Frauen gröhlen mit tiefen Stimmen. Männer schminken sich und haben lange Haare. Nicht? „Ist doch primitiv, dass wir immer noch über Geschlechter sprechen“, entfuhr es der Vokalartistin Angela Gossow, Frontfrau der Metal-Band Arch Enemy, während einer Podiumsdiskussion. Vielleicht kommt die Musikwissenschaft ja auch irgendwann zu dieser Einsicht. Gegenwärtig ist sie noch damit beschäftigt, zur Kenntnis zu nehmen, dass es so etwas wie „Geschlecht“ überhaupt gibt.
Zum Beispiel im Rahmen von „History – Herstory“, einem Forschungsprojekt der Kölner Hochschule für Musik und Tanz, das sich eine „symmetrische Musikgeschichte“ zur Angelegenheit gemacht hat. Als Beitrag dazu richtete die Kölner Hochschule nun unter Federführung von Florian Heesch mit großer Resonanz eine internationale Konferenz zum Thema „Heavy Metal and Gender“ aus – die erste weltweit, die Heavy Metal unter diesem Gesichtspunkt betrachtete.
Was „Gender“ ist, weiß der Kulturwissenschaftler durch Judith Butler, die 1990 ihr „Unbehagen der Geschlechter“ – so der deutsche Titel ihres folgenreichen Buches – geäußert hat. Seither unterscheidet die Forschung zwischen dem biologischen Geschlecht – „sex“ – und dem kulturell und sozial erlernten – „gender“. Während das eine gegeben ist, entsteht das andere performativ. Und das macht es für die Beobachtung so spannend. Mit „Heavy Metal“ fiel die Wahl der Kölner Konferenz auf ein musikalisches Feld, in dem solche Geschlechterrollen seit den Anfängen in den frühen 1970er-Jahren immer wieder auf extreme Weise durchgespielt worden sind. Darauf verwies zunächst Deena Weinstein (Chicago), die erste Forscherin, die Anfang der 1980er-Jahre „Metal“ überhaupt einer wissenschaftlichen Betrachtung für wert erachtet hat. In ihrer launigen Keynote skizzierte sie anhand des Wandels von männlichen und weiblichen Geschlechterrollen im Metal eine Geschichte dieses musikalischen Genres und seiner zahlreichen unterschiedlichen Ausformungen zwischen Mainstream und Gegenkultur. Das Leitmotiv vieler Metal-Songs, sich neu aufzurichten und trotz aller Widerstände gegen das Böse zu kämpfen, formte sich ihrer Ansicht nach als Kompensation des Machtverlusts der Männer. Gegen Frauenbewegung, Pille und die Schlappe in Vietnam half offenbar die ostentativ zur Schau getragene maskuline Vitalität, die ihren Ausdruck zum Beispiel in tiefen Stimmen, blanken, muskulösen Oberkörpern und größtmöglicher Potenz, also Lautstärke, findet.
Weil’s dem Mann ans Leder ging, zogen sich die jungen weißen Männer – nach wie vor die Hauptgruppe der Metal-Anhänger – ganz in Leder an. Doch Männlichkeit wurde auch auf offener Bühne dekonstruiert, so zum Beispiel von Bands wie Mötley Crüe, die in ihrem Auftreten und ihrer Musik mit weiblichen Signifikanten spielen. Später erlebte man Typen wie Ozzy Osbourne – als Sänger von Black Sabbath ein Metal-Rocker der ersten Stunde –, die nur noch ihre gebrochene Männlichkeit vorzuführen haben: Verfall eines männlichen „role models“. Die gegenwärtige Szene ist charakterisiert durch einen spielerischen Umgang mit Attributen beider Geschlechterrollen. Ein Trend, der seine massentaugliche Verkörperung in Marilyn Manson findet.
So wurde – trotz symmetrischer Ansätze – doch wieder viel über Männer gesprochen. Kein Wunder, spielt die Frau im Metal doch traditionell eher eine untergeordnete, man könnte auch sagen: unterworfene Rolle. Es war eine Stärke der Kölner Konferenz, mit Doro Pesch (einst Warlock, heute Doro), Sabina Classen (Holy Moses) und Angela Gossow (Arch Enemy) drei exponierte Protagonistinnen des „Hard Rock“, wie er noch bis Anfang der 1980er-Jahre in Deutschland hieß, mit ins Boot geholt zu haben. Sie füllten die theoretischen Erörterungen mit einem Hauch von Sex, Drugs & Rock’n’roll. Doro und Holy Moses beschlossen die Konferenz mit einem Konzert in der Kölner Live Music Hall – der Gegenstand der wissenschaftlichen Erörterungen geriet nicht aus dem Blick. Zudem erteilte Angela Gossow eine Lehrstunde zum Thema „Growlen“, ein aggressiv-düsteres, klangfarblich extrem verfremdetes, geräuschhaftes Singen unter Einbeziehung der „falschen Stimmbänder“, das sie beherrscht wie keine zweite. Ihr spielerischer Wechsel zwischen „monsterähnlichen Geräuschen“ und natürlichem Sprechen führte den Unterschied dieser „gesunden Stimmtechnik“ und dem Grunzen männlicher Fitnessstudiobesucher beim Bankdrücken plastisch vor Augen.
Man hätte sich gewünscht, dass neben den anwesenden Wissenschaftlern und Metalheads die ein oder andere unter gleichem Dach beheimatete Gesangsklasse der Vorführung beigewohnt hätte.
Neben allem Wissens- und Bedenkenswerten, das diese Konferenz in Hinblick auf die vielfältige Ausdifferenzierung des Heavy Metal, Männlichkeit und Rassismus, Fans und Szenen, Globalisierung und die geschlechtliche Konnotation von Instrumenten noch zu bieten hatte, bleibt nicht zuletzt eine Begegnung mit neuer, vom Metal inspirierter Kammermusik in Erinnerung, die das ensemble cras zusammengestellt hatte: „Kammer-Metall“, darunter Werke von Bernhard Gander, Iris ter Schiphorst und Malin Bång.
Im Aufeinandertreffen dieser gänzlich anderen Neuen Musik mit den Metal-Diven und ihren Fans offenbarte sich rasch, dass einige klangliche Anleihen bei der Rockmusik oder oberflächliche Allusionen mitnichten dazu ausreichen, den Eindruck zu vermitteln, es ginge um etwas nur entfernt Verwandtes, wenn von „Metal“ und von „Neuer Musik“ die Rede ist. Vielleicht wäre dies ja ein bedenkenswerter Ansatz, wenn die Kölner Musikhochschule das nächste Mal ihren Blick auf Asymmetrien richtet: Was nennen wir eigentlich Musik? Jetzt mal unabhängig vom Geschlecht.