Wenn sich über 1.500 Musikschullehrer alle zwei Jahre zu ihrem großen Kongress in einer Stadt treffen, dann strahlt das geballte Musikkompetenz aus – in die gastgebende Stadt, in die Politik, in die Organisationsstrukturen der Musikschulen und in die Unterrichtssituationen selbst. So war es auch beim jüngsten Bundeskongress des Verbandes deutscher Musikschulen (VdM) vom 20. bis 22. Mai in Mainz. Die Innenstadt verwandelte sich für drei Tage in eine Klanglandschaft: Musikschul-Ensembles und -Bands aus dem Rhein-Main-Gebiet belebten die Fußgängerzonen unüberhörbar. Unüberhörbar für die Kulturpolitik in Bund, Land und Kommune ist hoffentlich auch die Mainzer Erklärung, die die Bundesversammlung des VdM in der rheinland-pfälzischen Hauptstadt verabschiedete.
Die zentrale Forderung lautete: „Die Schulzeitverdichtung darf musikalische Entfaltung nicht verhindern – Musikalische Bildung braucht Zeiten und Räume in der Schule!“ Schulzeitverdichtung, ein eher beschönigendes Wort für die Tatsache, dass das Zeitmanagement der Schüler durch die 12-jährige Schulzeit immer komplexer wird, dass die MINT-Fächer nach dem Pisa-Schock stärker im Blickfeld von Eltern und Schule stehen als die künstlerischen und dass der Trend zur Ganztagsschule peu à peu die Zeitfenster okkupiert, in der traditionellerweise die Musikschule agiert.
Ein grundsätzlicher Strukturwandel findet in diesem Bildungsbereich statt, dessen Folgen für die Musikschule und ihre Angestellten und Honorarkräfte noch gar nicht abzusehen sind.
Einen Blick aus der Sicht des Nachbarlandes Österreich versuchten Reinhard von Gutzeit, Direktor des Mozarteum Salzburg, und Peter Röbke von der Musikuniversität Wien. Sie kommen aus einem Land, welches sich – trotz diverser strittiger bildungspolitischer Fragen – in der Wertschätzung von Musik in Konzertbetrieb, Medien und vor allem im Musikschul- und Schulwesen stark von Deutschland unterscheidet. Während Musikschullehrkräfte hierzulande durch den Strukturwandel der allgemeinbildenden Schulen noch stärker in prekäre Situationen geraten als bisher, sind die österreichischen Kollegen seit vielen Jahren kooperationserprobt und das häufig in Festanstellung auf einem deutlich höheren Lohnniveau, als es der in Deutschland maßgebliche TVöD zulässt.
Der wiedergewählte VdM-Vorsitzende Winfried Richter sprach in Mainz von einer „Aufbruchstimmung“. Doch man musste nur das Ausrufezeichen des Kongresstitels „Musikschule – Bildung mit Zukunft!“ durch ein Fragezeichen ersetzen und schon war man mittendrin in den Diskussionen über Schulzeitverdichtung, JeKi, MoMo, JEKISS. Dass im Seminarprogramm diese Aküs (Abkürzungen) ihren selbstverständlichen Platz finden, macht deutlich, wie stark die Musikschule und ihre Lehrer bereits in musikpädagogische Projekte wie Monheimer Modell (MoMo), Jedem Kind ein Instrument (JeKi), Musikkindertagesstätte (MusiKita), Singen – Bewegen – Sprechen (SBS) oder Jedem Kind seine Stimme (JEKISS) verstrickt sind. So euphorisch noch vor wenigen Jahren die Entdeckung der allgemeinbildenden Schule als neue Wirkungsstätte für die Musikschule wahrgenommen wurde, so ernüchternd fällt eine Zwischenbilanz nun aus: Das ‚Haus der Musik in der Stadt‘, die Musikschule, droht zu verwaisen.
Auch dieses Jahr erhielt jeder Kongressbesucher bei seiner Anmeldung seine Musikschulkäfer-Toni-Stofftasche: Bei einer ersten Untersuchung stieß man dann auf Tina & Tobi als „Musikalische Früherziehung des VdM“. Ein Konzept der musikalischen Früherziehung aus den 60er- beziehungsweise 70er-Jahren, mit dem gewiss nicht der Eindruck erweckt werden konnte, auf dem Mainzer Kongress sei die Avantgarde der Musikpädagogik anzutreffen. Doch beim Hinsehen stieß man im Programm auf Kurse, Vorträge, Workshops und Themenforen, die deutlich machten: Die Uhren sind beim VdM nicht in den 70er-Jahren stehen geblieben. Neben Dauerbrenner-Themen, mit denen sich praktizierende Musiker und Musikpädagogen auch in 20 Jahren noch beschäftigen werden – wie Dispokinesis für Musiker, Solmisation, Vocal Percussion oder retrosequentielles und anderes Üben – war genug Innovatives und Qualitätsvolles zu konstatieren.
Etwa, wie man seine Musikschule mittels Web 2.0 und Social Media im öffentlichen Raum positioniert: Die Kulturmanagerin Karin Janner eröffnete den Musikschulleitern damit auch einen neuen Weg, mit wenig finanziellem Einsatz gute PR-Resultate zu erzielen.
Das Web 2.0 als neues Arbeitsmittel für Musikschulen zu begreifen, versucht auch das Internetportal „Agogix“ des bayerischen Musikschulverbands (VBSM). Peter Pfaff, der Bildungsreferent des VBSM, stellte das Projekt einen Tag nach dessen Premiere im World Wide Web in Mainz vor.
„Agogix“ ist eine Dialogplattform für Musikschulen und ihre Bildungspartner, die es ermöglichen soll, Best-Practice-Beispiele bis hin zu detaillierten Arrangements und Stundenbeschreibungen vorzuhalten. Eine Bibliothek der Zukunft für den Instrumental- und Musikschulpädagogen. Einziger Haken: Nicht jeder darf alles in diesem Tool. Um auf allen Ebenen recherchieren und kommunizieren zu können, muss man Mitarbeiter einer VBSM-Musikschule oder einer seiner Kooperationspartner wie Grundschulen und Kindertagesstätten sein.
Pädagogen und Musiker aus anderen Bundesländern, sowie freiberuflich und an privaten Musikschulen tätige Lehrer bekommen bisher nur Appetitanreger, aber keine kompletten, kostenfreien Konzepte. Dass dies die eigentliche Idee des Web 2.0 konterkariere, gab Wolfgang Greth, 1. Vorsitzender des VBSM, unumwunden zu, wies aber darauf hin, dass diese Differenzierungen vor allem in der Anfangsphase noch notwendig seien, damit überhaupt erst Content eingestellt würde. Es sei aber, so Greth, höchste Zeit, die Schutzwälle einzureißen, die die öffentlichen Musikschulen gegenüber privaten Anbietern errichtet hätten.
Auf welche Weise das Internet in der bisher eher web-skeptischen Musikschulwelt rasant an Bedeutung gewinnt, zeigte sich beim Themenforum „Urheberrecht in der digitalen Gesellschaft“, einer Politrunde, die nmz-Herausgeber Theo Geißler moderierte. Das Uralt-Thema Notenkopieren sei, so Schott-Verleger Peter Hanser-Strecker, durch das Internet ad acta gelegt worden. Die Zukunft gehöre dem Noten-Download, und damit die Verlage dabei nicht komplett außen vorblieben, wurde unter der Federführung des Schott-Verlags ein Modell geschaffen, die Internet-Plattform „notafina“, die offen steht für alle Verlage.
Alternative Geschäftsmodelle beleben aber auch hier den Markt, wie Jens Schlichting von der Print-on-Demand-Firma „inter-note“ darlegte: Bei ihm kann man sich das pädagogisch perfekte Wunschalbum für den Schüler zusammenstellen und downloaden oder sogar gebunden bestellen – und das alles mit rechtefreien Noten.
Man verließ den Kongress mit der Idee im Kopf, dass der Beruf Musikschullehrer nach wie vor Zukunft hat: Angefangen vom Arbeitsplatz „Podium“ über die instrumentalpädagogischen Aufgabenfelder, bis hin zum weiten Feld der musikalischen Bildung – etwa der Einsatz von EMP bei Musik für Alte und sehr Alte – bieten sich viele traditionelle und neue Berufsfelder an. Dass sie attraktiv bleiben oder wieder attraktiv werden können, auch das war eine zentrale Botschaft dieses jüngsten Musikschulkongresses. In Erinnerung bleibt ein Satz von Aristoteles, den Reinhard von Gutzeit in seiner Rede adapziert hatte: „Musikalische Bildung heißt nicht, einen Eimer Wasser zu füllen, sondern ein Feuer anzuzünden“.