Berlin - Die geplante Verschärfung des Schutzes von Kulturgütern in Deutschland hat einen beispiellosen Streit ausgelöst. Der Vorzeigekünstler Georg Baselitz ließ aus Protest gegen die Pläne von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) seine Leihgaben in Museen abhängen. Wird der Kunsthandel stranguliert? Droht Sammlern die Enteignung? Eine dpa-Umfrage zeigt, dass in anderen europäischen Ländern teils schärfere Regeln gelten als in Deutschland geplant.
Milliardär Hasso Plattner droht damit, seine hochkarätige Sammlung nicht wie geplant nach Potsdam zu bringen. Und der Galeristen-Verband macht offen Front gegen das Vorhaben. Grütters diskreditiere den Kunsthandel und gefährde den Kulturstandort Deutschland, heißt es dort.
Die Staatsministerin verweist im Gegenzug auf die Praxis in den anderen europäischen Ländern. Die meisten Staaten hätten deutlich schärfere Regeln als die Bundesrepublik. Wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergab, ist vor allem Italien beim Schutz seiner Kulturgüter vorbildlich. Aber auch Frankreich etwa konnte ohne Protest schärfere Vorschriften durchsetzen.
Ein Überblick:
ITALIEN - FAST JEDES KUNSTWERK UNTER SCHUTZ
Von Miriam Schmidt, dpa:
In Italien mit seinem großen Reichtum an Kunstwerken und Kulturgütern gibt es relativ strenge Bestimmungen für nationales Kulturgut und den Umgang damit. Diese reichen weit zurück, die ersten Gesetze wurden im 19. Jahrhundert erlassen, Regelungen zum Umgang mit Kulturgut sogar schon im 15. Jahrhundert. 2004 wurde in einem neuen Gesetz der umfassende Schutz von Kulturgütern geregelt. Demnach steht fast jedes Kunstwerk unter Schutz, wenn auch in unterschiedlichen Abstufungen. Für die Einhaltung verantwortlich ist der Staat, der mit einer eigenen Einheit bei der Militärpolizei streng darüber wacht.
Eine Definition für nationales Kulturgut gib es in Italien nicht, da ohnehin jedes Kunstwerk, das älter als 50 Jahre ist, den besonderen Bestimmungen des Gesetzes unterliegt. Ihre Ein- und Ausfuhr muss genehmigt werden, eine Dauerausleihe ist so gut wie unmöglich. Für Kulturgüter von allgemeinem Interesse ist die Ausfuhr sogar komplett verboten. Damit ist der Verkauf italienischer Kunstwerke ins Ausland zwar stark eingeschränkt, im Ausland gefundene italienische Kunstschätze werden aber oft in spektakulären Aktionen zurückgeholt.
Eine breite öffentliche Diskussion über das seit langem bestehende Gesetz und seine strengen Regelungen gibt es nicht. Jedoch bemängeln Galeristen und Sammler immer wieder die negativen Folgen für den Kunstmarkt des Landes. So sei dieser etwa im internationalen Vergleich gehandicapt. Zudem warnen Kritiker vor einem Ausverkauf von Kunstwerken, kurz bevor diese 50 Jahre alt würden, um Exportverboten und einen damit verbundenen Preisverfall durch das Gesetz zu umgehen.
FRANKREICH - OHNE PROTEST VERSCHÄRFT
Von Sabine Glaubitz, dpa:
Frankreich hat 2008 die Ausfuhrregeln für Kunstwerke verschärft. Grund war die Zunahme von Kunstdiebstählen aus Kirchen und Museen. Das Gesetz unterscheidet dabei zwischen «bien culturel», Kulturgut, und «trésor national», Nationalschatz. Als Kulturgut werden Objekte bezeichnet, die von historischem, künstlerischem und archäologischem Interesse sind. Dabei spielen Alter und Wert eine Rolle.
In die Kategorie der Kulturgüter fallen seit 2008: Archäologische Artefakte, die über 100 Jahre alt sind, unabhängig von ihrem geschätzten Wert; Kunstwerke über 50 Jahre, darunter Gemälde mit einem Schätzwert von über 150 000 Euro, Skulpturen über 50 000 Euro sowie Aquarelle, Gouachen, Pastelle und Druckgrafiken über 30 000 Euro. Ihre vorübergehende oder dauerhafte Ausfuhr bedarf der Genehmigung des Kulturministeriums.
Nationalschätze von besonderem Interesse dürfen Frankreich nur zeitweise verlassen. Dazu gehören Werke sowohl aus öffentlichen wie auch aus privaten Sammlungen (etwa von Stiftungen und Galerien). Kulturgutschutzgesetze gehen in Frankreich auf das 19. Jahrhundert zurück. Die verschärften Bestimmungen lösten 2008 keine größeren Proteste aus.
GROSSBRITANNIEN - EIN KOMITEE BERÄT
Von Teresa Dapp, dpa:
Ob britische Kulturgüter ins Ausland verkauft werden dürfen, darüber berät ein 1952 eingerichtetes, von der Regierung finanziertes Komitee aus acht Experten. Sie können die Regierung bitten, für den Verkauf notwendige Exportgenehmigungen zu verzögern. Kriterien sind, wie eng ein Kunstgegenstand mit der britischen Geschichte verbunden ist, ob er von «herausragender ästhetischer Wichtigkeit» ist oder eine besondere Bedeutung für Forschung und Lehre hat.
Bereits 2013 klagte allerdings ein Mitglied des Komitees gegenüber dem «Independent», Regierung und Öffentlichkeit stellten oft nicht genug Mittel zur Verfügung, um den Verkauf zu verhindern. Das Komitee berät nicht nur über Werke britischer Künstler, sondern auch über solche aus anderen Ländern, die britischen Sammlungen angehören.
Wegen ihrer Vergangenheit als Seefahrernation und Kolonialmacht sind die Briten zudem in viele Konflikte um Kunstwerke aus anderen Ländern verstrickt. Ägypten etwa fordert den Rosettastein zurück, der eine entscheidende Rolle beim Entziffern von Hieroglyphen gespielt hat. Indien erhebt Anspruch auf den weltberühmten Diamanten Koh-i-Noor, der Teil der britischen Kronjuwelen ist.
Die Herausgabe verweigert Großbritannien unter anderem mit Berufung auf den British Museum Act, ein Gesetz für das berühmte Londoner Museum, das verbietet, die Kunstwerke zurück an ihre Ursprungsländer zu geben. Es ist umstritten, da es zum Beispiel auch verhindert, in Großbritannien gelandete Nazi-Raubkunst zurückzugeben. Auch die Parthenon-Friesteile, um die Athen und London seit Jahrzehnten streiten, darf das British Museum diesem Gesetz zufolge behalten.
SPANIEN - GESCHÜTZTER PICASSO ZURÜCKERSTATTET
Von Hubert Kahl, dpa:
In Spanien ist der Schutz von Kulturgut dezentral organisiert. Er fällt in die Zuständigkeit der Regionen und ist daher in den verschiedenen Landesteilen unterschiedlich geregelt. Allerdings gibt es ein übergreifendes Gesetz aus dem Jahr 1985 über das «Patrimonio histórico español» (Historische Kulturerbe Spaniens), das für ganz Spanien gilt.
Danach können historische Bauten, Gärten, Gebäudekomplexe und historische oder archäologische Stätten zu «Gütern von kulturellem Interesse» erklärt und einem besonderen Schutz unterstellt werden. Werke lebender Künstler werden nach dem Gesetz normalerweise nicht in diese Liste aufgenommen.
Bei beweglichen Kulturgütern wie etwa Gemälden, die auf der Schutzliste stehen, sind für die Ausfuhr ins Ausland Genehmigungen der Behörden nötig. In bestimmten Fällen gilt auch ein generelles Exportverbot. Allerdings ist zuweilen umstritten, wann man von einem Export sprechen kann.
Kürzlich beschlagnahmte der französische Zoll auf einer Jacht in Korsika ein Picasso-Gemälde im Schätzwert von 25 Millionen Euro, weil es in die Schweiz gebracht werden sollte. Das Gemälde «Kopf eines jungen Mädchens» war jedoch als spanisches Kulturgut eingestuft und durfte laut Zoll nicht außer Landes gebracht werden. Nach der Entscheidung eines korsischen Richters wurde es inzwischen den spanischen Behörden übergeben.
ÖSTERREICH - AUSFUHRVERBOTE NACH EINZELFALLPRÜFUNG
Von Alkimos Sartoros, dpa:
Die Ausfuhr von Kulturgütern ist in Österreich über das Denkmalschutzgesetz geregelt. Grundsätzlich sind für alle beweglichen Kunstobjekte, die unter Denkmalschutz stehen, staatliche Ausfuhrbewilligungen nötig. Auch bei archäologischen Objekten sowie historischen Handschriften, Manuskripten und Noten müssen Anträge gestellt werden. Das gleiche gilt bei Zeichnungen und Fotografien ab einem Schätzwert von 15 000 Euro, bei Skulpturen oder Teppichen ab 50 000 Euro.
Unter bestimmten Umständen kann eine Ausfuhr aus Österreich untersagt werden - vor allem, wenn ein Gegenstand dauerhaft und nicht nur als Leihgabe in ein anderes Land gebracht werden soll. In einem solchen Fall wird das Kulturobjekt auf seine geschichtliche und künstlerische Bedeutung für Österreich hin untersucht. Wenn ein «nationales Interesse» besteht, verweigern die Behörden die Genehmigung.
Österreichs Denkmalschutzgesetz wurde im Jahr 2000 novelliert. Damals gab es Kritik von Kunsthändlern. Sie bemängelten unter anderem, dass es keine Liste für die Kunstwerke mit Exportverbot gebe. Stattdessen müssten bei jedem Ausfuhrantrag zahlreiche Informationen an staatliche Stellen übermittelt werden.
SCHWEIZ - NUR ÖFFENTLICHES EIGENTUM UNTER SCHUTZ
Von Matthias Röder, dpa:
Das kulturelle Erbe der Schweiz kann in ein «Bundesverzeichnis» eingetragen werden. Damit erlangt es den Status als nationales Kulturgut und darf nicht mehr ausgeführt werden, es sei denn für Ausstellungen. Die Kriterien für die Aufnahme in das Verzeichnis sind unter anderem künstlerische oder kunsthistorische Bedeutung, Einzigartigkeit oder Seltenheit. Rund 1500 Werke werden schätzungsweise auf der noch nicht vollständigen Liste auftauchen.
Ganz wichtig: Die Regeln betreffen ausschließlich Kulturgüter aus den staatlichen Museen und Sammlungen des Bundes. Kunstwerke privater Häuser sind davon nicht betroffen. Der Eigentumsbegriff wird in der Schweiz sehr hoch gehalten. Dennoch hat das Gesetz auch Auswirkungen auf Galeristen und Kunsthändler. Sie müssen vom Anbieter einen Eigentumsnachweis einholen und diesen 30 Jahre lang für etwaige spätere Unklarheiten archivieren.
Die Schweiz hatte sich lange Zeit schwergetan, Regeln zum Schutz von Kulturgütern zu formulieren, obwohl das Land als Drehscheibe des illegalen Kunsthandels galt. Spätestens unter dem Eindruck der Plünderung archäologischer Stätten im Irak wurde schließlich 2003 das Kulturgütertransfergesetz auf den Weg gebracht. Es unterbindet in der Praxis vor allem den Import von Antikenkunst. Dazu sind auch bilaterale Verträge unter anderem mit Griechenland, Italien und China geschlossen worden.
ZUM VERGLEICH - WAS IN DEUTSCHLAND GEPLANT IST
Von Nada Weigelt, dpa:
Auch Kulturstaatsministerin Grütters will sowohl die Einfuhr- wie auch die Ausfuhr von Kulturgütern strenger kontrollieren. Umstritten sind besonders die geplanten Exportregeln. Schon bisher muss für die Ausfuhr von bestimmten Kunstwerken in Nicht-EU-Länder eine Genehmigung eingeholt werden. Künftig soll das auch im Binnenmarkt gelten - voraussichtlich aber nur für Kunstwerke, die älter sind als 70 Jahre und einen Schätzwert von 300 000 oder 400 000 Euro haben. Die Grenzwerte sind bisher noch nicht endgültig festgelegt.
Ein Ausfuhrverbot ist für «national wertvolles» Kulturgut vorgesehen. Schon seit 60 Jahren wird darüber eine Liste geführt - mit bisher rund 2700 Eintragungen von einzelnen Werken oder ganzen Sammlungen. Für die Einstufung als national wertvoll soll es künftig klarere Kriterien geben. Zeitgenössische Kunst ist laut Grütters bisher praktisch nicht betroffen und soll auch künftig keine Rolle spielen. Auch für Museumsbestände ist ein besonderer Schutz geplant, private Sammler können ihre Leihgaben aber davon ausnehmen lassen.
Angesichts der massiven Proteste befindet sich das Gesetz derzeit noch in der Abstimmung. Bisher liegt nur ein Entwurf vor, den Grütters an einigen Stellen bereits abgemildert hat. Wann sich das Kabinett abschließend damit befassen soll, steht noch nicht endgültig fest.