Weltweit nehmen die Risiken für Künstlerinnen und Künstler zu. Einschränkungen in ihrer Arbeit, aber auch persönliche Angriffe bis hin zu Inhaftierungen treten immer häufiger auf. In Europa – also vor unserer eigenen Haustür – versuchen populistisch geprägte Regierungen und Parteien etwa in Italien, Ungarn, Polen und Tschechien Einfluss auf die jeweilige Kulturpolitik zu gewinnen. Die nmz will sich mit den Auswirkungen auf die Kulturpolitik und die Kulturfinanzierung in diesen Ländern befassen und auch die Entwicklungen, was den Kulturaustausch Deutschlands mit populistisch regierten Nationen angeht, genauer anschauen.
Unser Dossier „Kultur unter Druck“ geht das Thema aus zwei unterschiedlichen Gesichtspunkten an: Zum einen porträtiert Juana Zimmermann ein vom Auswärtigen Amt gefördertes weltweites Schutzprogramm von ifa (Institut für Auslandsbeziehungen) und Goethe-Institut. Es gibt gefährdeten Akteuren aus dem Kulturbereich die Möglichkeit, sich aus der Gefährdung hinaus in ein sicheres Land ihrer Heimatregion oder nach Deutschland zu begeben, um dort weiterzuleben und zu arbeiten. Namensgeber der Initiative ist der Kulturmanager und Museumsleiter Martin Roth. Roth verstarb am 6. August 2017 nach kurzer schwerer Krankheit in Berlin. Er war langjähriges Mitglied des Goethe-Instituts und zuletzt Präsident des ifa.
Zum anderen werfen wir einen Blick auf unser Nachbarland Polen, wo die rechtsnationale Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) Kulturpolitik als eine wirkungsvolle Waffe gegen die Opposition erkannt hat. Unser Autor Tomasz Kurianowicz spricht in seinem Essay sogar von einem Kulturkampf, der in Polen entbrannt sei.
Unter Dauerbeschuss von rechts
Polens Kulturminister will es wissen: Seit dem Sieg der rechtsnationalen Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) hat Piotr Glinski einen Kulturkampf in Polen ausgerufen, der im vollen Gange wütet und dessen Ende noch lange nicht in Sicht ist. Die rechte Hand von Jarosław Kaczynski, dem Vorsitzenden der rechtsnationalen PiS-Partei, will einen weit reichenden Mentalitätswechsel in Polen durchsetzen und hat die Kulturpolitik als eine seiner mächtigsten Waffen erkannt. Er weiß, dass er vor allem die Kulturinstitutionen reformieren muss, um seine Vision eines patriotischen, gläubigen Polen zu realisieren. Und das heißt wiederum: Die Theater und Opernhäuser, die Orchester und Museen werden von liberalen und prowestlichen Direktoren befreit und durch parteitreue Schergen ersetzt.
Aber nicht nur das: Etlichen liberalen Musik- und Theaterfestivals strich das Ministerium die Zuschüsse. Die Vermittlung von Patriotismus, Stolz und Glauben soll jetzt der wichtigste polnische Kulturpfeiler sein. Auch die polnischen Kulturinstitute – einer der Standorte befindet sich in Berlin – werden personell neu besetzt und nun mehrheitlich von erzkonservativen Köpfen geleitet. Sie sollen nun katholische Werte vermitteln und von Polens patriotischer Seele erzählen (und die vielen liberalen und urbanen Lebensstile verschweigen).
Die Theater setzen völlig neue Spielpläne um: Anstatt Klassiker der Theatergeschichte zu zeigen, konzentrieren sich die Spielstätten wie das Theater „Polski“ in Breslau auf leicht bekömmliche Dramolette, auf erbauliche Kleinstücke, die alles sein dürfen, bloß nicht linksliberal und weltoffen. Auch das weltberühmte Theater in Krakau sah sich kürzlich harschen Angriffen durch das Kulturministerium ausgesetzt: im Sommer 2017 musste der Direktor Jan Klata gehen, der das Haus in eine der führenden Spielstätten Europas verwandelt hat. Glinski, der sich im Mai im Parlament erfolgreich einem Misstrauensvotum gestellt hat, ging im Jahr 2015 sogar soweit, eine Inszenierung von Elfriede Jelineks Stück „Der Tod und das Mädchen“ vom Spielplan des Breslauer Theaters zu nehmen, weil er dessen Inhalt als obszön empfand. Die Opposition protestierte und sah darin einen Akt der Zensur. Derweil wird jede Kritik mit Ignoranz oder Wirklichkeitsverstellung beantwortet: Kürzlich sagte der Kulturminister in einem Interview mit dem Magazin „Wprost“, er und seine Partei würden durch die oppositionellen Kräfte wie die Juden damals durch Propagandaminister Goebbels behandelt. Ein Sturm der Entrüstung folgte, eine Entschuldigung des Kulturministers aber nicht.
Der Kulturkampf, der das Land von all seinen liberalen Kräften befreien soll, erinnert indes auf paradoxe Weise an das polnische Protestjahr 1968: Damals kulminierten die gesellschaftlichen Spannungen in einem Theaterskandal in Warschau, nachdem am Nationaltheater Adam Mickiewiczs Nationaldrama „Die Totenfeier“ aufgeführt worden war. Schnell machte unter den Kommunisten das Gerücht die Runde, das Stück weise freiheitliche Tendenzen auf. Der Kulturminister teilte mit, die Inszenierung müsse abgesetzt werden. Am Abend der letzten Vorstellung kam es unter den Zuschauern zu Protesten, es fielen Parolen wie: „Wir wollen Kultur ohne Zensur!“. Das Regime reagierte mit ganzer Härte und setzte eine Säuberungsaktion an Theatern, Universitäten und Institutionen durch. Die Kulturreform der Regierungspartei PiS folgt nun 50 Jahre später einer ähnlichen Logik – der Logik einer blinden, wilden Zerstörungswut. Zudem herrscht Nepotismus: nicht die Qualifikation ist für die Neubesetzung der wichtigsten Kulturposten Polens entscheidend, sondern allein das Parteibuch. Dieser Vandalismus, der sich durchzusetzen beginnt und Polens Kulturlandschaft für Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte lahmlegen könnte, gibt Einblick in das tief sitzende Unbehagen der Nationalisten gegenüber einem westlich geprägten, aufklärerisch-laizistischen Wertesystem, das als liberaler Brutplatz einer verbrämten Globalisierung gilt. Geschichte, Kultur, Verkehrssysteme – alles soll wieder polnisch werden (keine Fahrräder!). Doch was heißt eigentlich wieder?
Die Regierung will zu einem nationalen Urzustand zurück, den es in Wahrheit nie gegeben hat – schon weil Polen auf der Landkarte jahrhundertelang nicht existierte. Wegen der fehlenden Möglichkeit, an eine rein polnische (also weder deutsche noch russische) Kulturtradition anzuknüpfen, fällt es der PiS heute umso schwerer, die verbrannte Erde, die sie hinterlässt, ideologisch neu durchzupflügen. Stattdessen setzt sie auf eine Entlassungswelle von unbekanntem Ausmaß. Der Kulturminister hat seine Macht überall dort gezeigt, wo er personelle Weisungsbefugnis hat. Diese Schwächung der Strukturen erleichtert es dem PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczynski nun, die Gleichschaltung der Institutionen wie der Zivilgerichte und des Verfassungsgerichts ohne große Widerstände umzusetzen. Auch die staatlichen Fernseh- und Radioprogramme werden auf Parteilinie gebracht. Zugleich werden Fördergelder nur an jene Kultureinrichtungen verteilt, die sich für eine patriotische, nationalistische und katholische Kunst einsetzen. Das schafft Impulse für Eigenzensur. Das Jahr 2018 war ein perfektes Beispiel dafür: Die größten Fördergelder gingen an jene Institutionen, die das 100-jährige Bestehen der Republik Polen feierten – am besten mit unkritischer, patriotischer Kunst.
Kritisch-föderale Balance
Bislang gibt es noch eine kritisch-föderale Balance zwischen Landes- und Staatspolitik, die vor einem absoluten Despotismus schützt. Aber wie lange noch? Neue Gesetze könnten dank Kaczynskis absoluter Mehrheit im Parlament und der im letzten Jahr erfolgreich umgesetzten Justizreform auch die Weisungsbefugnis auf lokaler Ebene verändern – dann wären indirekte Eingriffe durch finanzielle Schikanen gar nicht mehr notwendig. Parallel dazu hat die Regierung eine Bildungsreform umgesetzt, die darauf abzielt, eine ganze Generation neu zu erziehen. Tatsächlich sind die ersten Effekte schon heute zu spüren: Die Unterstützung für die PiS bleibt hoch, die Angst vor ausländischen Kräften, Flüchtlingen und Biogemüse wächst. Wer den ganzen Tag im staatlichen Fernsehen Militärparaden sieht, im Theater zahnlose Komödien vorgesetzt bekommt und in den Kinos von Verschwörungstheorien hört, der geht mit dem Gefühl ins Bett, hinter den Landesgrenzen warte tatsächlich der Feind. Auch die Institutionen der klassischen Musik spüren den Wandel. Ein kurioses Beispiel ist der Protest eines Lokalpolitikers der PiS-Partei in Łódz, der wütend behauptete, an der städtischen Philharmonie würden zu viele „bolschewistische“ Stücke gespielt. Er bezog sich ganz explizit auf die Kantate „Alexander Nevsky“ von Prokofiev und auf die siebte Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch. Daraufhin schmiss der damalige Orchesterleiter Daniel Raiskin das Handtuch, der sich als Russe durch die Kritik verunglimpft sah.
Ein anderes Beispiel ist die „Polnische Königsoper“ in Warschau, die 2017 nach einem Personalstreit innerhalb der „Kammeroper Warschau“ von Kulturminister Glinski persönlich gegründet wurde, um eine neue Plattform zu bieten, um polnische Opern und christliche Werke aufführen zu können – und ganz nebenbei die Machtbefugnis des Kulturministeriums zu erweitern. So hat Glinski mittlerweile die wichtigsten Orchester und Opernhäuser in seiner Hand: Wunschkandidatin Ewa Bogusz-Moore wurde etwa diese Spielzeit Chefin des Polnischen Rundfunkorchesters in Kattowitze (NOSPR). Mithilfe dieser Machtausweitung kann Glinski nun seine nationalistischen und patriotischen Prestigeprojekte durchsetzen. Wie im vergangenen November, als das Kulturministerium das größte Konzertprojekt in der Geschichte Polens über die Bühne brachte: „100 auf 100“ hieß es und sah vor, am polnischen Unabhängigkeitstag, der sich zum 100. Mal jährte, 100 polnische Stücke an verschiedenen nationalen und internationalen Bühnen aufzuführen. Das polnische Rundfunkorchester nahm natürlich an der Aktion teil.
Aus- und Lichtblicke
Was wird nun passieren? Die PiS-Partei liegt in Umfragen immer noch vorne – bei stabilen 38 Prozent. Auch in der Kulturpolitik sitzt sie fest im Sattel. In den nächsten Monaten werden weitere Einschnitte im Kultursektor folgen. Das polnische Theaterinstitut sucht etwa nach einer neuen Leitung. Glinski hat bereits angekündigt, die Neu-Besetzung ohne eine Anhörung oder Bewerbungsphase durchsetzen zu wollen. Doch es gibt einen kleinen Lichtblick: Die liberale Bürgerplattform PO (Platforma Obywatelska) holt in den Umfragen auf und liegt bei 28 Prozent. Die Oppositionsparteien würden momentan auf ungefähr 50 Prozent kommen. Sie schnitten auch bei den Kommunalwahlen im November passabel ab. Mit anderen Worten: Noch hat die rechtskonservative PiS-Partei den Kulturkampf nicht gewonnen.
Siehe auch:
Atempause für verfolgte Künstlerinnen und Künstler
Schutzräume schaffen: Ein Porträt der Martin-Roth-Initiative