„Klang-Offen“ nannte nmz-Herausgeber Theo Geißler seinen Leitartikel über Innovationen bei „Jugend musiziert“ in der neuen musikzeitung vom Dezember 2018. Und er versprach, über diese Innovationen noch en détail zu berichten. Jetzt traf er sich deswegen mit Ulrich Rademacher, dem Bundesvorsitzenden des Verbandes deutscher Musikschulen (VdM) und Vorsitzenden von Projektbeirat und Gesamtjury des Wettbewerbes „Jugend musiziert“, zum Gespräch über die Themen der Zentralkonferenz der Wettbewerbe „Jugend musiziert“ in Landshut im November 2018.
neue musikzeitung: Das Besondere an dieser Zentralkonferenz der Wettbewerbe ist, dass auch die Vertreter der zahlreichen Regionalwettbewerbe mit dabei sind. Gab es da bestimmte Erkenntnisse, besondere Begegnungen und Anregungen?
Ulrich Rademacher: Oh ja! Der Projektbeirat trifft sich regelmäßig mit der Bundesebene des Wettbewerbs „Jugend musiziert“, die Landesebenen treffen sich auch regelmäßig – mindestens einmal im Jahr. „Jugend musiziert“ lebt aber insbesondere von den Regionalwettbewerben. Es ist schwierig, alle 150 Regionen zusammenzutrommeln, aber wichtig, wenn man den Wettbewerb weiterentwickeln will. Denn der funktioniert überhaupt nicht Top-down, sondern nur Bottom-up und lebt auch von den vielen guten Ideen und dem Engagement in den Regionen. Ein wichtiges Thema der Zentralkonferenz hatte auch mit den Regionen zu tun: Wir haben mit Sorge festgestellt, dass in vielen Regionen die Teilnehmerzahlen zurückgehen, während sie bei den Landeswettbewerben stabil bleiben und auf der Bundesebene immer noch nach oben gehen. Das heißt, diejenigen, für die „Jugend musiziert“ eigentlich nur ein „Durchstarten“ bedeutet zu den höchsten Spitzen auf dem Weg zu Beruf oder Karriere, die werden „Jugend musiziert“ leicht finden und sich immer wieder daran beteiligen. Aber wir wollen ja ausdrücklich nicht nur aussuchen, wer der Allerbeste ist, sondern wir wollen alle Jugendlichen, die leidenschaftlich gerne Musik machen, versammeln unter ihresgleichen und mit ihnen ein großes Fest der Musik feiern.
nmz: Gibt es da Planungen, wie man diese regionale Anbindung verstärken könnte?
Rademacher: Einen Regionalwettbewerb als Festival, als Musikfest erlebbar zu machen, gelingt vielerorts wirklich gut! Da können die Regionen gut voneinander lernen. Es kommt stark darauf an, wie sich ein Regionalwettbewerb für die Teilnehmenden anfühlt. Ob es wirklich ein Fest der Musik ist, wo man sich und das, was man kann und leidenschaftlich gerne tut, feiert. Wo der olympische Gedanke nicht nur in den Sonntagsreden vorkommt, sondern sich auch bei den Teilnehmenden so anfühlt. Das zeigt sich schon an solch äußerlichen Dingen wie einem schönen Programmheft, in dem die Namen richtig geschrieben sind, wo das ganze Programm drin steht, vielleicht sogar mit einem Bild von den Teilnehmern. Das zeigt sich an einem adäquaten Raum, an einem Instrument, das gut gestimmt ist und an einer Akustik, die passt. Das zeigt sich an der Möglichkeit, sich einzuspielen, an einer schönen Atmosphäre bei der Ergebnisbekanntgabe und einem schönen Preisträgerkonzert. Es zeigt sich auch dabei, wie Musikschulleitungen oder Leitungen von allgemeinbildenden Schulen zeigen, dass sie stolz sind auf ihre Teilnehmer. Stolz nicht nur auf die ersten Preisträger, die dann zur nächsten Wettbewerbsstufe weitergehen, sondern eben auf alle, die gezeigt haben, wie gerne, wie ernsthaft und wie gut sie musizieren. Eines darf man nicht vergessen: Viel macht auch aus, ob man nach dem Vorspiel mal in eine Cafeteria gehen kann, sich austauschen kann mit Lehrern, Eltern, Freunden und dann vielleicht auch anderen Teilnehmern zuhört. Man hat dann nicht nur das eigene Spiel im Kopf, sondern erlebt ein wirkliches Fest der Musik. Überall, wo dies gelingt, wächst JuMu auf einer gesunden Basis. Da lohnt es sich, einen noch intensiveren Austausch zu pflegen und voneinander zu lernen.
nmz: Man sollte vielleicht ein kleines Kreativitätsheftchen veröffentlichen, wo diese ganzen Anregungen drin stehen und Machbarkeiten aufgezeigt werden.
Rademacher: Zu vielen Themen, die auf der Zentralkonferenz besprochen worden sind, sind bereits Arbeitsgruppen gegründet worden. Es ist auch schon viel Information von der Geschäftsstelle in München gebündelt und den Regionen zur Verfügung gestellt worden. Es gibt auch Arbeitsgruppen, die informell – beispielsweise im Netz auf entsprechenden Plattformen – weiter arbeiten.
nmz: Die Entwicklung geht dahin, dass der Bundeswettbewerb immer größer wird, immer mehr Teilnehmer bekommt. Liegt das daran, dass da vielleicht die Juroren und Jurorinnen nicht streng genug werten auf Landesebene?
Rademacher: Das ist ein ganz schwieriges Kapitel. Einerseits ist es toll, wie viele wunderbar gute Musiker wir haben. Das wären sie aber auch als erste Landespreisträger. Der Bundeswettbewerb aber ist ein Wettbewerb, der auch dadurch schön wird, dass sich Musiker dort begegnen, dass Musiker eine Woche zusammen sind und sich zuhören, üben, feiern, traurig sind, Zukunftspläne machen, sich verabreden zu Kammermusik und weiterem gemeinsamem Musizieren. Und dies alles – auch der Austausch mit Juroren – ist nur möglich, wenn der Wettbewerb nicht anonym und übergroß wird. Bundeswettbewerbe würden sich schöner und persönlicher anfühlen, wenn sie etwas übersichtlicher wären.
nmz: Das heißt, man sollte den Juroren da vielleicht auch ein paar Tipps geben?
Rademacher: Ja, aber dafür müssen wir uns auch mit den Ländern verständigen, wie wir eine verantwortungsvolle Weiterleitung von der Landes- auf die Bundesebene so regeln, dass alle Gebote der Fairness beachtet werden und der motivierende Charakter des Wettbewerbes erhalten bleibt.
nmz: Es gab in Landshut eine Art „Zukunftskongress“. Da wurden spannende Themen behandelt, zum Beispiel: Wie steht es denn um die Entwicklung neuer Wertungsklassen im Bereich Weltmusik etwa? Verliert die Baglama ihren Alibi-Charakter?
Rademacher: Das wäre wunderbar. Ich hoffe, dass die Baglama nicht das Feigenblatt für Weltoffenheit bei „Jugend musiziert“ bedeutet, sondern dass sie wirklich der Anfang einer großen Vielfalt an Instrumenten ist, die nicht aus unserer Kultur stammen. Denn wir richten „Jugend musiziert“ auch letztlich nach dem Geist der UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt aus, die davon spricht, dass wir das musikalische Erbe wahren wollen. Das tun wir mit allen klassischen Kategorien, mit Alter Musik, mit dem Klassikpreis und mit allem, was „Jugend musiziert“ auch so wichtig, bekannt und beliebt gemacht hat. Aber das Zweite ist eben die musikalische Vielfalt, die gepflegt werden will, wenn „Jugend musiziert“ wirklich abbilden will, was die Jugend so musiziert. Und unsere Jugend musiziert beileibe nicht nur Klassik, sondern auch Pop-Musik, Musical und sie musiziert auch in den Kulturen, die die Migranten uns mitgebracht haben. Daher sind wir auf dem Weg, eine eigene Kategorie zu gründen, in der neben Baglama auch Oud, Kanun, Ney, Bouzouki, Tabla und andere Instrumente bei „Jugend musiziert“ gespielt werden können.
nmz: Wie sieht es denn mit der Rock- und Pop-Musik aus?
Rademacher: Ich denke, dass „Jugend musiziert“ auch im Pop-Bereich konsequent bei seinem Format bleiben muss. Die Seele von „Jugend musiziert“ aber ist das Zusammenspiel. Der schon lange und von vielen geforderte Band-Wettbewerb ist also nichts anderes als die konsequente Anwendung von JuMu-Essentials im Pop-Bereich. Auch wenn es – wie es lange als Gegenargument vorgebracht wurde – eine Menge von Band-Wettbewerben gibt: Denn nur bei JuMu gibt es die Einheit von Solo und Ensemble. Mittlerweile sind in den meisten Regionen die Musikschulen so weit, dass für sie Pop-Musik ein ganz normaler Unterrichtsgegenstand ist. Es ist auch das Equipment vorhanden, das sicherstellt, dass eine Band adäquat ihr Können zeigen kann. Selbst wenn nicht: Alles was man an Neuem anfängt, was vielleicht noch nicht in jeder Region machbar ist, kann in einem Verbund mehrerer Regionen funktionieren. Eine ganz gängige Praxis etwa beim Orgelwettbewerb: Da nicht in jedem Landkreis genügend Teilnehmende für einen Orgelwettbewerb zusammenkommen, trifft man sich eben in einem Zentrum von vier, fünf Regionen. So wird es dann ein Wettbewerb, der seinen Namen verdient.
nmz: Was kann man sich unter der noch jungen Katagorie „JuMu Open“ vorstellen?
Rademacher: Ich finde es eine wunderbare Idee, dass wir „Jumu Open“ eingeführt haben für alles, was in den normalen „Jugend musiziert“ Kategorien bisher keinen Platz hat. Aber der Schönheitsfehler daran ist, dass er nur für Bundespreisträger offen ist. Somit kann diese Kategorie natürlich nicht die animierende und inspirierende Wirkung haben, die sie erzielen soll. Deswegen wollen wir, dass „Jumu Open“ – eine ganz offene Kategorie, wo weder die Stile, noch die Genres, noch die Instrumente vorgegeben sind – eben auch auf Regionalebene stattfindet. Denn nur dann kann sie große Wirkung an der Basis entfalten. Da gibt es seit der Zentralkonferenz auch eine AG, die dazu ein Konzept entwickeln wird.
nmz: Sind die Musikpädagoginnen und Musikpädagogen auf solche Spielexperimente und innovative Musizierformen denn fachlich überhaupt vorbereitet?
Rademacher: Diejenigen, denen wir bei „Jugend musiziert“ oder auf der Zentralkonferenz begegnet sind, scheinen darauf vorbereitet zu sein und sich darauf zu freuen. Vieles bei „Jugend musiziert“ hat damit angefangen, dass einige Wenige Vorreiter waren. Ich erinnere mich noch daran, dass die meisten Gesangslehrer gesagt haben „macht das nur ja nicht, das macht die Stimmen kaputt und passt nicht zum jugendlichen Alter und schon gar nicht zu den Kindern“. Und jetzt haben wir einen wunderbaren, großen und qualitativ jedes Jahr wieder höher stehenden Wettbewerb.
nmz: Sind die Musikhochschulen überhaupt in der Lage, Musikpädagoginnen und -pädagogen adäquat auszubilden? Komponisten kommen zum Beispiel oft viel zu selten mit den Instrumentalisten zusammen. Ist das nicht ein Manko?
Rademacher: Ich sehne mich auch nach einer größeren Einheit von Interpretation, Komposition und Improvisation. Diese drei Gebiete, die für mich untrennbar zusammen gehören, sollten das gleiche Gewicht haben an Musikhochschulen. Das ist noch ein Stück Weg bis dahin. Aber es gibt an vielen Hochschulen – auch gerade in den ungeliebten Theorieklassen – Ansätze, zu dieser neuen Einheit zu kommen. Aber wir haben auch noch ein anderes Problem: In mancher Beziehung sind die Hochschulen weiter als wir alle glauben, nur es gehen zu wenige Leute hin und das liegt wiederum daran, dass es an attraktiven Arbeitsbedingungen für Musikpädagogen fehlt. Wir müssen eben auch in dem Zusammenhang daran denken, dass es unsere Aufgabe ist, für ein attraktives Berufsbild zu sorgen.
nmz: „Jugend musiziert“ ist unter dem Aspekt des Mangels an Instrumentalisten für unsere Orchester ins Leben gerufen worden. Da hat der Wettbewerb seine Aufgabenfelder doch deutlich erweitert, oder?
Rademacher: Ja, Gott sei Dank! Unsere Orchester sind wieder mehr als früher mit hervorragenden einheimischen Musikern besetzt. Aber gleichzeitig ist „Jugend musiziert“ offener und internationaler geworden und die Frage, ob wir nun den einheimischen, den europäischen oder den außereuropäischen Nachwuchs fördern, spielt weder bei den Orchestern, noch bei „Jugend musiziert“ die herausragende Rolle. Wir wollen einfach die Qualität steigern. Aber wir wollen nicht nur die Qualität der Musik für die Profis stärken, sondern wir sind davon überzeugt, dass in einer so utilitaristischen Welt, wie wir sie um uns herum erleben, Musik einen ganz wichtigen Platz hat, um Menschen Menschen sein zu lassen.
nmz: Wie kann man – in Konkurrenz zu den flachen Reizen der neuen digitalen Welt – das Erlernen eines Instruments attraktiv machen?
Rademacher: Da fällt mir sofort ein, was bei vielen Preisträgerkonzerten von „Jugend musiziert“, besonders auch auf regionaler Ebene, immer wieder zum Schluss gesagt wird: Dass man den Kindern und Jugendlichen dankt, wie sehr sie sich angestrengt haben und was sie alles haben entbehren müssen, um dieses anstrengende Geschäft des Übens zu bewältigen. Ich glaube, das stimmt gar nicht. Wir haben wirklich die Möglichkeit, den Kindern auch zu zeigen, wie viel Lustgewinn Üben ist und wie groß das Vergnügen ist, mit anderen Menschen zusammen Musik zu machen, wie schön es ist, sich persönlich zu begegnen und handgemachte, selbstgefühlte Musik spielen und hören zu dürfen. Alle Kinder und Jugendliche, die das jemals gemacht haben, die gelernt haben, sich mit Musik auszudrücken, auch ihre wirkliche Persönlichkeit auszudrücken, die zusammen musiziert haben, die mal eine Orchesterreise gemacht haben, für die ist das so wichtig, dass sie es ihr Leben lang nicht vergessen werden. Ich glaube nicht, dass die das Gefühl haben, sie hätten irgendetwas in ihrem Leben geopfert für ein abstraktes Kulturgut. Ich glaube, Musik machen ist extrem vergnüglich.
nmz: Final vielleicht doch noch ein paar grundsätzliche „kulturpolitische“ Worte zur gesellschaftlichen Relevanz von „Jugend musiziert“?
Rademacher: Reden wir noch über einen ständig mitgeschleiften Verdacht, nämlich den, dass „Jugend musiziert“ elitär sei. „Jugend musiziert“ ist überhaupt nicht elitär und ich möchte, dass das auch ganz groß über allem steht, wenn wir uns zu „Jugend musiziert“ äußern. Wir brauchen nur sehr viele Menschen, die uns dabei helfen, dass „Jugend musiziert“ nicht als elitär empfunden wird. Zum Beispiel Musikschulen: Die müssen Gebührensysteme haben, die für erschwingliche Preise sorgen, die auch sozial gestaffelt sind. Musikschulleitungen müssen ihren Lehrenden erlauben, viel Zeit aufzubringen, Jugendliche auf „Jugend musiziert“ vorzubereiten. Stiftungen und Sponsoren müssen weiterhin bereit sein, Instrumente für begabte Kinder zu stiften, die sich diese selber nicht kaufen können. Wir müssen bei Anschlussmaßnahmen darauf achten, dass die Preise nicht zu einer sozialen Auslese führen. Und wir dürfen niemals zulassen, dass es für „Jugend musiziert“ eine Anmeldegebühr gibt.
Wir haben die Chance, jedem, der da mitgemacht hat, zu zeigen, wie schön es ist, gemeinsam zu Musizieren. Ich bin begeistert von dem Innovationspotential, das sich in dieser Zentralkonferenz gezeigt hat. Da ist nicht nur gequatscht worden, da ist wirklich erfolgreich gearbeitet worden und alle haben ihre Hausaufgaben und viel Inspiration mit nach Hause genommen.
- Interview: Theo Geißler