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Wenn die „Götterdämmerung“ fetzt

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Eine Berliner Initiative zur Förderung des Opern-Nachwuchses im Parkett
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Nicht selten ist die Auflösung von Orchestern im Gespräch, in Berlin sollten innerhalb weniger Jahre eines ausgelöscht, dann zwei andere fusioniert und nun ein weiteres drastisch verkleinert werden; mal steht dieses Opernhaus vor dem Abgrund, mal jenes vor dem Aus. Damit wird leicht der Eindruck vermittelt, als handele es sich bei jedem einzelnen Ensemble um eine Kulturimmobilie von konstantem Wert und als gelte es vor allem sie um ihrer selbst willen sowie wegen der in ihr gebündelten Arbeitsplätze zu erhalten.

„Stell dir vor es ist Oper, und keiner geht hin...“ Diese Vision, auf den Krieg bezogen noch immer eine Utopie, rückt für manchen Beobachter der Hochkulturszene allmählich in den Bereich der absehbaren Zukunft, nicht allein für das Operngenre. Wenn allerdings in den Medien über Krisen in unserem Kunst- und Kulturbetrieb berichtet wird, dann geht es auch hier vorzugsweise um Personalien, in Berlin etwa um Leitungskrisen in nahezu sämtlichen Opernhäusern und Orchestern, oder um Sparmaßnahmen, die Amputationen von Projekten und den Rücktritt von Chefdirigenten zur Folge haben. Nicht selten ist die Auflösung von Orchestern im Gespräch, in Berlin sollten innerhalb weniger Jahre eines ausgelöscht, dann zwei andere fusioniert und nun ein weiteres drastisch verkleinert werden; mal steht dieses Opernhaus vor dem Abgrund, mal jenes vor dem Aus. Damit wird leicht der Eindruck vermittelt, als handele es sich bei jedem einzelnen Ensemble um eine Kulturimmobilie von konstantem Wert und als gelte es vor allem sie um ihrer selbst willen sowie wegen der in ihr gebündelten Arbeitsplätze zu erhalten. Von langjährig treuen Abonnenten und der übrigen Fangemeinde, also von allen, denen der Opern- und Konzertbesuch einst im Elternhaus oder in der Schule anerzogen wurde, mag er noch heute als selbstverständliches Bedürfnis empfunden werden. Sie aber bilden von jeher eine Minderheit von weniger als 10 Prozent in unserer Gesellschaft, Tendenz rückläufig. Denn auch Familie und Bildungswesen unterliegen dem sozialen wie kulturellen Wandel, und von nichts kommt nichts, auch nicht das Bedürfnis nach „Walküre“ und Mahlers Fünfter, Mozarts Klavierkonzerten oder „König Hirsch“. Zudem konkurriert das Angebot von Oper und Philharmonie heute mehr denn je mit Popkultur und Medien, die jede Menge Unterhaltung anbieten, ohne den Konsumenten eigenes Bemühen um Verständnis und Freude abzufordern.

Blickverengung

Anstatt in einer demokratisch verfassten Gesellschaft das Prinzip der Chancengleichheit in der Persönlichkeitsentwicklung auch auf den Zugang zu den Künsten zu beziehen, ist die Tendenz unserer Bildungs- und Kulturpolitik mit der Verkümmerung der künstlerischen und allgemeinbildenden Schulfächer längst gegenläufig. Karl Heinrich Ehrenforth, der frühere Vorsitzende des Verbandes Deutscher Schulmusiker, hat diese Entwicklung auf der Jubiläumstagung des VDS kürzlich gebrandmarkt als „Blickverengung..., in der die Schule fast nur noch als wissenschafts- und berufspropädeutisches Institut gilt, nicht aber als mindestens ebenso wichtiges kulturpropädeutisches“. Vielfach mangelt es auch an qualifizierten Lehrern, die sich dem Sog des vordergründigen Nutzeffekts mit Engagement und kreativem Geschick entgegenzustemmen vermögen.

Da eine Trendwende aus eigener Einsicht und Kraft aber weder von der Familie noch von der Schule erwartet werden kann, empfiehlt Ehrenforth, erfahren in Unterricht und Lehrerausbildung, die „basale Musikerziehung allen kulturellen Trägern im Lande zuzumuten“ und sich dafür einzusetzen, dass die mit Steuermitteln geförderten Kulturinstitutionen auf eine „Mitwirkung verpflichtet werden, die ihre Existenz als Institution, die allen Bürgern offen steht, nachhaltig festigen würde. Das gilt für unsere Kulturorchester, für die Opernhäuser, Musicaltheater, Rundfunkanstalten und Musikhochschulen.“

Manche Orchester- und Opernchefs mögen sich schon länger mit dem Gedanken befasst haben, dass sie sich um den Nachwuchs nicht nur oben auf dem Podium und auf der Bühne, sondern auch im Parkett und im Rang bemühen müssen. So sind die Berliner Symphoniker auf ihre mittlerweile seit 25 Jahren durchgeführten „Konzerte für die ganze Familie“, auf das Vorstellen von Musikern und Instrumenten in Schulen und Jugendheimen stolz. Auch andere Häuser bieten gelegentlich Programme für Kinder an. In Berlin gab es in letzter Zeit „Hänsel und Gretel“ auch im Foyer „für die ganz Kleinen“ (Deutsche Oper), „Die Entführung“ als „Singspiel für Kinder“ und „Eine musikalische Schlittenfahrt“ in der Reihe „BSO für Kinder“ (beides im Konzerthaus), und die Berliner Symphoniker füllten mehrfach die Philharmonie sowie das Freizeit- und Erholungs-Zentrum, kurz FEZ, in der Wuhlheide – wieder einmal mit „Peter und der Wolf“.

Türen öffnen

Das alles soll auch sein, denn es öffnet Kindern und manchen Erwachsenen die Türen zu den Kulturtempeln, regt hier und da vielleicht auch an, bei anderer Gelegenheit wieder zu kommen. Allzu groß wird der Zubringereffekt zum „Normalrepertoire“ aber nicht sein, wenn Konzert und Oper in der Kinderpackung geboten werden. Auch wenn die Schlittenfahrten, Weihnachtsmärchen und Karnevals der Tiere allemal Kassenschlager bei Niedrigpreisen sind, so schimmert bei derlei Veranstaltungen häufig doch das Feigenblatt durch: Manche Intendanten meinen, so ihrer Pflicht zur Publikumsnachwuchsgewinnung mit kleinen Besetzungen und geringem Aufwand Genüge zu tun. Der Schritt aber von Peter und dem Wolf zu Toska, vom animalischen Karneval zur Bruckner-Symphonie ist zu groß, als dass der Spaß an dem einen zugleich Zugang zum anderen eröffnen könnte. Das Wachstum kultureller Ansprüche kann nur mit sich steigernden Herausforderungen gefördert werden, freilich ohne dabei den Spaß durch falsche Pädagogik auszutreiben.

Hier nun setzt ein Projekt an, das auf Initiative des Fagottisten Holger Simon seit 1995 bereits an der Deutschen Oper Berlin entwickelt worden ist und jetzt als Gemeinschaftsprojekt der DOP mit der Dresdner Bank als Hauptsponsor vorgestellt wurde unter dem (sich ein wenig anbiedernden) Motto „Klassik is’ cool“ – selbstverständlich auch im Internet zu finden (www.klassikiscool.de

Das Konzept, mit dem Schüler „für die klassische Musik der Oper und des sinfonischen Repertoires begeistert“ werden sollen, ist in seinen Bestandteilen nicht ganz neu erfunden, aber das ist gewiss kein Nachteil. Holger Simon hat neben seinem Orchesterdienst über Jahre im Stillen und ehrenamtlich gewirkt, hat zunächst noch bestehende Widerstände in der Deutschen Oper überwunden und den Kreis der Mitstreiter ständig erweitern können. Auf der anderen Seite ist die Zahl der am Programm teilnehmenden Schulen ebenso stetig gewachsen: 1995 hat man mit fünf Schulen im Standortbezirk der Deutschen Oper, Charlottenburg, begonnen, inzwischen konnten in einem Jahr nicht weniger als 30.000 Schüler sämtlicher Schularten in allen 23 Berliner Bezirken einbezogen werden und von einem auch inhaltlich expandierenden Angebot profitieren.

Das bereits bewährte dreistufige Stamm-Modell sieht zunächst die Einführung in eine von der Schule gewünschte Oper aus dem Repertoire der DOB durch einen dem Projekt-Team angehörenden Referenten im Schulgebäude vor, danach erfolgt ein Lokaltermin an der Bismarckstraße, bei dem die Schüler den Teil des Opernhauses kennen lernen, der dem Besucher ansonsten nicht zugänglich ist – Bühne mit Bühnentechnik, Kostüm- und Kulissenfundus, Werkstätten und Probenräume, sämtlich in Funktion –, häufig verbunden mit dem Besuch einer Arbeitsprobe, so dass der Erarbeitungsprozess eines Werkes erfahrbar wird. Krönender Abschluss eines von den allermeisten Teilnehmern als cool bewerteten Opernerlebnisses ist der – wohlgemerkt freiwillige – Besuch einer Vorstellung, zum Jugendtarif „knapp unter Kino“, aber auf Plätzen deutlich über Bundesliga-Preisklasse.

Als in der letzten Spielzeit einmal eine große Schülergruppe bei der Hausführung ungeplant in eine Orchesterprobe zum „Rheingold“ geriet, waren die 14 bis 16-Jährigen von dieser Musik so fasziniert, dass sie anschließend ihren Musiklehrer bedrängten, einen Besuch dieser Oper zu arrangieren. Das Projekt-Team tat sein Möglichstes, und so „wurden schließlich 180 Schüler an vier Sonntagen durch den ganzen ‚Ring’ gebracht“, denn alle waren Wagnersüchtig geworden. Ein wichtiger Seitenaspekt: Solange der Kartenvorrat reicht, können die Schüler zum selben Kinotarif auch Freunde, Eltern oder den Hausmeister ihrer Penne mitbringen. Viele haben auf diese Weise ihren ersten Opernbesuch erlebt, nur für wenige, so verlautet von der Projektleitung, war es auch der letzte.

Ideen weitergeben

Inzwischen ist „Klassik is’ cool“ auch auf den Ballett- und den Konzertbetrieb der Deutschen Oper ausgeweitet worden, und es gibt bereits Ansätze zur Kooperation mit anderen Häusern. Die Deutsche Oper Berlin lässt sich das alles gerne gefallen, kommt sie doch durch coole Klassik, durch Teenager-Fans in der „Götterdämmerung“ lieber ins Gespräch als durch häufig nur schütter besuchte Vorstellungen oder Intendanten-Knatsch.

Dennoch betonen die Projektinitiatoren, dass es sich hier nicht um ein Marketing-Sofortprogramm handele, sondern um eine auf Langzeitwirkung zielende Strategie, für die Oper und das Orchesterkonzert ein jüngeres und sozial breiter gestreutes Publikum zu gewinnen.

Man möchte nicht nur ihnen dabei weiterhin eine glückliche Hand und einen treuen Sponsor wünschen, sondern die Realisierung der Idee oder ähnlicher Konzepte an vielen Häusern, gestützt auch in den Chefetagen und nicht allein angewiesen auf private Förderer. Über das Fortbestehen unserer künstlerischen Ensembles und Einrichtungen werden deren Selbstverständnis und Flexibilität, die Formen ihrer Präsentation sowie die Strategie zur Erneuerung und Erweiterung eines begeisterten und sachkundigen Publikums letztlich mehr entscheiden als die Ehrwürdigkeit der eigenen Tradition. Ob Berlin in Zukunft zwei oder drei Opernhäuser „braucht“, ob da vier, sechs oder zehn professionelle Orchester existieren, wird insofern auch von ihnen selbst zu entscheiden sein.

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