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Wie wollen wir in Zukunft an die Shoah erinnern?

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Zur Berliner „Tagung Erinnerungskultur“ der Initiative kulturelle Integration
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Man kann nicht behaupten, im Januar dieses Jahres – 75 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz – sei nicht ausgiebig an die Verbrechen, die in den Jahren 1933 bis 1945 von Deutschen begangen wurden, erinnert worden, an die systematische und fabrikmäßige Ermordung von 6 Millionen Juden. Internationale Begegnungen auf höchster politischer Ebene, Erinnerungsansprachen, Zeitzeugenberichte, Zeitungsartikel, Radiosendungen, Fernsehbeiträge: Überall sprach man von der Shoah, von der Notwendigkeit nicht zu vergessen. Braucht es da wirklich eine Tagung, die sich die Frage stellt: „Wie wollen wir in Zukunft an die Shoah erinnern?“

Die Initiative kulturelle Integration hatte diese Tagung initiiert, ihr Sprecher Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, der 2016 diese Initiative auf den Weg gebracht hat. 28 Institutionen aus Politik, Zivilgesellschaft, Kultur, Medien und Religion gehören der Initiative an. Sie erarbeiteten 15 Thesen, von denen eine heißt: „Die Auseinandersetzung mit der Geschichte ist nie abgeschlossen“ – gleichzeitig Antwort auf die Frage nach dem Sinn einer solchen Tagung. Erinnerung, das wurde deutlich, ist nicht in Stein gemeißelt. Sie verändert sich mit jeder Generation, sie wird – sei es aus wissenschaftlichen oder ideologischen Gründen – umgeschrieben. Und sie ist individuell. „Wem gehört die Geschichte?“, fragte die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann in ihrem Impulsvortrag und verwies auf den aktuellen Streit zwischen Russland, Polen und Israel über Deutungshoheiten in der „Schuldfrage“. Die Tagung gab eine mögliche Antwort auf Assmanns Frage: Jeder und jede hat seine und ihre eigene Geschichte. In der Gesellschaft der Täter prägte einst die 68er-Generation den Umgang mit der Erinnerung: die Erkenntnis, dass die eigenen Eltern mitgemacht haben könnten und das Trauma der Schuld, das sich auf die Kinder übertrug. Die Frage: „Was hätte ich getan?“ war in den Köpfen der Jungen präsent. Heute, so scheint es, stellt die junge Generation andere Fragen.

Bis zum Ende der Zeiten

Noch viel präsenter ist das Erinnerungstrauma in den Gesellschaften und Familien der Opfer – bis zum heutigen Tag. Vorträge und Diskussionsbeiträge der Tagung zeugten davon – und davon, dass jede Familie eine andere Geschichte erzählt. Mark Dainow, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, sprach seine Befürchtung aus, dass die Nutzung des Begriffs „Auschwitz“ als Synonym für die Schoah möglicherweise vergessen lässt, dass überall in Europa schlimmste Verbrechen an jüdischen Menschen verübt wurden und die Vernichtung an den unterschiedlichsten Orten geschah. Ebenso unterschiedlich sind die Erinnerungen, ist Geschichte, sind Geschichten. Dainow zitierte auch einen Satz aus der Rede des Holocaust-Forschers und Trägers des Friedensnobelpreises Elie Wiesel im Jahr 2000 vor dem Deutschen Bundestag: „Bis zum Ende der Zeiten wird Auschwitz Teil Ihrer Geschichte sein, so wie es Teil der meinigen sein wird.“ Und dennoch ist es eben nicht die gleiche „Geschichte“.

Umso mehr, das wurde im Lauf der Tagung auch immer wieder deutlich, sind Erinnerungen, ist die „Erinnerungskultur“ eine wichtige Aufgabe. „Es geht darum, dass neben dem je eigenen Gedächtnis des Einzelmenschen auch ein ‚Gruppengedächtnis‘ existiert (…), das sozial und kulturell determiniert ist und eine Generationen übergreifende Dauer aufweist.“ So definiert das „Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa“ der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg den Begriff Erinnerungskultur. Neben den individuellen Geschichten gibt es danach auch eine gemeinsame Erinnerung. Auf die Frage, ob Erinnerung „universal“ oder „partikular“ sei, fanden die vier Diskutanten im Workshop mit dem Thema „Verlockung der Historisierung“ dann auch keine eindeutige Antwort.

Überlebende Musik

„Wie sich erinnern“, lautete die Fragestellung der Tagung. Die Tatsache, dass es immer weniger Zeitzeugen für die Geschehnisse während der Nazi-Herrschaft gibt und dass bald niemand mehr aus der eigenen Erinnerung berichten kann, verändert auch die Erinnerungskultur(en). Zahlreiche Dokumente, Briefe, Tagebücher, Videos können auch zukünftigen Generationen Zeugnis geben. „Warum sich erinnern“, lautet eine andere Frage. „Die Erinnerung hat einen Wert an sich“, erklärte Raphael Gross, Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum, in der Abschlussdiskussion. Aber natürlich soll Erinnerungskultur auch die Gefahr der bewusst gesteuerten Verharmlosung bannen, der Forderung nach dem „Schlussstrich“, die die überall in der Welt – und eben auch in Deutschland– erstarkenden rechten Kräfte heute verbreiten, etwas entgegensetzen. Dass Kunst und Kultur einen zentralen und wichtigen Beitrag zur Erinnerung leisten können, zeigte der Beitrag der Pianistin Annika Treutler, die eindrucksvoll Klaviermusik von Viktor Ullmann spielte, eines Komponisten, der 1942 ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert wurde, dort noch bedeutende Werke komponierte und der 1944 in Auschwitz ermordet wurde.

„Nie wieder!“ Nicht nur hochrangige Politiker aus verschiedenen Ländern haben diese Forderung anlässlich des Jahrestages der Auschwitz-Befreiung wiederholt zur Devise gemacht. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier tat dies immerhin als einzigen Einwurf in deutscher Sprache in seiner ansonsten auf Englisch gehaltenen Ansprache am 23. Januar in der Gedenkstätte Yad Vashem. Auch auf der Tagung der Initiative Kulturelle Integration war diese Devise mehrfach zu hören. Natan Sznaider, Professor für Soziologie an der Akademischen Hochschule von Tel Aviv, zitierte den Holocaust-Überlebenden und Schriftsteller Primo Levi: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.“ Erinnerungskultur ist der Versuch, dies zu verhindern.

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