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Cornelius Hauptmann. Foto: Anette C. Halm
Cornelius Hauptmann. Foto: Anette C. Halm
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Wenn’s an’s Eingemachte geht, sind alle gleich

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Das nmz-Gespräch mit dem neu gewählten Präsidenten des DTKV, Cornelius Hauptmann
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„Cornelius Hauptmann, Bass und Gesangspädagoge, Mitwirkender in unzähligen Bühnenproduktionen und Schallplattenaufnahmen, ist seit einem Jahr Vorsitzender des Vorstands im baden-württembergischen Landesverband des Deutschen Tonkünstlerverbandes (DTKV).“ Diese Meldung aus der neuen musikzeitung vom Dezember 2013 ist von gestern, denn im April dieses Jahres wurde Hauptmann in das Amt des Präsidenten des DTKV-Bundesverbandes gewählt und löst damit den langjährigen DTKV-Chef Dirk Hewig ab. Damit steht wieder ein international renommierter Künstler an der Spitze des DTKV. Andreas Kolb traf sich in Stuttgart mit dem neuen Präsidenten und sprach mit ihm über seine Pläne.

neue musikzeitung: Kein Musikpädagoge, kein Jurist, nein, ein Künstler an der Verbandsspitze des DTKV. Was bedeutet diese Tatsache Ihrer Meinung nach?

Cornelius Hauptmann: Ich weiß, um was es geht beim Musikmachen. Ich weiß, wo Musik, wo musikalische Bildung herkommt: aus der Veranlagung einerseits, ganz klar, dann aber auch aus dem Faktum, dass die Eltern, Mütter, Kindergärtnerinnen von Anfang an mit Kindern singen. Das Erste, was musikalische Qualitäten im Menschen fördert, ist das Singen. Wenn man merkt, dass viele Kinder „Der Mond ist aufgegangen“ nicht mehr kennen, andererseits schwerstdemente Menschen alle sieben Strophen mitsingen können, wird man nachdenklich. Das war der Anstoß vor fünf Jahren, mit dem Liederprojekt, gemeinsam mit Carus Verlag und SWR, anzufangen. Das war mein Einstieg in die kulturpolitische Arbeit. Durch das Liederprojekt kam ich in die Kindergärten und Schulen, auch in Seniorenheime. Damals wurde mir bewusst: Unsere „Jugend musiziert“-Teilnehmer hatten und haben gute Bedingungen in ihrem Leben, sonst könnten sie nicht teilnehmen.

nmz: Wie war das bei Ihnen mit dem Singen?

Hauptmann: Ich stelle fest, dass meine Eltern ein paar Sachen richtig gemacht haben. Mein Vater war Thomaner, der zwar später die Ingenieurslaufbahn einschlug, meine Eltern aber haben mit uns drei Kindern jeden Tag gesungen. Ich bin in Esslingen am Neckar auf die Grundschule gegangen. Da hatten wir eine Lehrerin, die sang jeden Tag mit uns. Samstags wurde eine ganze Stunde gesungen. Das weiß die ganze Klasse noch heute: Das „Vöglein im hohen Baum“ von Friedrich Silcher – um nur ein Beispiel zu nennen – hat sich unauslöschlich eingeprägt, auch wenn ich damals noch nicht wusste, dass es von Silcher war. So etwas ist ein Glücksfall. Als Siebenjähriger sang ich dann schon im Kinderchor des Süddeutschen Rundfunks. Interessanterweise ist unsere baden-württembergische Ministerin Theresia Bauer kürzlich darauf gekommen, dass sie das Fach Musik an der Grundschule wieder einführen will. Sie hat allerdings noch nicht gesagt, wer das unterrichtet. Die an Pädagogischen Hochschulen ausgebildeten Lehrer haben möglicherweise kein Hauptfach Musik gehabt, sondern ganz andere Fächer belegt.

nmz: Was hat das mit dem DTKV zu tun?

Hauptmann: Der DTKV ist eine bundesweite Vertretung von über 8.000 Musiklehrern und freien Musikern. Die unterrichten in der Woche etwa 100.000 Kinder und Jugendliche. Diese Kinder sind bereits privilegiert, weil ihre Eltern das wollen und den Unterricht bezahlen, egal ob privat oder an einer Musikschule. Viele Eltern denken dabei zurecht nicht nur an die musikalische Bildung ihres Kindes, sondern sehen auch, dass musikalische Bildung darüber hinaus Konsequenzen hat. Etwa eine besondere Fähigkeit zur Empathie oder eine besondere Sprachkompetenz. Die Vorteile des sich aktiv mit Musik Beschäftigens gehen weit über das Künstlerische hinaus, reichen weit in das normale Leben hinein.

nmz: Man könnte sogar Popstar werden, wie etwa Sebastian Krumbiegel, der auch Thomaner war und dann ins Feld der leichten Musik wechselte.

Hauptmann: Das schließt sich nicht aus. Auch ich habe eine Karriere als Rockmusiker hinter mir. Ich gehörte zu den Mitbegründern der Deutschrockgruppe Eulenspygel und war da viele Jahre aktiv als Querflötist. Ich habe Klassik und Rock gleichzeitig gemacht. Das hat sich nicht gegenseitig gestört, denn die Flöte habe ich wie Jethro Tull gespielt – mit Reinsingen und so –, und mit dem Schulorchester spielte ich Bachs h-Moll-Suite als Solist. Ohne Reinsingen.

nmz: Warum wurde Ihr Wiegenliederprojekt ein derart großer Erfolg beim Publikum? Welchen  Punkt haben Sie da getroffen?

Hauptmann: Es wurde angenommen, weil offensichtlich ein großer Bedarf da war. Der Erfolg liegt nicht nur an mir, sondern besonders auch an den Kollegen, die gesungen haben. Ich hatte quasi einen Joker bei der Sängerauswahl, denn ich kannte alle Kollegen und habe sie alle „mitgebracht“. Bis auf zwei Personen habe ich nur Zusagen bekommen, zuletzt übernahm sogar die Kanzlerin die Schirmherrschaft. An der Begeisterung der Kollegen merkte ich, dass es ihnen wichtig war, denn es gab kein Geld, zum Teil zahlten sie ihre Spesen selber. Die Wiegenlieder sind mein Baby, für die darauf folgende Ausgabe Volkslieder habe ich die Auswahl der Lieder noch mit übernommen, dann hat es sich verselbständigt, das ist mir aber recht. Der Carus Verlag hat inzwischen über 400.000 Euro eingenommen, die – nach Zuwendungen an andere Projekte – an „Ganz Ohr“ gehen, eine Stiftung für das Singen mit Kindern, die mit der Musikhochschule Hannover zusammenhängt.
Ich erinnere mich noch sehr gerne an die Wiegenlieder-Gala vor fünf Jahren in der Stuttgarter Oper: Sie war nach vier Wochen ausverkauft, Vater und Sohn Prégardien haben gesungen, der Kinderchor der Oper, das SWR Vokal­ensemble und andere. Da saßen die Leute im Publikum und heulten. Da merkte man, da war etwas verschüttet, da war ein Bedürfnis da.

Ich hatte im Laufe meines Lebens mit Menschen aller Couleur zu tun: von ganz klein bis ganz groß. Mit Hilfsbedürftigen, Alten, Behinderten, mit Studenten und mit großen Stars: Ich merke immer stärker, dass sich alle ähnlich sind, vor allem, wenn’s an’s Eingemachte geht, wenn es darum geht, was Menschen miteinander verbindet. Beim gemeinsamen Singen ist es egal, wer du bist, wo du herkommst: Wir müssen uns einigen auf das Lied, die Geschwindigkeit, Tonhöhe, Text und Dynamik – aber es geht nicht darum, wer lauter singt oder als Erster fertig ist.

nmz: Zum DTKV: Was sind Ihre aktuellen Herausforderungen als Präsident in der nächster Zeit?

Hauptmann: Wie kriegen wir die Kinder dazu, Musik zu machen, wenn keine Zeit da ist. Stichwort Schulzeitverdichtung. Ich kenne Kollegen, die unterrichten inzwischen Samstag und Sonntag, weil die Schüler sonst keine Zeit haben. Geht gar nicht.

Letztlich gibt es nur die Lösung, dass man den Flötenunterricht auch zur schulischen Veranstaltung deklariert. Da ist das baden-württembergische Kultusminis­terium sehr engagiert: Der Tonkünstlerverband unterzeichnete kürzlich eine Rahmenvereinbarung mit dem Land (vgl. Seite 52). Die Ganztagsschule wird insofern geöffnet, dass qualifizierte Fachkräfte von außen reinkommen können. Das sollte man nach ganz Deutschland rüberbringen. Schulen sollten in Zukunft selbst entscheiden können, ob G8 oder G9, ebenso die Strukturierung von Ganztagesschulen. Bei dieser Wahlfreiheit geht es nicht nur um Musik, sondern auch um Sport, Tanz und Ballett. Letztlich darum, Energieräume zu schaffen für die Kinder. Sicherlich sollten junge Menschen auch ein paar Stunden pro Woche „nichts“ machen, in den Wald gehen, spielen, vielleicht Apfelkuchen backen.

nmz: Eines der meistgebrauchten Wörter in der nmz 2013 war „prekär“. Ein Teil unserer Klientel lebt unter nachweislich unsicheren Lebensumständen.

Hauptmann: Sie sprechen hier von der Situation der Lehrbeauftragten, der freien Musiker und anderen. Ich wurde vor kurzem zu diesem Thema vom Kulturministerium Baden-Württemberg zu einer Fragestunde eingeladen. Dort konnte ich meine Meinung und die Sicht des DTKV darlegen. Das Durchschnittseinkommen unserer Klientel beträgt nach wie vor etwa 14.000 Euro. Aber einiges konnten wir auch bewegen: Die KSK haben wir gerettet, die 19 Prozent Umsatzsteuer bei den freien Musikern konnte abgewendet werden. Ich muss hier meinen Vorgänger, Herrn Hewig, loben, der bei diesen Themen sehr engagiert war und der – gerade auch mit seinem ministerialen „Background“ – sehr viel für den DTKV erreicht hat. Daran will ich anknüpfen.

nmz: Wann kommt die Rundfahrt durch die Republik?

Hauptmann: Die hat schon begonnen, da wir unsere Präsidiumssitzungen und Delegiertenversammlungen immer in anderen Bundesländern durchführen. So werde ich mit den örtlichen Gegebenheiten und dem landestypischen Zeitgeist vertraut. Ich habe eine sehr selbstständig agierende Geschäftsführerin, Elisabeth Herzog-Schaffner in Passau. Ich bin ein Netzwerker und hoffe, mit meinen Kontakten dem DTKV Gehör bei Politik, Ministerien und Hochschulen zu verschaffen. Was mir am Herzen liegt, ist das Werben für mehr Mitglieder. Zwei Drittel aller DTKV-Mitglieder kommen aus Bayern und Baden-Württemberg. Da machen wir uns im Präsidium derzeit verstärkt Gedanken darüber, wie man neue Leute ins Boot holt. Die Fahrt führt übrigens auch aus der Republik hinaus zu den Schweizer Eidgenossen: Bei der nächsten D-A-CH-Tagung in Winterthur werden Fragen kultureller Bildung im Raum stehen.

nmz: Wie ist der Kontakt zu anderen Verbänden?

Hauptmann: Ich bin noch im Vorstand der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie sowie bei der Stiftung „Singen mit Kindern“ und im Landesmusikrat Baden-Württemberg. Aktuell halte ich es für die wichtigste Aufgabe des DTKV – in Zusammenarbeit mit Deutschem Musikrat und Deutschem Kulturrat –, auf dieses seltsame Freihandelsabkommen TTIP derart Einfluss zu nehmen, dass Bildung, Kultur und Medien rausfallen. Unsere Absicht ist es, dass man das in eine Positivliste umbaut. Wer nicht unterschrieben hat, ist automatisch auch nicht betroffen.

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