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Willi Neu. Foto: Thays Wilkens
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„Wir erspüren Dinge vielleicht früher als andere“

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Willi Neu, Präsident des Landesmusikrats Schleswig-Holstein, im nmz-Gespräch
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Im Juni letzten Jahres wählte die Mitgliederversammlung des Landesmusikrates Schleswig-Holstein turnusgemäß das Präsidium. Zum Präsidenten gewählt wurde Willi Neu, Musiker und Leiter der Kreismusikschule Schleswig-Flensburg. Nach einem dreiviertel Jahr, das von der Pandemie dominiert war und in dem im Landesmusikrat doch wichtige Weichenstellungen möglich waren, zieht Willi Neu eine erste Bilanz. Mit ihm sprach Susanne Fließ.

neue musikzeitung: Herr Neu, seit Juni 2021 sind Sie Präsident des Landesmusikrates Schleswig-Holstein. Wie war Ihr Weg in dieses kulturpolitische Amt?

Willi Neu: Mein Herz schlug schon immer für die Musik und so habe ich mich sehr frühzeitig für die musikpädagogische Laufbahn entschieden. Nach dem Studium an der Hochschule der Künste Bremen in den Fächern Trompete und Dirigieren, ergab sich gleich nach dem Studium eine Stelle an der Kreismusikschule Nordfriesland. Wenig später bin ich an die Kreismusikschule Schleswig-Flensburg gewechselt, die ich nun seit über 25 Jahren leite. In dieser Funktion bin ich seit vielen Jahren im Landesverband des VdM, 2017 wurde ich Landesvorsitzender und stand über diese Funktion bereits mit dem Landesmusikrat in enger Verbindung. 2021 wurde ich dann von der Mitgliederversammlung zum Präsidenten gewählt. Schon als Leiter der Musikschule war ich aber mitten drin, denn vom Grundsatz her ist die Musikschullandschaft politisch. Sie kommt nicht darum herum, sich politisch zu artikulieren und die gesellschaftliche Entwicklung abzubilden. Ich halte das für den vornehmsten Auftrag eines Musikschulleiters: Das, was die Menschen in ihren Bedarfen nach kultureller Bildung und Musik an uns herantragen, an die Kommunalpolitik weiterzugeben.

nmz: „Nach langer Kontinuität tritt ein fast ganz neues Team an“, so las man in der Pressemitteilung zur Neuwahl des Präsidiums. Wie ist die Zusammenarbeit angelaufen?

Neu: Das Präsidium ist ein schönes Abbild der Musiklandschaft in Schleswig-Holstein. Wir haben eine echte Aufbruchstimmung. Die haben die Mitglieder des Landesmusikrates ermöglicht und damit das Signal gesetzt, mit Demut zu erspüren, was denn die Stunde geschlagen hat: Was brauchen wir in der musikalischen Ausbildung in der Schule, in der außerschulischen Bildung, was braucht die Musik im ländlichen Raum, welche Förderprogramme für Musikaktivitäten sind nötig, wie geht es mit den frei schaffenden Musiker*innen weiter? Hier fordern wir einen Mindestlohn und eine Ausfall-Absicherung. Die Amateurmusikszene muss bei öffentlichen Neubauten dahingehend berücksichtigt werden, dass eine Mehrfachnutzung von Gebäuden auch für kulturelle Veranstaltungen möglich ist. Auch Förderungen für die Ausbildung von Leiterinnen und Leitern sind angedacht.

nmz: Welche besonderen Vorteile für das Präsidentenamt ziehen Sie aus der Tatsache, dass Sie als Leiter einer Musikschule dicht am Alltag muskalischer Ausbildung sind?

Neu: Indem ich nach wie vor unterrichte und auch als Dirigent und Ensembleleiter eines symphonischen Blas­orchesters regelmäßig im immerhin zweitgrößten Kreis in Schleswig-Holstein unterwegs bin, stehe ich mitten in der Gesellschaft und bin mit beiden Beinen in der Basis vernetzt. Meine Arbeit verstehe ich im Wesentlichen als Kulturmanagement. Als Leiter der Musikschule umfasst dies natürlich auch die strategische und organisatorische Steuerung dieser gesellschaftlich und kulturell relevanten Institution.

nmz: Woran machen Sie die gesellschaftliche Bedeutung einer Musikschule fest?

Neu: Ich erinnere nur an die 90er Jahre, die für die gesamte Musikschullandschaft sehr fordernd gewesen sind, da die kommunalen Mittel bundesweit zurückgefahren wurden. Gleichzeitig wurden vor dem Hintergrund neuer gesellschaftlicher Entwicklungen viele neue Formate ausprobiert und Möglichkeiten geschaffen, möglichst allen Menschen den Zugang zu musikalischer Bildung zu verschaffen. Mir ist sehr früh bewusst geworden, dass eine Musikschule hier eine besondere Verpflichtung hat, diese Verflechtungen zu erkennen und so habe ich begonnen, systemisch zu agieren. Dem Menschen immanent ist das Bedürfnis zu musizieren. Wir sind von Musik umgeben, das greift die musikalische Bildung in verschiedenen, altersunabhängigen Angeboten auf. Verkürzt heißt die Leitlinie: Von Anfang ein Leben lang zu musizieren. Musikschulen sind „dritte Orte“, in denen man, nach dem eigenen Zuhause oder dem Arbeitsplatz, wachsen, Persönlichkeit entwickeln und kulturell aktiv sein kann.

nmz: Es wäre also wünschenswert, möglichst vielen Menschen den Zugang zu ermöglichen. Damit sind wir beim Geld.

Neu: Musikschulen sind auf Partizipation ausgerichtet, insofern sprechen wir sehr weite Teile der Bevölkerung an, möglichst vielen Menschen soll ermöglicht werden, zu musizieren, an Musikschulen, an allgemein bildenden Schulen, in der Amateurmusik. Dazu bedarf es allerdings weitreichender Zugangsmöglichkeiten oder anders gesagt, öffentlicher Förderung. Die Bund-Länderkommission hat eine Drittel-Finanzierung des Gesamtetats empfohlen. Was die schleswig-holsteinischen Kommunen betrifft, so sind sie am Ziel angekommen. Die Landesebene jedoch hinkt noch weit hinterher, mit der Folge, dass Schleswig-Holsteins Musikschulen von allen Bundesländern die höchsten Gebühren von ihren Nutzern verlangen müssen. Keineswegs eine neue Entdeckung, sie ist ein altbekannter Fakt, aber das ist eines der politischen Ziele, die wir mit der neuen Landesregierung, die sich ja im Sommer konstituiert, ändern wollen.

nmz: Waren die früher ergriffenen Maßnahmen denn tauglich, um diesem Mangel abzuhelfen?

Neu: Ich habe hier bereits gut ausgebaute Wege vorgefunden, aber um Respekt und Wertschätzung für kulturelle Errungenschaften wach zu halten, genannt sei hier nur die Amateurmusik im ländlichen Raum, wo das Ehrenamt eine große Rolle spielt, bedarf es der Pflege intensiver Kontakte. Der Landesmusikrat war und ist hier stetig aktiv.

nmz: Welche weiteren Themen stehen auf Ihrer Agenda?

Neu: Ab 2026 wird die Grundschule stärker in den Fokus rücken, wenn die Ganztagsbetreuung für Grundschülerinnen und -schüler in Schleswig-Holstein gesetzlich verankert ist. Im Land fehlen Lehrkräfte ohne Ende. Laut der neuesten Studie des MIZ, „Wege zur Musik“, finden über 90 Prozent der Grundschülerinnen und -schüler in Schleswig-Holstein keinen Zugang zu einer öffentlichen Musikschule und nur wenige erhalten Musikunterricht. Wenn wir aber an allen Ecken und Enden Lehrerkräftemangel konstatieren, dann hat das eine Ursache. Denn wir alle wissen: Nur zur Schule zu gehen reicht nicht aus, um später Musik zu studieren mit dem Ziel Berufsfeld Musik. Für diesen langen Weg stehen unter anderem auch öffentlich verantwortete Musikschulen zur Verfügung. Wir brauchen insgesamt, vermutlich nicht nur in Schleswig-Holstein, mehr musikalische Bildung, das ist etwas das wir immer wieder im politischen Raum artikulieren. Nach meinem Verständnis ist unser Landesmusikrat und auch das Präsidium eher als postheroische Organisationsform aufgestellt, es geht also ohne Autoritätszuschreibungen zu, das Wesentliche wird ja „hinter der Bühne“ verhandelt. Über das Teilen von Wissen und Erkenntnissen wollen wir weiterkommen.

nmz: Kulturministerin Karin Prien ist derzeit Vorsitzende der KMK. Ist das ein Vorteil für Ihre Lobbyarbeit?

Neu: Ich gehe davon aus, dass Ministerin Prien ihre Themen in diesem Gremium prominent platziert. Sie artikuliert derzeit sehr stark, dass sich die Kulturförderung des Landes in den nächs­ten Jahren in der Mitte der Bundesländer wiederfinden wird. Der Landesmusikrat wird ihr dabei zur Seite stehen, in dem er bei der Verflechtung der außerschulischen Partner unterstützend tätig ist, damit hier ein großer Schritt gemacht werden kann zu mehr Musikunterricht, mehr Wochenstunden, und: dazu muss man auch Geld in die Hand nehmen.

nmz: Wie funktioniert die Kommunikation innerhalb des Landesmusikrates mit seinen 55 Mitgliedsverbänden? Welche von allen mitgetragenen Themenpakete schnüren Sie derzeit?

Neu: Mein Anliegen und auch das Anliegen des neuen Präsidiums ist es, die Kultur im Landesmusikrat über eine erkennbare Strukturveränderung anzugehen. Das ist auch trotz der aktuellen Anforderungen durch Corona schon gut gelungen. Wir haben mittlerweile mehrere Arbeitsgruppen eingerichtet, die mit Oberthemen dann auch alle Mitgliedsverbände einbinden können. Sie sind überschrieben mit „Transparenz und Mitwirkung“, „Kommunale Kulturpolitik“, „Nachhaltigkeit“ und „Diversität“, so dass verschiedene aktuelle Themen durch die Mitgliedsverbände abgebildet werden. Mehr Kommunikation auf Augenhöhe ist die Devise bei den Themen, mit denen sich die einzelnen Verbände befassen, mit dem Ziel, sie in die Diskussion hineinzunehmen.

Der Prozess der Verständigung auf gemeinsame Ziele ist derzeit noch voll im Gange. Der Landesmusikrat hat nach meinem Verständnis die Aufgabe, als Verstärker die Anliegen der Verbände zu artikulieren. Corona hat die Musikszene in Schockstarre versetzt, dieser Herausforderung musste sich das neue Präsidium damals sofort stellen. Noch ist diese krisenhafte Situation gar nicht bewältigt, allmählich sehen wir aber wieder Land und schöpfen Hoffnung, dass beispielsweise die Amateurmusik mit Bläsern und Sängern zu wöchentlichen Begegnungsmöglichkeiten und Konzerten zurückfindet. Denn das Musizieren im Ensemble ist trotz aller technischen Möglichkeiten digital nicht darzustellen, es trägt nicht. ich erlebe das jede Woche. Die Menschen brauchen das Miteinander.

nmz: Was steckt hinter dem Modell-Projekt „Kompetenzzentrum für musikalische Bildung in Schleswig-Holstein“?

Neu: Das Kompetenzzentrum für Musikalische Bildung in Schleswig-Holstein, KMB.SH, ist seit April 2021 am Nordkolleg in Rendsburg verortet als ein vom Land Schleswig-Holstein zunächst für drei Jahre geförderter Zusammenschluss der Musikhochschule Lübeck, des Landesverbandes der Musikschulen, des Nordkollegs als Campus und des Instituts für Qualitätsentwicklung an Schulen in Schleswig-Holstein (IQSH) unter dem Dach des Landesmusikrats Schleswig-Holstein. Diese Partner arbeiten seit einem Jahr zusammen und entwickeln Programme, um die relevanten Akteure noch besser untereinander zu vernetzen.

Damit haben wir einen wirklich neuen Weg beschritten und eine Vernetzung dieser Szene in Gang gesetzt. Dieses Kompetenzzentrum hat eine herausragende Bedeutung, weil diese Einrichtung alle Bereiche des musikalischen Lebens erreichen und mit Professionalität bedienen kann.

Für das Land Schleswig-Holstein ist das KMB.SH ein Gewinn, weil wir koordiniert vorgehen können. In diesem Kontext spielt nicht nur Musikvermittlung und Weiterbildung eine große Rolle, sondern auch studienvorbereitende Ausbildung mit „Jugend musiziert“ als Ausgangspunkt, die jetzt auch über das Kompetenzzentrum in Kooperation mit der Musikhochschule Lübeck im Bereich Jazz/Rock/Pop erweitert werden konnte. So wie auch der Weiterbildungs-Studiengang Elementare Musikalische Bildung dort entstanden ist. Bei allen politischen Bemühungen muss es letztendlich darum gehen, dass wir mit verlässlicher und erhöhter Landesförderung mehr hauptamtliche, qualifizierte Lehrkräfte ausbilden können.

nmz: Wie würden Sie die Mentalität in Schleswig-Holstein beschreiben?

Neu: Vielleicht sind die Schleswig-Holsteiner vom Lebensgefühl her eher skandinavisch. Wir beobachten sehr genau, was denkbar und machbar ist, wir erspüren aktuelle Erfordernisse vielleicht früher als andere, beispielsweise die Digitalisierungsaktivitäten in den Musikschulen. Schon 2017 haben wir erkannt, dass wir das Thema angehen müssen und haben erste Maßnahmen ergriffen. Vermutlich sind die Schleswig-Holsteiner ein bisschen neugieriger als andere, um die richtigen Dinge vo­ranzutreiben.

 

 

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