Wohl selten ist um einen Theaterchef so erbittert gestritten worden wie um den neuen Herrn der Berliner Volksbühne. Chris Dercon dürfte ein heißer Herbst bevorstehen.
Um die traditionsreiche Berliner Volksbühne gibt es nach dem Ausscheiden von Intendant Frank Castorf weiter Streit. Im Netz überschütten Castorf-Anhänger den umstrittenen Nachfolger Chris Dercon und sein Team für ihre ersten Auftritte in den sozialen Medien mit Wut und Häme. Das neue Team der Volksbühne äußerte indes die Hoffnung auf eine faire Debatte auch in den sozialen Medien.
Auch der Kulturausschuss im Abgeordnetenhaus will sich nach der Sommerpause erneut kritisch mit Dercons Zukunftskonzept befassen, wie die Vorsitzende Sabine Bangert im Gespräch mit der dpa ankündigte. „Herrn Dercon ist es bei seiner Anhörung im Ausschuss nicht gelungen, die Zweifel auszuräumen, ob er seine Aufgabe vertragsgemäß erfüllt.“
Im Kern geht es um die Frage, ob der neue Intendant das linke Traditionshaus als Ensemble- und Repertoiretheater weiterführt oder zu einer „Eventbude“ macht, wie Kritiker befürchten. Im Ausschuss sei deutlich geworden, dass es dem Belgier eindeutig nicht um ein Fortsetzung der bisherigen Form gehe, sagte Bangert. „Das Gespräch hat nicht die Befriedung und Befriedigung gebracht, die wir uns erhofft haben.“
Im Netz sorgt vor allem für Ärger, dass die Dercon-Truppe die bisherigen Accounts in den sozialen Medien unter neuem Logo bruchlos weiterführt. Von „Kriegserklärung“, „Etikettenschwindel“ und „leerem Hirn“ ist auf Facebook die Rede. In einem Beitrag heißt es: „mit nichts anfangen und im nichts enden, hoffentlich sehr bald“. Auch mehrere Zeitungen berichteten am Freitag über den Shitstorm.
Das neue Volksbühnen-Team reagierte entsetzt auf die Flut digitaler Attacken. „Natürlich waren wir angesichts der zahlreichen Diffamierungen der letzten Monate auf einen formidablen shitstorm vorbereitet. Trotzdem erschüttern uns nun die Hasskommentare, Beleidigungen, die vulgären und xenophoben Aussagen jenseits von Fakten“, hieß es in einer Stellungnahme. „Was mit Drohbriefen, Drohanrufen und einem täglichen Haufen Scheiße vor unserem Büro begonnen hat, führt sich jetzt digital auf Facebook fort. Insbesondere im Hinblick auf unsere Künstler hoffen wir, dass eine faire und respektvolle Debatte auch in den sozialen Medien möglich ist.“
Eine Online-Petition, die Neuverhandlungen zur Zukunft der Volksbühne fordert, hat inzwischen rund 35.000 Unterstützer. Und vor dem Theater erinnern ein Gedenkschild und ein blumengeschmückter Stern an das einstige Räuberrad, das als Wahrzeichen der „alten“ Volksbühne bis vor kurzem hier stand. Castorf hatte es bei seinem Abschied zum Theaterfestival in Avignon mitgenommen. Transport, Renovierung und Wiederaufbau kosten knapp 40 000 Euro.