Zwischen den Jahren 2006 und 2014 haben durchschnittlich 50 Prozent Mädchen oder junge Frauen den Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ gewonnen. Stehen die Soloinstrumente Klavier, Harfe, Geige oder Gesang im Vordergrund, liegt der Anteil der Preisträgerinnen sogar deutlich über 50 Prozent, so beispielsweise im Jahr 2008, als die Soloinstrumente Klavier, Harfe und Gesang gewertet wurden und 57 Prozent Preisträgerinnen zu verzeichnen waren. Werden Blasinstrumente gefordert, sinkt der Anteil der Preisträgerinnen unter 50 Prozent wie beispielsweise im Jahr 2006 mit einem Anteil von Preisträgerinnen von 46 Prozent und den Soloinstrumenten Blasinstrumente, Zupfinstrumente, Orgel und Musical.
Wer spielt also die Musik in der Zukunft? Werden die Orchester weiblicher? Wird es in der Zukunft vor allem Solistinnen geben? Werden Dirigentinnen die Pulte erobern? Werden in der Zukunft vor allem Werke von Komponistinnen gespielt? Anders als bei der Kaffeesatzleserei geben Datenanalysen der Vergangenheit zumindest Hinweise darauf, wie die künftige Entwicklung verlaufen könnte.
Der Deutsche Kulturrat hat mit der Studie „Frauen in Kultur und Medien. Ein Überblick über aktuelle Tendenzen, Entwicklungen und Lösungsvorschläge“ unter anderem eine umfängliche Datenanalyse zur Ausbildung von Frauen in künstlerischen Berufen, zur Präsenz von Frauen in der Leitung von Kultureinrichtungen und öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, zur Partizipation von Frauen an der individuellen Künstlerinnen- und Künstlerförderung sowie zu den Verdiensten von freiberuflich tätigen, in der Künstlersozialversicherung versicherten Künstlerinnen und Künstlern vorgelegt. Um es gleich vorweg zu nehmen, obwohl sich in den letzten Jahren einiges in Sachen Gleichstellung getan hat, gibt es immer noch deutliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern, was die oben genannten Parameter anbelangt.
Besonders spannend ist dabei der Musikbereich, gerade weil es hier ein so ausdifferenziertes Fördersystem gibt, weil hier die Verbändelandschaft besonders ausgeprägt ist, weil die Ausbildung an Hochschulen weltweit anerkannt ist oder, um es auf einen Begriff zu bringen, weil Deutschland Musikland ist.
Ausbildung von Musikerinnen und Musikern
Im Vergleich zu den anderen künstlerischen Studiengängen, in denen Frauen teilweise mehr als die Hälfte der Studierenden zählen, beträgt der Anteil der Studentinnen an den Studierenden in der Fächergruppe Musik/Musikwissenschaft in den letzten 20 Jahren im Durchschnitt 47 Prozent. Demgegenüber liegt der Studentinnenanteil in der Fächergruppe Kunst/Kunstwissenschaft bei 79 Prozent, in der Fächergruppe Bildende Kunst bei 55 Prozent, in der Fächergruppe Gestaltung bei 60 Prozent und in der Fächergruppe Darstellende Kunst bei 62 Prozent. Das heißt, auch wenn fast die Hälfte der Studierenden in der Fächergruppe Musik/Musikwissenschaft weiblich ist, ist deren Anteil geringer als in anderen künstlerischen Disziplinen.
Werden die Fächer im Studienbereich Musik/Musikwissenschaft genauer unter die Lupe genommen, zeigt sich eine breite Spreizung des Frauenanteils. Den geringsten Frauenanteil weist der Studiengang Tonmeister mit 20 Prozent, dicht gefolgt von Jazz/Popularmusik mit 22 Prozent auf, der höchste Frauenanteil ist mit 93 Prozent im Fach Rhythmik anzutreffen, gefolgt von 66 Prozent im Fach Gesang. Studentinnen in der Fächergruppe Musik/Musikwissenschaft streben vor allem eine Laufbahn in der musikalischen Bildung (60 Prozent Studentinnen in Musikerziehung), als Sängerinnen oder als Instrumentalmusikerinnen an. Sowohl im Fach Komposition als auch beim Dirigieren, stellen Frauen noch die Minderheit.
Frauen im Musikberuf
Spürbar aufgeholt haben Frauen bei den Musikvorständen in den Stadt-, Staats- und Landestheatern. Waren es in der Spielzeit 1994/95 nur 13 Prozent weibliche Musikvorstände, so sind es in der Spielzeit 2013/14 immerhin 22 Prozent. Das ist vor allem im Vergleich zu den Bühnenleitungen bemerkenswert, hier ist der Frauenanteil von 19 Prozent in der Spielzeit 1994/95 kaum merklich auf 22 Prozent in der Spielzeit 2013/14 angestiegen. Frauen sind also bei den Musikvorständen auf dem Vormarsch, obwohl manche Förderprogramme noch an ihnen vorbeigehen.
So liegt zwar der Frauenanteil bei den Stipendiatinnen und Stipendiaten beim Deutschen Musikwettbewerb bei 44 Prozent, bei den Preisträgerinnen und -trägern sind allerdings nur 28 Prozent im Zeitraum von 1994 bis 2014 zu verzeichnen. Bei den Teilnehmenden des Deutschen Musikwettbewerbs zeigt sich in einem noch schärferen Licht als bei „Jugend musiziert“ die geschlechtsspezifische Wahl von Musikinstrumenten. Im Jahr 2016 nahm keine Frau am Wettbewerb Tuba teil, dafür 84 Prozent beim Wettbewerb Gesang. Der Frauenanteil beim Instrument Trompete lag im besagten Jahr bei 10 Prozent, beim Instrument Orgel bei 60 Prozent. Wenn also über den Frauenanteil in bestimmten Instrumentengruppen im Orchester oder bei konzertierenden Musikerinnen und Musikern gesprochen wird, muss gleichzeitig in Betracht gezogen werden, wie viele Frauen die unterschiedlichen Instrumente studieren. Hierfür liegen keine aggregierten Daten vor.
Auf Daten zurückgegriffen werden kann bei den Teilnehmenden des Dirigentenforums, eines wichtigen Förderinstruments für die, wie es heißt, Maestros von morgen. Maestras sind hier nur wenige zu finden. So war dort bis zum Jahr 2014 nur eine Frau vertreten. Im Jahr 2016 werden zehn Männer und keine Frau als Maestros von morgen unterstützt. Das ist insofern bemerkenswert als der Frauenanteil an den Studierenden im Fach Dirigieren von 19 Prozent im Wintersemester 1994/95 auf 41 Prozent im Wintersemester 2014/15 angestiegen ist. Sind hier keine qualifizierten Studentinnen anzutreffen oder nehmen sie nicht am Dirigentenforum teil? Diese Fragen stellen sich.
Wird zusätzlich betrachtet, welche Stücke gespielt werden, so sind Kompositionen von Frauen eindeutig in der Minderzahl. Der Anteil der Kompositionen von Frauen, die an Stadt-, Staats- und Landestheatern aufgeführt wurden, reicht von 3 bis 8 Prozent. Das heißt zu mehr als 90 Prozent werden Kompositionen von Männern gespielt. Das liegt zu einem erheblichen Teil daran, dass an den genannten Bühnen vor allem Werke etablierter Komponisten gespielt werden, die in der Mehrzahl bereits tot sind. Insofern lohnt sich der Blick auf die Uraufführungen, weil hier zeitgenössische Komponistinnen und Komponisten gleichermaßen Chancen haben sollten. Ein Blick in die Werkstatistik des Deutschen Bühnenvereins belegt aber, dass auch hier vor allem Komponisten und weniger Komponistinnen zum Zuge kommen. Maximal 15 Prozent machen Kompositionen von Frauen an den Uraufführungen an Theatern aus. Auch hier wirft ein Blick in die Studierendenstatistik Fragen auf, denn der Frauenanteil an den Kompositionsstudierenden ist von 22 Prozent im Wintersemester 1994/95 auf 32 Prozent im Wintersemester 2014/15 angestiegen. Hier ist also einiges an weiblichem Nachwuchs zu erwarten, dessen Werke Eingang in die Uraufführungspraxis finden sollten. Werden die freiberuflichen in der Künstlersozialkasse versicherten Künstlerinnen und Künstlern betrachtet, so ist zunächst festzuhalten, dass die Berufsgruppe Musik mit einem Anteil von 28 Prozent an den Versicherten die zweitgrößte Versichertengruppe stellt. Größer ist nur noch die Berufsgruppe Bildende Kunst mit einem Anteil von 33 Prozent der Versicherten, die Berufsgruppe Wort stellt 24 Prozent der Versicherten und die Berufsgruppe Darstellende Kunst 13 Prozent.
Während in den Berufsgruppen Darstellende Kunst und Wort die Mehrzahl der Versicherten weiblich sind und in der Berufsgruppe Bildende Kunst, Frauen und Männer zu fast gleichen Teilen den Versichertenbestand stellen, sind in der Berufsgruppe Musik deutlich mehr Männer als Frauen versichert. Das ist ein auffallender Befund.
Sind Frauen in der Berufsgruppe Musik in der Künstlersozialversicherung versichert, so sind es in erster Linie Musikpädagoginnen. Sie stellen den weitaus größten Teil an Versicherten. Bei den weiblichen Versicherten dieser Berufsgruppe ist kaum eine Diversifizierung in den Tätigkeitsbereichen festzustellen, das unterscheidet den Musikbereich von anderen Berufsgruppen. Wie in den anderen Berufsgruppen auch, verdienen in der Künstlersozialkasse versicherte Musikerinnen weniger als Musiker. Am geringsten ist der Unterschied mit 17 Prozent in den Tätigkeitsbereichen Musikpädagogik sowie Chorgesang, am höchsten mit 64 Prozent im Tätigkeitsbereich Textdichter/Textdichterin, Librettist/Librettistin.
Patentrezepte?
Wer die hier nur in kleinen Ausschnitten dargestellten Zahlen Revue passieren lässt, stellt sich automatisch die Frage, was getan werden kann, damit mehr Frauen an musikalischen Berufen partizipieren, damit ihre Werke aufgeführt werden, damit sie auf der Bühne, sei es als Solistin oder im Orchester, erfolgreich sind.
Um es gleich vorweg zu sagen, Patentrezepte gibt es nicht. Dennoch liegen einige Stellschrauben auf der Hand: So sollte der Frage nachgegangen werden, warum Frauen in einigen Studienfächern der Fächergruppe Musik/Musikwissenschaft so stark unterrepräsentiert, und wie sie für eine Ausbildung gewonnen werden können. Bei den Instrumenten kommt insbesondere den Musikschulen eine hohe Verantwortung zu.
Sie können Mädchen auf den Geschmack von Trompete, Tuba, Kontrabass und andere „Jungsinstrumente“ bringen. Bei den Fördermaßnahmen sollte auf eine geschlechtergerechte Besetzung der Auswahlgremien Wert gelegt werden. Hier scheint gerade im Musikbereich noch viel Nachholbedarf zu bestehen. Studentinnen sollte zum Schluss des Studiums in stärkerem Maße vermittelt werden, dass ihre Arbeit nicht nur einen Wert, sondern auch einen Preis hat. Denn es ist mehr als erstaunlich, dass Berufsanfängerinnen weniger verdienen als Berufsanfänger. Hier muss entgegengewirkt werden.
Wer spielt die Musik, war die Eingangsfrage. Zunehmend Frauen, wäre eine der Antworten, doch ist das Potenzial von Musikerinnen längst noch nicht umfassend gehoben. Insofern sind Anstrengungen auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Musik dringend erforderlich.
Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates und eine der Autorinnen der Studie „Frauen in Kultur und Medien“.