In einer breiteren Öffentlichkeit macht sich niemand so schnell Sorgen über die Künste, Kultur und Medien, wenn es um die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen geht. Politik wie Presse diskutieren in diesem Zusammenhang gewöhnlich über MINT-Fächer (Mathematik, Ingenieurs- und Naturwissenschaften sowie technische Disziplinen), oder über Aufsichtsräte von großen Wirtschaftsunternehmen.
In Kultur und Medien scheinen Frauen ja durchaus präsent, dürfen sie doch sogar Intendantenposten bekleiden oder Fußballspiele kommentieren (auch wenn darüber nicht alle froh sind, wie sich jüngst eindrucksvoll zeigte). Schaut man genauer hin, findet man Frauen in der Regel immer noch vor allem dort, wo weniger Einfluss zu nehmen oder weniger Ruhm zu erlangen ist, und vor allem: weniger gut bezahlt wird. Und diejenigen, die man so kennt, sind letztlich nicht selten eben das, was viele von uns auf keinen Fall sein wollen: Vorzeigefiguren, Quotenfrauen – auch wenn es hierzulande in den meisten Zusammenhängen keine harten Quoten gibt. Wir Frauen in solchen Positionen geben das ungern zu, weil wir befürchten, dadurch unsere so mühsam verteidigte Reputation zu beschädigen, die erarbeitete Qualifikation zu schwächen (derentwegen wir natürlich eigentlich geschätzt und engagiert sein wollen). Aber: Weil wir es nicht sagen, kann man uns nach vorne schieben, ohne dass klar würde, wie die Verhältnisse wirklich sind. Und dann sieht es so aus, als sei die Förderung von Frauen das Verdienst der entscheidenden Männer-Mehrheit, die dann auch noch stolz darauf ist.
Begabungsvorbehalt
Das sollten wir nicht erlauben. Denn: Es steht offensichtlich nicht sehr gut mit der Geschlechtergerechtigkeit auf dem Gebiet von Kunst, Kultur und Medien. Das zeigen die Zahlen deutlich, die in der jüngst vom Deutschen Kulturrat im Auftrag der Staatsministerin für Kultur und Medien publizierten Studie ermittelt wurden. Dies ist nicht die erste und einzige aktuelle Studie, die auf das Problem hinweist. Auf die Frage, welche Nachricht für sie in diesem Jahr wichtig war, die das Onlinemagazins Edge.org in diesem Jahr insgesamt 197 Wissenschaftlern, Intellektuellen und Künstlern gestellt hat, antwortete die Schriftstellerin und Philosophieprofessorin Rebecca Newberger Goldstein mit der ebenso scharfsinnigen wie eindringlichen Diskussion einer weiteren Studie von Andrei Cimpian und Sarah-Jane Leslie und anderen, die in der Zeitschrift Science veröffentlicht worden war. Dort geht es darum, wie der Begabungsvorbehalt, das heißt das Stereotyp des Genies, die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen untergräbt. Frauen, so kam dabei heraus, haben dort schlechte Karten, wo ein Potential, eine Begabung, also Option auf Zukünftiges in Anschlag gebracht werden kann und schwerer wiegt als das bisher Geleistete. Das Frappierende an diesem Ergebnis ist, dass dies in MINT-, aber eben auch in vielen Nicht-MINT-Fächern und besonders in den Künsten (ausdrücklich nennt Newberger Goldstein Komposition und Musiktheorie) und der Philosophie zur Benachteiligung von Frauen führt.
Einschlägige Zahlen sind also eigentlich bekannt und hinreichend wissenschaftlich untermauert, der dabei wirksame Mechanismus auch. Dass ich mich in dieser Sache zu Wort melde, hat dennoch weniger mit den aktuellen Studien zu tun. Auf die Anfrage hin, ob ich diese kommentieren und etwas zur Forderung nach Quoten schreiben könnte, habe ich mich zunächst in meinem eigenen Umfeld umgehört – und viel mehr als die Studien selbst, haben mich die Reaktionen der befragten Frauen – Studentinnen wie Kolleginnen – davon überzeugt, wie nötig die öffentliche Debatte ist. Die Sorge, dass gezielte Maßnahmen zur Gleichstellung sie – die es nun doch schon so weit gebracht hatten – fachlich wie menschlich diskreditieren könnten, war geradezu allgegenwärtig.
„Wir sind doch auf dem Weg“, hört man nicht selten von Seiten derer, die Entscheidungen über Gelder, Arbeitsstrukturen oder Stellen treffen, und: „So schnell geht es eben nicht, aber es wird doch besser“. Beides stimmt, aber dennoch wird man das Gefühl nicht los, dass es zwar nicht mehr opportun ist, Frauen explizit auszuschließen, aber eben auch noch lange nicht zu den Selbstverständlichkeiten gehört, Frauen gleichberechtigt zu beteiligen. Das merkt man sofort, wenn man einmal wieder als einzige oder jedenfalls deutlich in der Minderheit befindliche Frau in ein Gremium oder ein Arbeitsumfeld kommt. Die Reaktionen fallen sehr unterschiedlich aus: Das Spektrum kann von Stolz, ausgestellten Höflichkeiten oder Komplimenten über Überraschung bis zu klarer (dann aber der politischen Korrektheit wegen: individualisierter) Abwehr reichen. – Aber, ohne dass einem eine gewisse emotionale Emphase entgegengebracht wird, kommt man jedenfalls meistens nicht davon.
Mit Recht hat Monika Grütters bei der Präsentation der aktuellen Studie des Kulturrats in ihrem Hause darauf hingewiesen, wie lange die Bildende Kunst Frauen von den akademischen Ausbildungsmöglichkeiten ferngehalten hat. Später als alle anderen Hochschulen und Universitäten in Preußen, nämlich erst seit sie 1918 von der Weimarer Verfassung dazu gezwungen wurde, hat die Staatliche Hochschule für Bildende Künste in Berlin Frauen zugelassen (ein zentrales Argument für die Ausgrenzung war gewesen, es sei sittlich nicht tragbar, Frauen an den obligatorischen Aktstudien teilnehmen zu lassen). Als Historikerin hege ich natürlich Hoffnung, man könne aus der Geschichte lernen – deshalb sei es mir erlaubt, diesen Faden aufzunehmen und zunächst einmal zurückzublicken.
In der Bildenden Kunst ging es augenscheinlich nicht ohne eine rechtliche Verfügung, die einfach keine Wahl ließ – und nun könnte man natürlich überlegen, ob hier eben der Verspätung wegen weniger Zeit war für die weitere Entwicklung, oder aber vermuten, der juristische Zwang sei der Sache nicht zuträglich gewesen. Blickt man aber in die Musik, so hat man es mit einem Feld zu tun, in dem von Anfang an (also seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts) Frauen zum Studium zugelassen waren. Dies war die erste Möglichkeit für Frauen, höhere Bildungsabschlüsse zu erwerben, bevor ihnen das Abitur zugänglich war. Manche, wie etwa zwei ältere Schwestern der Nobelpreisträgerin Lise Meitner, haben über diesen Umweg mit einer Ausbildung am Wiener Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde den Hochschulzugang erlangt; eine wurde Komponistin, die andere Ärztin. Ein halbes Jahrhundert früher und gleichsam freiwillig also hatten Frauen Zugang zum Musikstudium – und trotzdem ist die Lage, wie die Kulturrats-Studie eindeutig zeigt, in der Musik heute nicht besser als in der Bildenden Kunst. Weder Warten noch Freiwilligkeit ändern offenbar die Lage. Was also tun?
Falsche Befürchtungen
Quoten helfen, die Lage zu entemotionalisieren und das vor allem scheint mir dringend nötig. Wenn sich die Geschlechterverhältnisse in den Entscheidungsebenen ändern, wird sich überdies zeigen, welche der Auswahl-Mechanismen Gender-indiziert sind und welche für Minderheiten insgesamt gelten. Eine bemerkenswerte Erfahrung für mich war, dass in einer Berufungskommission, in der Männer in der Minderheit waren, sich das auf den ersten Blick so neutrale „Qualitäts-Argument“ (Besten-Auswahl!) plötzlich gegen die männlichen Bewerber richtete und zwar auf Betreiben der männlichen Kommissionsmitglieder, die nun nur noch die allerbesten ihrer Artgenossen akzeptieren wollten, um nicht in den Ruch der Bevorzugung zu geraten. Das ist im Grunde das Komplement zu der Befürchtung, Quoten könnten zu Missbrauch führen, einer Befürchtung, die ich von einer Kollegin im Zuge meiner kleinen nicht repräsentativen Umfrage hörte.
Jede Regel lässt sich missbrauchen, das spricht nicht unbedingt gegen sie. Mehr Sorgen als die mögliche Bevorzugung der Falschen (die man auch aus anderen Gründen immer einmal wieder wird konstatieren können) macht mir die Beobachtung, dass sich die Maßnahmen zuweilen gegen diejenigen richten, deren Gleichberechtigung sie fördern sollen: So kann der formalisierte Zwang zu paritätischer Besetzung von Gremien – wie man beispielhaft an österreichischen Universitäten sehen kann – dazu führen, dass die Frauen überproportional viel administrative Arbeit leisten müssen und kaum mehr dazu kommen, sich in ihrer eigentlichen Profession zu qualifizieren. Dies wiederum kann dann tatsächlich ihrer fachlichen Reputation schaden. Schon jetzt würde eine statistische Übersicht über Gremienbeteiligungen wohl zeigen, dass Frauen vor allem in jenen Gremien vertreten sind, die viel Arbeit machen, während die besonders einflussreichen Gremien in der Regel einen Männer-Überschuss aufweisen. Flankiert werden müsste die Quotierung überdies mit einer standardisierten Dokumentationspflicht auch für die nicht quotierten Bereiche.
Das hilft übrigens nach meiner Erfahrung auch, all jene Männer zu ernüchtern, die befürchten, die derzeitige Frauenförderung führe dazu, dass sie in Zukunft gar keine Chancen mehr hätten. Die Zahlen sprechen für sich: Zeigen sie doch, wie deutlich die Männer immer noch im Vorteil sind. Die Debatten über Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit der Zahlen zum Beispiel zum Gender-Pay-Gap entspringen einer gefühlten Diskrepanz zwischen der darin dokumentierten Lage und der individuellen Wahrnehmung vieler Männer (und auch einiger Frauen) in ihrem persönlichen Umfeld. Sie werden vor allem dadurch noch verstärkt, dass es so schwer ist, in der Breite vergleichbares Zahlenmaterial zu bekommen. Und: Der Verweis auf Datenschutz dient nicht selten dazu, die Untersuchung der Frage abzuwehren, inwieweit die Einführung von individualisiert leistungsbezogener Bezahlung (zum Beispiel im öffentlichen Dienst) den Pay-Gap befördert, oder die freie Verhandelbarkeit der Arbeitsbedingungen die Ausstattungsstrukturen (Räume, Budgets oder Verwaltungskapazitäten et cetera) ungleich verteilt. Dies dürfte kein singuläres Problem der Hochschulen sein. Dieser Lage kommen wir nicht mit Coaching oder Training in Selbst-Vermarktung oder Verhandlungsführung für Frauen bei, das heißt durch die Befestigung der hier wirksamen Mechanismen der Individualisierung, sondern nur mit Transparenz in allen diesen Bereichen und mit ganz klaren Verantwortlichkeiten bei den Trägern. Wie Chancengleichheit auf einer solchen Basis zum Ziel von Personalpolitik wird, hat die Wirtschaftswissenschaftlerin Gertraude Krell uns längst in ihrem Buch „Chancengleichheit durch Personalpolitik“ gezeigt.
Auch wenn wir es alle nicht gern hören: Ohne Quoten wird es nicht gehen. Und letztlich haben wir sie als gesellschaftliche Norm bereits – aber das macht es nicht einfacher, denn wenn Frauen nicht mehr explizit und pauschal ausgegrenzt werden, maskieren sich die Mechanismen und wirken im schlimmsten Falle unbewusst – das ist übrigens bei jeder Form der Ausgrenzung so und nicht geschlechtsspezifisch (auch etwas, was man aus der Geschichte wie in der Gegenwart schnell lernen kann). Genau das lassen wir zu, wenn wir uns weigern, Quotenfrauen zu sein! Das sollten wir nicht tun, gerade weil wir um unseres Könnens willen geschätzt werden – denn sonst wären wir gar nicht „im Spiel“.