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Johanna Wanka.  Foto: MWK Niedersachsen
Johanna Wanka. Foto: MWK Niedersachsen
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„Wir machen die Musik“ im dritten Jahr

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Interview mit der niedersächsischen Ministerin für Wissenschaft und Kultur, Johanna Wanka
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„JeKi“ in Nordrhein-Westfalen, „Klasse.im.puls.“ in Bayern, „Singen – Bewegen – Sprechen“ in Baden-Württemberg. Jedes Bundesland hat inzwischen „sein“ Musikalisierungsprojekt, und die neue musikzeitung porträtiert in einer bildungspolitischen Tour d’Allemagne die unterschiedlichen Konzepte. Über das niedersächsische Musikalisierungsprojekt „Wir machen die Musik!“ sprach die nmz mit der Kulturministerin Johanna Wanka.

nmz: „Wir machen die Musik!“ wurde vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur gemeinsam mit dem Landesverband niedersächsischer Musikschulen konzipiert. Welche Rolle spielt der Landesverband bei dieser Kooperation?

Johanna Wanka: In einem Flächenland wie Niedersachsen brauchen wir eine flächendeckende Infrastruktur, deshalb ist der Landesverband niedersächsischer Musikschulen wichtigster Partner in der Umsetzung. Wir haben mit 71 öffentlichen Musikschulen begonnen, aber auch Musikschulen in privater Trägerschaft beteiligen sich. 

nmz: Für wen machen Sie „Wir machen die Musik?“ 

Wanka: Wir starteten mit den Kleinsten, in den Kindergärten und Kindertagesstätten, denn frühkindliche musikalische Erziehung – das wissen wir nicht nur aus der Hirnforschung – ist außerordentlich wichtig. Inzwischen haben wir die Grundschule einbezogen. Jedes Jahr kommt ein weiterer Jahrgang mit Schülern hinzu. Momentan begeistern wir die drei- bis siebenjährigen Kinder. Ein weiterer Mehrwert entsteht durch die Zusammenarbeit der Lehrkräfte vor Ort: mit den Erzieherinnen in den Kitas und Kindergärten und den Lehrern an den Grundschulen.

nmz: Besteht nicht die Gefahr, dass kurz- beziehungsweise mittelfristige Förderprojekte den qualitativen kontinuierlichen Musikunterricht ersetzen?

Wanka: Das Programm ist nicht kurz- oder mittelfristig angelegt, sondern bis mindestens 2016. Es wird jährlich aufgestockt. Im Vergleich mit anderen Bundesländern ist das Besondere, dass das Projekt finanziell so konzipiert ist, dass es langfristig finanzierbar bleibt. Damit regulärer Unterricht nicht durch die Sonderförderangebote ersetzt wird, haben wir gemeinsam mit dem Kultusministerium in den Förderrichtlinien festgelegt, dass dies grundsätzlich ausgeschlossen wird. Enge Verzahnung ja, aber nicht Ersatz von regulärem Unterricht.

nmz: „Wir machen die Musik!“ gibt es seit 2009. Für wann ist eine erste Ergebnisüberprüfung angesetzt?

Wanka: Für eine ausführliche Evaluation ist es sicher noch zu früh. Aber natürlich ist die zahlenmäßige Entwicklung etwas, das wir fortlaufend beobachten. Da können wir eine positive Resonanz feststellen: Schritt für Schritt hat sich die Zahl der erreichten Kinder, aber auch der Kooperationspartner vergrößert. 2009 begannen wir mit 317 Kitas. Jetzt haben wir über 1.160 Kooperationspartner, also 650 Kitas und 510 Grundschulen. Wir sind mit rund 9.000 Kindern gestartet und erreichen jetzt ungefähr 27.000. Es reicht aber nicht, sich an den Zahlen zu erfreuen, sondern wir müssen inhaltlich denken: Ist das Programm nur eine Beschäftigung? Eine Anregung? Hat es längerfristige Auswirkungen? Gehen mehr Kinder in die Musikschule? Mit dem Landesverband planen und konzipieren wir ab dem Frühjahr 2012 ein sinnvolles Evaluationsverfahren. 

nmz: Was sind die mittel- und langfristigen Zielsetzungen des Landes?

Wanka: Jedes Kind in Niedersachsen, das sich musikalisch ausprobieren möchte – ob mit Instrument oder Stimme –, kann dies – vorausgesetzt, die Eltern wollen es. Aber: Bisher haben wir kaum Möglichkeiten, Kinder zu erreichen, wenn die Anregung nicht aus dem Elternhaus kommt. Deswegen ist es ein zentrales Ziel unseres Musikalisierungsprogramms, möglichst viele Kinder zu erreichen, unabhängig von der Herkunft. Damit sichern wir Chancengerechtigkeit. Neben Musik machen, diese zu verstehen, zu genießen und mit ihr groß zu werden, ist es auch der erzieherische Aspekt, der über Musik gefördert werden soll: etwa zu lernen, aufeinander zu hören, in einem Chor zu singen.

nmz: Worin unterscheidet sich „Wir machen die Musik!“ von anderen musikpädagogischen Projekten in Deutschland, zum Beispiel vom Musikkindergarten Daniel Barenboims in Berlin oder dem „Singen – Bewegen –Sprechen“-Programm in Baden-Württemberg oder „Jedem Kind ein Instrument“ (JeKi) in NRW?

Wanka: Unser dezidiertes Ziel ist es, mit Landesmitteln etwas Langfristiges zu initiieren und für Kontinuität zu sorgen. Das Modell JeKi, das sich auf das Ruhrgebiet beschränkte und nur möglich war durch die Bundeskulturstiftung, ist für uns nicht der richtige Weg. Wir setzen in Niedersachsen auf ein Finanzierungsmodell, das unser finanzielles Engagement mit den Mitteln der Partner vor Ort verbindet und so langfristig stabil wirkt. Ein weiterer grundlegender Unterschied: Die Inhalte, wie sie in programmatisch stark fokussierten Förderungen, wie zum Beispiel in Singen – Bewegen – Sprechen stattfinden, können auch bei uns in den einzelnen Einrichtungen jederzeit praktiziert werden. Das Besondere in Niedersachsen ist bei „Wir machen die Musik!“ der auch inhaltlich sehr flexible Ansatz: Es ist kein Programmverlauf vorgeschrieben; es gibt kein Schema, keine Schablone für musikpädagogische Inhalte: Gitarrenklasse, Tanz, Bewegung – alles ist denkbar. Damit entsprechen wir den unterschiedlichen Bedingungen und Bedürfnissen im Land Niedersachsen. In Regionen mit hohem Migrantenanteil muss man „Wir machen die Musik!“ sicher anders umsetzen als in anderen Regionen.

nmz: Wie funktioniert die Programmfinanzierung und bis wann ist sie gesichert?

Wanka: Das Land Niedersachsen unterstützt die Musikschulen mit 50 Prozent der durchschnittlichen Personalkosten und maximal 800 Euro pro Jahreswochenstunde. Um diese Projektmittel zu erhalten, ist eine Gegenfinanzierung von 50 Prozent erforderlich. Die Kofinanzierung übernehmen zu einem Viertel die Kommunen, zu einem Fünftel sind es Elternbeiträge, der Rest setzt sich aus Drittmitteln zusammen. An dieser Stelle möchte ich mich bei all denjenigen bedanken, die sich beteiligen und damit für den nötigen langen Atem des Musikalisierungsprogramms sorgen. 

nmz: Ist „Wir machen die Musik!“ von den Kommunen aus, also von unten, gesteuert?

Wanka: Es ist eine Initiative des Landes, die wir gemeinsam mit den Kommunen umsetzen. Ich finde es toll, wenn Kommunen ihre Attraktivität für junge Familien stärken wollen und deshalb gute Entwicklungschancen für die Kinder bieten: in Schulen, aber zusätzlich auch in Programmen wie „Wir machen die Musik!“. Der große Vorteil ist, dass es dazu keine Riesensummen braucht: Es ist in jeder kommunalen Einrichtung machbar, die Priorität auf dieses Thema legen will.

Das Gespräch führte Andreas Kolb

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