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Deutsches Chorfest
Deutsche Chorszene im Umbruch. Foto: Alexander Zuckrow
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Wenn Sanges-Tradition stirbt - Deutsche Chorszene im Umbruch

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Stuttgart - Das Sterben traditionsreicher Chöre in Kleinstädten und Dörfern kann nach Ansicht des Deutschen Chorverbands (DCV) mit Fusionen oder Neugründungen gestoppt werden. Vielfach könne der Zusammenschluss mehrerer sterbender Chöre eine Lösung sein, sagte DCV-Geschäftsführer Moritz Puschke. Männergesangsvereine ohne Nachwuchs könnten in einem gemischten Chor überleben. Auch Neugründungen könnten ein Rezept sein, um einen Chor mit nicht selten 150-jähriger Tradition nicht beerdigen zu müssen.

 

Der Hilferuf des Männergesangsvereins kommt per Mail. Moritz Puschke, Geschäftsführer des Deutschen Chorverbands, hat schon viele solcher Schreiben bekommen. Den Inhalt fasst er so zusammen: «Helft uns bitte. Wir sind nicht mehr singfähig. Wir sind nur noch 14 alte Männer. Wir haben keinen Nachwuchs mehr - und wir müssen jetzt unseren Chor beerdigen.» Die deutsche Chortradition stirbt.

«Wahnsinnig traurig», findet Puschke das. Schließlich hätten solche Chöre viele kleine Städte oder Dörfer über 150 Jahre geprägt. Doch es wächst was nach: Für die sterbenden Traditionschöre kämen fast ebenso viele andere nach. Belege dafür gibt es vom 26. bis 29. Mai beim Deutschen Chorfest in Stuttgart. Zehntausende Chorsänger werden zu einem der international größten Musikfestivals erwartet.

Nach Angaben des Chorverbands ist die Szene im Wandel: «Das Singen in Männerchören oder traditionellen Gesangsvereinen, das geht total zurück», sagt Puschke. Es sei eben nicht mehr wie früher: Wo ich wohne und arbeite, da singe ich auch. Bindung gehe verloren.

Deutschlands Chorlegende Gotthilf Fischer (88) warnt vor einem damit einhergehenden Verlust des deutschen Liedguts. «Vergesst mir das deutsche Lied nicht», sagt der Erfinder der «Fischer-Chöre». Gesungen würden die «wunderbaren deutschen Lieder» nur noch von aussterbenden Männerchören. Die Jugend wolle leider nur noch englisch singen. Kaum ein Lehrer traue sich, deutsch singen zu lassen.

Puschke sieht keinen Grund zu klagen, schließlich gebe es parallel zum Rückgang bei Traditionschören einen fast gleichgroßen Zuwachs - «in den Großstädten, wo es Universitäten gibt, wo es Musikhochschulen gibt, wo Leute hinziehen.» Dort gründeten sich Vocal-Pop- und Jazz-Chöre mit zeitgemäßem Repertoire à la Wise Guys. «Vocalgruppen schießen wie Pilze aus dem Boden.» Ebenso wie Kammerchöre mit sehr hohen Ansprüchen an Chorleiter, Repertoire oder Aufführungspraxis.

Das Deutsche Musikinformationszentrum geht von geschätzt vier Millionen Menschen aus, die in einem Chor singen. Die Zahl der Sänger in den 60 000 Chören der Kirchen und der organisierten Szene gibt der Deutsche Musikrat mit 2,2 Millionen an. Hinzu kommt mehr als eine Million Sänger in diversen Chören der freien Szene. Die Zahlen belegen steigendes Interesse junger Sänger: Anfang 2012 registrierte der Deutsche Musikrat knapp 309 000 Kinder und Jugendliche in Chören, zwei Jahre später waren es 379 000.

Der Zuwachs an Kinder- und Jugendchören mache Mut, so Puschke. Und dass, obwohl aus seiner Sicht an vielen Grundschulen nicht fachgerecht Musik unterrichtet werde. «Wir müssen uns um die Erzieherinnen in den Kindergärten kümmern», fordert Puschke. Sie gelte es fortzubilden. Denn: Sei das gemeinsame Singen erst mal drin in einem, bleibe man auch dabei. Wenn Kinder «ganz natürlich bei sich haben, dass das Singen zu ihnen gehört», dann falle es ihnen auch in Zeiten von Stimmbruch und Pubertät leichter, dazu zu stehen.

Vorbild könne das Qualifizierungsprogramm «Die Carusos. Jedem Kind seine Stimme» für Kindergärten sein, sagt Puschke. Es gelte auch, Lehrpläne zu verändern und Musiklehrer beim Thema Singen fortzubilden. Vieles habe sich schon getan. So gebe es «inzwischen keine Musikhochschule mehr, wo man Musik auf Lehramt studiert, ohne dass man grundständig Chorleitung gelernt hat.» Schlimm genug, dass dies mal möglich war, sagt Puschke. Studien belegten, dass Chorsingen nicht nur persönlichkeitsbildend und gesundheitsfördernd ist, sondern auch das Sozialverhalten verbessere. «Man teilt Erfolg in einer Gruppe.» Und jeder könne mitmachen - ohne fünf Jahre Unterricht.

Und was rät er dem Männergesangsverein mit dem Hilferuf? Zunächst mal analysieren, sagt Puschke. Vielfach sei die Fusion mehrerer sterbender Chöre eine Lösung. Oder eine Neugründung, etwa als «70 plus in Schwäbisch Gmünd». «Man macht aus dem Altsein 'ne Marke.» Es gebe Rezepte, aber die setzten Offenheit und Neugierde voraus - «und wahrscheinlich auch die Akzeptanz, ein Stück weit Tradition und auch Stolz abgeben zu müssen».

 

Daten und Fakten zum Deutschen Chorverband:

- Der Deutsche Chorverband (DCV) vereint mehr als 1,4 Millionen singende und fördernde Mitglieder in rund 21 000 Chören.

- Als Dachverband seiner 29 Mitgliedsverbände und der Chorjugend ist er die weltweit mitgliederstärkste Organisation der Amateurmusik.

- Weltweit bekennen sich 450 Chöre auf allen fünf Erdteilen zur Mitgliedschaft im DCV - Chöre zwischen Windhuk und Tokio.

- Die Bewegung der Laienchöre geht zurück auf Vorläufer der bürgerlichen Revolution in Deutschland Ende des 18. Jahrhunderts.

- Im 19. Jahrhundert erlebt das Singen eine Blüte. Für Revolutionäre, Burschenschaftler und Studenten ist es wichtige Ausdrucksform.

- Die meisten Komponisten des 19. Jahrhunderts schaffen auch Werke für Chöre und fördern die Bewegung damit.

- 1862 gründet sich der erste Dachverband für das Singen, der Deutsche Sängerbund.

- 2005 gehen mit dem Sängerbund und dem Deutschen Allgemeinen Sängerbund die bürgerliche und die Arbeitersängerbewegung im neuen Deutschen Chorverband auf.

 

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