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Die Internationale Gesellschaft für Zeitgenössische Musik wurde im August 1922 in Salzburg gegründet. Aus 200 international eingereichten Werken wählte man das Programm fürs ein Jahr darauf folgende 1. Kammermusikfest.
Die Internationale Gesellschaft für Zeitgenössische Musik wurde im August 1922 in Salzburg gegründet. Aus 200 international eingereichten Werken wählte man das Programm fürs ein Jahr darauf folgende 1. Kammermusikfest.
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Wie aus Gründern Antragssteller wurden

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Hundert Jahre IGNM und Gesellschaft für Neue Musik Deutschland
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Die Frage, was neue Musik ist und wodurch sie sich von anderen Musikarten unterscheidet, gibt seit jeher Anlass zu Diskussionen und Gründungen von Ensembles, Festivals und Vereinen, mit denen die Akteure ihre jeweiligen Vorstellungen von neuer Musik umzusetzen versuchen. Das war früher so, ist heute immer noch so, und wird in Zukunft wohl auch so bleiben.

Bereits im 19. Jahrhundert entstanden mit den Niederrheinischen Musikfesten, dem Allgemeinen Deutschen Musikverein und der Societé Nationale de Musique Plattformen, um Kräfte zu bündeln und neue Werke durch mustergültige Aufführungen, Vorträge und Zeitschriftenbeiträge einem möglichst breiten Publikum nahezubringen. Auch Richard Wagners Bayreuther Festspiele sind letztlich das gigantomanische Selbsthilfeprojekt eines einzelnen Komponisten, der seine „Ring“-Tetralogie zur Gesamtaufführung bringen wollte. In Reaktion auf Konservatismus, Repertoireroutine, Starkult, Überteuerung und ignorante Musikkritik gründete der Wiener Schönberg-Kreis 1918 den Verein für musikalische Privataufführungen. Am Ende der ersten Spielzeit mit 26 Konzerten beschrieb Alban Berg den Vereinszweck damit, „Künstlern und Kunstfreunden eine wirklich und genaue Kenntnis moderner Musik zu verschaffen“. Obwohl bereits drei Jahre später aus wirtschaftlichen Gründen wieder aufgelöst, war der Verein Vorbild für ähnliche Initiativen ab 1919 in Berlin, 1920 in Dresden, 1921 in Köln, Hamburg, Prag sowie die von Edgard Varèse in New York ins Leben gerufene International Composers Guild.

Den ersten „Donaueschinger Kammermusikaufführungen zur Förderung zeitgenössischer Tonkunst“ 1921 folgten im August 1922 in Salzburg „Internationale Kammermusikaufführungen“. Sieben Konzerte brachten 54 Werke zeitgenössischer Komponisten aus fünfzehn Nationen zur Aufführung. Die bereits bestehenden Festivalstrukturen der Stadt und die damals stark expandierende Universal Edition Wien sorgten auf Anhieb für große Öffentlichkeit und Presseresonanz. Unter den zwanzig anwesenden Komponisten, Musikkritikern und Musikwissenschaftlern kam daher der Wunsch auf, mit jährlich wiederkehrenden Festivals die im Zuge des Weltkriegs entstandene Isolierung zu überwinden und einen möglichst internationalen Überblick über das zeitgenössische Musikschaffen zu bieten. Dafür gründete man am 11. August 1922 unweit des Mozarteums im Café Bazar die International Society of Contemporary Musik (ISCM) beziehungsweise die Internationale Gesellschaft für Neue Musik (IGNM). Die Statuten der Gesellschaft folgten dem internationalen Geist von Völkerbund und Friedenswunsch nach der Kriegskatastrophe. Ähnlich dem 1921 gegründeten internationalen PEN-Club der Poets, Essayists, Novelists verstand man sich als „Vereinigung von Komponisten, Interpreten und interessierten Musikfreunden […] zur Förderung zeitgenössischer Musik aller ästhetischer Richtungen und Tendenzen – ohne Rücksicht auf Staatsangehörigkeit, Rasse, Religion oder politische Ansicht ihrer Mitglieder“. Die bereits bestehenden regionalen und nationalen Vereine schlossen sich daraufhin – wie die GNM Deutschland – zu Sektionen der IGNM zusammen. Und 1923 veranstaltete man das erste Weltmusikfest in Salzburg, dem bis zum Zweiten Weltkrieg und danach bis heute jährliche Festivals in unterschiedlichen Ländern und Städten folgten. Heute sind in der IGNM 66 nationale Gesellschaften aus 44 Ländern vertreten. Die stets von Nationen- und Funktionärsproporz geplagten Weltmusikfeste haben heute in den europäischen Ländern weniger Bedeutung, weil hier ohnehin viele Festivals mit internationaler Ausrichtung existieren.

Die historische Gründung würdigte im Rahmen des WDR3 Forum eine Gesprächsrunde mit dem Titel „100 Jahre Gesellschaft für Neue Musik“. Moderiert von Michael Struck-Schloen sprachen die Komponistin Charlotte Seither, die Intendantin Christine Fischer, der neue WDR-Redakteur für Neue Musik Patrick Hahn und der Sprecher des Landeskulturrats NRW Gerhart Baum. Der aktuelle Präsident der GNM Gordon Kampe unterstrich die Bedeutung der Gesellschaft als Interessenvertretung beim Deutschen Musikrat, Musikfonds, bei gesellschafts- und kulturpolitischen Debatten.

Die Gegenwart und Zukunft sah er ebenso kritisch wie hoffnungsvoll: „Während wir in unserer Bubble unter ansteigendem Authentizitätsdruck vor lauter Anträgen, Texten, Begründungen, Educationprogrammen, Sozialen Medien, Trailern, Selfies und Emojis irgendwann wie eine Supernova explodieren, wird irgendwo anders Musik von Leuten gemacht werden, die wir heute noch gar nicht kennen, und diese Leute werden dann eine Gesellschaft für super tolle neue Musik gründen.“

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