Orchester in Nordrhein-Westfalen mit Werken amerikanischer Komponisten einbeziehen und hat auch schon Pläne mit dem Aalto-Theater geschmiedet. Viele, sehr überzeugende Programm-Ideen also, die Gerard Mortier verfolgt, die allerdings bislang weder die 200 Veranstaltungen 2003, noch die geplanten 40 im kommenden Herbst zum Auftakt der Ruhr-Triennale füllen. Eile ist geboten und man kann nur hoffen, dass es gelingt, klug abzuwägen zwischen innovativen und traditionellen Programmelementen, zwischen Impulsen, die von außen kommen und den künstlerischen Kräften, die schon seit langem vor Ort tätig sind und letztendlich den Nährboden bereitet haben für eine lebendige Kulturlandschaft. Zu hoffen bleibt auch, dass die Beteiligten nicht allzu sehr auf Publikumsmassen schielen. „Wie kann ich die Besucher von Schalke in die Jahrhunderthalle kriegen“, so Gerard Mortier, „das ist nicht so leicht – das ist eine wunderbare Aufgabe für mich“. Nun denn.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!