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Panja Mücke. Foto: privat
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Wissenschaftskommunikation ist zentral

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Panja Mücke, Präsidentin der Gesellschaft für Musikforschung, im nmz-Gespräch
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Die Gesellschaft für Musikforschung (GfM) vertritt seit ihrer Gründung vor 75 Jahren die Belange des Faches Musikwissenschaft in Deutschland. Mit Dr. Panja Mücke, Professorin an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim, die seit Oktober 2021 Präsidentin der GfM ist, hat Juan Martin Koch für die nmz gesprochen.

neue musikzeitung: Die GfM wurde dieses Jahr 75 Jahre alt. Wie haben Sie den Geburtstag begangen?

Panja Mücke: Es war ein schönes, intensives Jahr mit Jubiläums-Aktivitäten. Wir haben vor allem versucht, Forschung zur Geschichte der Gesellschaft anzuregen und auch Materialien dazu zur Verfügung zu stellen. Besonders zu erwähnen ist hier die Freischaltung eines Bereichs auf unserer Homepage, an dem schon lange gearbeitet wurde und wo Dokumente wie die Programme der Jahrestagungen zur Verfügung stehen. Während der Jahrestagung im September in Berlin konnten wir eine Posterausstellung präsentieren, die 24 Autor*innen erstellt haben. Themen waren hier unter anderem die Vorläufergesellschaften der GfM, die Gründungsgeschichte, die Fachgruppen oder welche Rolle Wissenschaftlerinnen in der GfM gespielt haben. Weiterhin haben wir während der Jahrestagung auch eine Podiumsdiskussion zur Geschichte der GfM durchgeführt, die intergenerationell angelegt war und zu der auch Vertreter der Schwes­tergesellschaften auf dem Podium saßen, darunter der Dachverband der Studierenden der Musikwissenschaften (DVSM) oder die Deutsche Gesellschaft für Musikpsychologie.

nmz: Was sind aus Ihrer Sicht die Hauptentwicklungsstränge in diesen 75 Jahren? Wo gibt es Kontinuitäten, was hat sich verändert?

Mücke: Die deutlichste Veränderung ist, dass wir als Fachverband mittlerweile sehr viele inhaltlich-thematische Fachgruppen haben. Während es in den Anfangsjahren vielfach um institutionelle Fragen ging, etwa in der Kommission für Auslandsstudien, die es bis heute gibt, beschäftigen sich die Fachgruppen mittlerweile unter anderem mit Themen wie Digitale Musikwissenschaft, Interdisziplinarität oder Frauen- und Genderstudien. Interessant ist auch die Tatsache, dass die GfM in ihren Anfangsjahren ein Dachverband war für Musiker, für Musizierpädagogen, für Lehrer und Musikforscher. Die Tagungen bestanden aus Konzerten und wenigen Vorträgen. Eine Konstante ist die Zeitschrift „Die Musikforschung“, die wir seit 1948 haben.

nmz: Sie sind Professorin an einer Musikhochschule. Spielen die Unterschiede der Institutionen Universität und Hochschule noch eine Rolle für das Fach?

Mücke: Die musikwissenschaftliche Ausbildung an Universitäten und Musikhochschulen und die Forschungsinteressen gleichen sich in vielen Fel­dern, auch wenn die Lehre an den Hochschulen ein wenig anders konturiert wird. Ein Trend der letzten 20 Jahre war es, dass große Institute geschaffen wurden, zum Teil auch in Kooperation von Universitäten und Hochschulen. Was die Universitäten betrifft, so freut es mich, dass viele Kolleg*innen sich auch in großen interdisziplinären Verbünden, in Sonderforschungsbereichen oder Graduiertenkollegs, einbringen. Das trägt entscheidend zur Sichtbarkeit des Fachs bei.

Studierendenzahlen

nmz: Wie entwickeln sich die Studierendenzahlen?

Mücke: Laut MIZ-Statistik studiert jeder Fünfte in Studiengängen für Musikberufe Musikwissenschaft. Erfreulich finde ich auch, dass jeder achte Studierende aus dem Ausland kommt, was für die Attraktivität des Standorts und der Ausbildung spricht. Wir haben zwar seit 2000 sinkende Erstsemesterzahlen, im Gegenzug dazu aber einen Zuwachs bei den Absolventenzahlen, die 2020 bei 750 lagen. Um das zuverlässig interpretieren zu können, bräuchte es weiteres Datenmaterial. Was man aber sicher feststellen kann, ist ein Rückgang der Abbrecherrate durch das Bachelor/Master-System. Nach meiner Erfahrung gehen viele Absolvent*innen nach dem Bachelor direkt in die Berufspraxis oder schließen einen Master in den so genannten angewandten Musikwissenschaften an, etwa im Musikmanagement. Die Fachgruppe Nachwuchsperspektiven in der GfM beschäftigt sich intensiv mit diesen Fragen, was wir sehr begrüßen.

nmz: Stichwort Nachwuchs: Wie ist der Kontakt zu den Studierenden, die sich ja zur neuen Bundesfachschaft Musikwissenschaften zusammengeschlossen haben. Wie können diese sich einbringen?

Mücke: Wir wollen die unterschiedlichen Generationen in ein Gespräch bringen. So versuchen wir, Studierende und junge Forschende ganz gezielt in die Jahrestagungen einzubinden, unter anderem dadurch, dass wir verstärkt Posterpräsentationen anbieten, um auch Möglichkeiten jenseits eines Vortrags zu schaffen. Auch ein Posterpreis soll dieses Format attraktiver machen. Der Austausch zeigt sich vor allem im Bereich des Lehrspektrums, wo von den Studierenden klare Vorstellungen geäußert werden: Felder wie Popularmusik, Postcolonial Studies oder digitale Musikwissenschaft, aber auch berufspraktische Themen werden immer wichtiger und entsprechend nachgefragt.

Berufsfelder

nmz: Das ist ja eine immer wiederkehrende Frage: Wie speziell kann ein Studium der Musikwissenschaft auf einen Beruf vorbereiten?

Mücke: Trotz der praktischeren Ausrichtung, die das Bachelor/Master-System mit sich gebracht hat, bereiten musikwissenschaftliche Studiengänge nicht direkt auf einen konkreten Beruf vor. Aber die Absolventen sind für sehr viele berufliche Felder qualifiziert, von journalistischen Bereichen und Kulturmanagement bis hin zur Dramaturgie und zur Musikvermittlung, wobei Praktika nach wie vor eine große Rolle spielen. Meiner persönlichen Einschätzung nach sind die Berufsaussichten heute insgesamt gut, bunt und vielfältig.

nmz: Wo sehen Sie die Musikwissenschaft im größeren Kontext des Musik-und Kulturlebens. In welche Richtung will sich die GfM positionieren und engagieren?

Mücke: Vertreter der GfM sind vielfach in Gremien und Verbänden engagiert, im Kulturrat, im Musikrat oder in den Landesmusikräten. Ich sehe die Musikwissenschaft in einer tragenden Rolle für das Musik- und Kulturleben. Ganz zentral und vielfach übersehen wird die Tatsache, dass die Musikwissenschaft ein wichtiger Partner der Musikpraxis ist, etwa durch Noteneditionen. Zu denken ist hier zum Beispiel an die 18 Akademievorhaben mit insgesamt 90 Mitarbeitern. Ohne Musikwissenschaft erklingt kein Ton, könnte man sagen. Dennoch darf das Fach nicht darauf hoffen, dass man seine Leistungen schon sehen wird. Es muss auch offensiv nach außen vertreten werden, welche Rolle es bei Fragen der Repertoireerweiterung, der Digitalisierung oder der Vermittlung des Musikerbes spielen kann. Wissenschaftskommunikation ist zentral. Nicht jeder muss sie betreiben, aber wir sollten die Kolleg*innen wertschätzen, die das tun.

nmz: Als Ende 2019 die umstrittene Festschrift für Siegfried Mauser mit dem ominösen Vorwort erschien, meldeten sich die Fachgruppen kritisch zu Wort, nicht aber die GfM als Ganze, warum?

Mücke: Es war eine Entscheidung des Vorstandes, dass die Fachgruppen dieses Statement veröffentlicht haben. Seitdem ist viel passiert: Bei der Mitgliederversammlung in Bonn 2021 haben wir eine Diskussion zum Thema Machtmissbrauch geführt und darüber abgestimmt, eine entsprechende Arbeitsgruppe zu gründen. Bei der Jahrestagung im September wurde diese dann installiert. Es wurde bewusst beschlossen, ein offenes Forum zu schaffen, so dass sich eine große Gruppe gebildet hat, die ihre Ergebnisse bei der nächsten Mitgliederversammlung zur Diskussion stellen wird. Außerdem soll ein Gremium für ein niederschwelliges Beratungsangebot eingerichtet werden.

nmz: Wenn Sie in die Zukunft blicken: Welche Fragestellungen werden künftig Ihrer Einschätzung nach eine wichtige Rolle spielen?

Mücke: Immer noch stehen philologische Fragen im Vordergrund, oft im Zusammenhang mit Digitalität; das wird wichtig bleiben, denke ich. Der Bereich Musik und Medien wird eine starke Bedeutung haben, auch Perspektiven der Sound Studies und der musikalischen Globalgeschichte. Neben der Popularmusikforschung wird es sicher verstärkt um Popularität in musikhistorischen Zusammenhängen ganz allgemein gehen. Auch neuere Ansätze der Interpretationsforschung und der künstlerischen Forschung werden an Bedeutung gewinnen. Zu erkennen ist die Tendenz, dass die Grenzen zwischen den Teildisziplinen durchlässiger werden. Dieses gemeinsame Forschen aus verschiedenen Perspektiven – mit Methoden aus der Empirie und aus der historischen Musikwissenschaft – sollten wir als GfM stärken. Dann wäre schon viel geschafft.

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