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Walküre mit Rückflugticket

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Warum Katharina Wagner in Buenos Aires die Regie zum Kompakt-„Ring“ ihres Urgroßvaters hingeschmissen hat
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Die Idee, Richard Wagners Tetralogie in einer auf sieben Stunden heruntergekürzten Fassung aufzuführen, hatte Vater und Mutter. Vater war der Pianist, Arrangeur und Produzent Cord Garben, Mutter die Bayreuth-Chefin Katharina Wagner. Garben stellte die Strichfassung her, Katharina Wagner hatte die Regie übernommen. Um das gemeinsame Kind auf die Bühnenwelt zu bringen, hatten beide das Teatro Colón in Buenos Aires erwählt. Das passte gut, weil das Haus gerade frisch renoviert worden war und weil es in seiner Glanzzeit, die freilich mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegt, ein Tempel des Wagnertums war. Allein die zahlreichen Wagner-Aufführungen unter Erich Kleiber sind Legende.

Vor Jahresfrist hatten Garben und die Wagner-Urenkelin mit überschwenglichen Worten das gemeinsame Projekt des „ColónRings“ in Buenos Aires auf reichlich Vorschusslorbeeren gebettet. Sechs Wochen vor der Premiere (27. November 2012) stand es vor dem Scheitern. Katharina Wagner war zum Probenbeginn an den Río de la Plata gereist – von Frankfurt aus mehr als dreizehn Stunden Flug –, nur um festzustellen, dass „einfach nichts von dem da war, was vorher verabredet war“, wie sie hinterher sagte. „Wir haben Bedingungen vorgefunden, unter denen man nicht arbeiten konnte. Überhaupt nicht.“ Behauptete sie.

Die Arme, hallte es durch die deutschen Medien: Katharina, Opfer katastrophaler Zustände am Colón. Das Teatro Colón ist tatsächlich kein Muster an perfekt funktionierendem Opernhaus. Die Orchester und der gesamte personelle und technische Apparat waren während der vierjährigen Renovierung zwischen 2006 und 2010 verlottert. Kompetenzgerangel, finanzielle Probleme, Gewerkschaftskämpfe, Streiks lähmten das Haus. Mit zäher Entschiedenheit hat es der Direktor Pedro Pablo García Caffi jedoch geschafft, vieles zu verbessern. Die beiden großen Orchester – das „Estable“ (das ständige Opernorchester) und das „Philharmonische“ – sind spürbar verjüngt, und unter Dirigenten, die zu den Musikern eine produktive Beziehung aufzubauen verstehen, kommen sehr ordentliche Leistungen zustande. Zuletzt hat Ira Levin das „Estable“ zu überzeugenden Interpretationen von Wagners „Lohengrin“ und George Enescus „Oedipe“ angetrieben.

Was war nun dran am Probenchaos im Colón? Katharina Wagner hatte, als sie in Buenos Aires ankam, schon das Rückflugticket für den nächsten Tag in der Tasche. Sie hat die Rückkehr dann sogar noch vorverlegt und ist mit der gleichen Lufthansa-Maschine nach Deutschland zurückgeflogen, mit der sie am Morgen angekommen war. Allmählich ist danach bekannt geworden, dass sie recht private Gründe hatte, so bald wie möglich wieder zu Hause zu sein. Sie hatte sich verpflichtet, bei Audi in Ingolstadt, einem Bayreuther Hauptsponsor, ein Spektakel mit 150 Künstlern zu inszenieren. Und sie wusste, dass ihr – auch dies mitten in der heißen Probenphase für den „Colón-Ring“ – und ihrer Schwester Eva der Bayerische Kulturpreis verliehen werden sollte. (Dass hinterher angeblich niemand in der Jury sich dazu bekannte, sie nominiert zu haben, ist eine andere Geschichte.) 

Das Ende der Mutterschaft von Katharina Wagner beim „Colón-Ring“ ist bekannt. Auflösung des Regievertrags in gegenseitigem Einvernehmen, keine finanziellen Forderungen und kein böses Wort mehr übereinander. Auf Katharina Wagners Manöver, den Premierentermin hinauszuziehen, um ihren Verpflichtungen in Deutschland nachkommen zu können, hat sich das Colón nicht eingelassen, weil die meisten Sänger schon angereist waren und die Kosten einer Verschiebung nicht kalkulierbar waren. Im Übrigen war doch sehr viel mehr an Ausstattung fertiggestellt, als die Wagner-Urenkelin wahrhaben wollte. Dem Colón wurde zugestanden, all das weiterzuverwenden. Noch am selben Tag, an dem die Urenkelin endgültig abgerauscht war, begannen die Proben ohne jedes Problem. 

Das Teatro Colón hatte, als das Katharina-Debakel vorauszusehen war, schon einen Plan B entwickelt und Valentina Carrasco als Ersatzregisseurin ins Auge gefasst. Die Argentinierin, deren künstlerische Heimat die katalanische Truppe „La Fura dels Baus“ ist, kennt das Haus. Sie hatte am Colón schon einmal Feuerwehrfrau gespielt und die „Fura“-Produktion von Ligetis „Grand Macabre“ in Szene gesetzt, obwohl das Orchester streikte und nur eine Version mit zwei Klavieren und Schlagzeug gespielt wurde. Außerdem hat sie führend bei der Ins­zenierung von Enescus „Oedipe“ mitgewirkt. Mit ihr lief alles auf einmal ganz reibungslos. Zugleich mit Valentina Carrasco kam Roberto Paternostro als neuer Dirigent. Er löste Julien Salemkour ab. Aber das ist eine andere Geschichte.

Man kann lange darüber grübeln, ob es sein muss, Wagners Tetralogie in einer drastisch gekürzten Fassung auf die Bühne zu bringen, aus der alle Rückblenden, Wiederholungen und retardierenden Momente getilgt sind, es also keine Nornen-Szene gibt und die Wotan-Wanderer-Episode radikal gekürzt ist. Die Verantwortlichen im Teatro Colón hatten aber offenbar ein schlechtes Gewissen. Irgendeine Hommage wollten sie angesichts der reichen Wagner-Tradition des Hauses zum bevorstehenden Wagner-Jahr 2013 dem Meister zukommen lassen. Der Versuch, einen kompletten Ring zu schmieden, war in den Jahren vor der Renovierung gescheitert. Es hätte auch eine würdige Inszenierung der „Meistersinger“ oder des „Parsifal“ getan – beide Werke sind am Colón seit Jahrzehnten nicht aufgeführt worden. 

Aber da kam der Kompakt-Ring von Cord Garben mit Katharina Wagner als attraktivem – und leider auch launischem – Zugpferd gerade recht. Immerhin wurde ein Geburtsfehler des „Colón-Rings“ rechtzeitig beseitigt. Cord Garben wollte – mit Zustimmung Katharina Wagners – das „Rheingold“ ohne Vorspiel in den zweiten Walküre-Akt hineinschneiden. Mit freundlicher Genehmigung des Arrangeurs begann dann aber auch der „Kompakt-Ring“ so, wie Richard Wagner seine Tetralogie komponiert hatte: mit dem Vorspiel und dem Ur-Ton, aus dem sich das ganze Welttheater entwickelt, dem Kontra-Es auf dem Kontrabass. 

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