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Stimmungsvolles Bild von einem Aktionstag Musik an der Hochschule für Musik Hanns Eisler. „Können Sie sich eine Welt ohne Musik vorstellen? Wir nicht. Die deutschen Musikhochschulen.“ – soweit der Slogan zum Aktionstag der Musikhochschulen im Herbst 2009.
Stimmungsvolles Bild von einem Aktionstag Musik an der Hochschule für Musik Hanns Eisler. „Können Sie sich eine Welt ohne Musik vorstellen? Wir nicht. Die deutschen Musikhochschulen.“ – soweit der Slogan zum Aktionstag der Musikhochschulen im Herbst 2009.
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Zur sozialen Lage der Künstler und Kreativen

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Auf dem Weg zu einer neuen solidarischen Gesellschaft?
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In ihrem 70. Jahrgang will die nmz nicht alles anders machen, aber doch einiges neu. Kosten- und zeitsparende ZOOM-Konferenzen ermöglichen es unserer Redaktion, enger mit den Verbänden der nmz in Austausch über relevante Themen zu kommen. Thema Nummer eins unter den Musikverbänden ist derzeit fraglos die soziale Lage der Künstler und Musiker, die ganz eng mit der großen Frage verknüpft ist: „Welche Aufgabe haben Musik und die Künste in unserer Gesellschaft, inbesondere in Zeiten einer weltumspannenden Pandemie?“ Wie sich die gesellschaftliche Haltung zu Kunst und Kultur im Laufe der Jahrzehnte gewandelt hat und wohin der Weg vielleicht führen könnte – nämlich zu einer neuen solidarischen Gesellschaft –, das ist der rote Faden des Gesprächs des Komponisten und Publizisten Alexander Keuk mit der Soziologin und Hochschullehrerin Dr. Alexandra Manske.

Alexander Keuk: Frau Dr. Alexandra Manske, Sie sind Soziologin und Politikwissenschaftlerin und forschen an den Universitäten in Hamburg und Berlin über Kreative und Künstler*innen, ihre Milieus und ihre Vernetzung. Ich möchte Ihnen für die neue musikzeitung einige Fragen zur gegenwärtigen Situation der Künstler*innen stellen, zu denen ich mich als Komponist und Soloselbständiger auch selbst zähle. Wir führen dieses Gespräch aus der Mitte – oder hoffentlich auch aus einem baldigen Ende – der pandemiebedingten Krise oder Umbruchphase heraus, wagen also immer noch den Blick von innen. Da die Theater und Konzertsäle geschlossen sind und die Musiker*innen immer noch still sind, sind die Fragen erst recht wichtig, wie es den Künstler*innen jetzt geht, welche Einschnitte wir beobachten und wo sich die Situation hinbewegt.

Sie haben im Mai 2020 einen Essay geschrieben mit dem Titel „Der Feind in unserer Gesellschaft“, in dem Sie gleich zu Beginn sehr viel Solidarität und Zusammenhalt innerhalb einer kollektiven Bedrohungslage ausmachen. Nun sind wir mittlerweile in der dritten Welle angekommen – würden Sie den Artikel heute noch genauso schreiben?

Alexandra Manske: In der großen Linie ja, ich würde wahrscheinlich Feinjustierungen vornehmen. Die große Linie ist tatsächlich richtig, denn sie besagt, dass wir uns in einer gesellschaftlichen Umbruchphase befinden, die zumindest ein ideologisches Ende des neoliberalen Gesellschaftsprojektes signalisiert. Das ist nach wie vor richtig, meine ich, dass wir an der Schwelle zu einem, wenn man so will, neuen alten Gesellschaftsvertrag stehen, der sich nicht mehr im Kern an marktorientierten Parametern orientiert, sondern eher an Fragen der außerökonomischen, sozialen Wechselwirkungen.

Diese grundsätzliche Diagnose stimmt nach wie vor, aber was sich im letzten Jahr sehr deutlich gezeigt hat, ist, dass Solidarität in einem Spannungsverhältnis von Inklusion und Exklusion steht. In der Arbeitsforschung unterscheiden wir zwischen exklusiver und inklusiver Solidarität. Zudem müssen wir zwischen der akademisch-soziologischen und der gesellschaftlich-politischen Prägung unterscheiden und hier nach ihren inkludierenden beziehungsweise exkludierenden Mechanismen fragen. Die politische Solidarität, die ja eng mit den Gewerkschaften und der Arbeiter*innenbewegung verbunden ist, war schon immer eine exklusive Angelegenheit. Gewerkschaftspolitik und Arbeiterpolitik war immer sehr stark an Grenzen zwischen innen und außen ausgerichtet. Die Solidarität nach innen, in die Organisationen und Gruppenzugehörigkeiten hinein war immer stark, nach außen hin aber ein Verhältnis von sozialer Ausgrenzung. Was sich weiterhin zeigt, ist, dass sich der exkludierende Aspekt der Solidarität im letzten Jahr durchzieht und Kulturschaffende (neben dem Gewerbe der Prostitution übrigens) als die am stärksten Betroffenen der Corona-Krisenpolitik herauskristallisiert haben. Sie sind mit einem indirekten Berufsverbot belegt. Das ist ein Eingriff in das bürgerliche Recht der freien Kunstausübung, begründet mit dem Infektionsschutzgesetz. Man kann das auch daran illustrieren, wie das unsere beiden obersten Staatsoberhäupter kommuniziert haben. Am Ende der ersten Welle, im Juni 2020, erklärte der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier „Kultur als relevante Lebensmittel“. Noch vor Beginn der nächsten Welle, im Oktober 2020, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel die Kultur allerdings zu „Freizeiteinrichtungen“ erklärt, damit wurde das Grundnahrungsmittel im Handumdrehen zum Luxus herabgestuft, im Sinne von „nice to have“, aber nicht systemrelevant: „als erste zu, als letzte auf“.

Wenn nun Kunst und Kultur plötzlich wieder als Luxus verkauft werden, zeigt das eben auch mehr als nur die Haltung „wir nehmen Kunst nicht so wichtig“. Deutlich wird vielmehr, dass wir eine industriegesellschaftlich geprägte Gesellschaft sind – auf dem Weg zur Wissens- oder Digitalisierungsgesellschaft zwar, aber in der Prägung immer noch Industriegesellschaft. Interessant ist auch, dass die Herabstufung von Kunst und Kultur zum nicht notwendigen Gesellschaftsmomentum im krassen Gegensatz zum neoliberalen Modernisierungskurs der Nuller Jahre steht, wo Kunst und Kreativität als Treibmittel des 21. Jahrhunderts deklariert worden sind. In dieser Problematik zeigt sich also weitaus mehr als nur die soziale Lage der Kunstschaffenden im engen Sinne, sondern vielleicht so etwas wie die gesamte Lage der Kunst und Kultur im gesellschaftlichen Raum der Macht.

Keuk: Mich bewegt die Frage der aktuellen Situation im Vergleich zu den vorherigen Systemen und Wirklichkeiten. Wenn wir jetzt feststellen müssen, dass die Künstler*innen exkludiert, quasi ihres Sinns beraubt sind, haben wir dann denn schon vorher etwas nicht beachtet, dass jetzt alle durch die Löcher des Netzes rauschen? Oder ist das etwas, was mit der aktuellen Pandemiesituation begründbar ist, worauf wir natürlich auch zum Teil panisch und aktivistisch reagieren?

Manske: Die Corona-Krise ist auch so etwas wie ein Brennglas, sie bringt in einer enorm vergrößerten Form neuralgische Punkte zum Vorschein: Mechanismen, wie unsere Gesellschaft funktioniert und soziale Ungleichheiten, etwa im Hinblick auf Geschlechterfragen, aber auch im Hinblick auf die Rolle von Kunst und Kultur in unserer Gesellschaft. Es ist überdeutlich, wie der Kulturbereich im staatlichen Krisenbewältigungsmodus als Arbeitswelt gering geschätzt wird; und das, obwohl 1,3 Millionen Menschen im Kultur- und Kreativbereich arbeiten. Andererseits bieten gesellschaftliche Umbruchsituationen immer die Möglichkeit, neue Richtungen einzuschlagen, auch wenn Pfadabhängigkeiten oft enge Grenzen setzen. Der Fortschritt ist eine Schnecke, und bis sich mentale Strukturen umstellen, dauert es ein, zwei Generationen.

Zu Ihrer Frage, was vorher schon falsch war, würde ich antworten, da war vieles falsch und richtig zugleich, das muss man im Kontext des gesamten Wohlfahrtsstaats Deutschland betrachten. Wenn man sich etwa die Künstlersozialkasse anschaut, müsste man eigentlich sagen, es ist eine tolle Erfindung, das gibt es nur in Deutschland, eine eigenständige Kasse, die selbstständige Künstler*innen als versicherungspflichtige, vulnerable Erwerbsbürger*innen behandelt, sofern sie nachweisen können, dass sie original Kunst produzieren. Aber die KSK hat auch einen Exklusionsmechanismus, da sie nicht automatisch alle Künstlerinnen und Künstler versichert. Vielmehr müssen sie ein Mindesteinkommen erwirtschaften, um in die KSK überhaupt aufgenommen zu werden, und es ist jetzt zu eruieren, inwieweit die Kriterien für die KSK unter den aktuellen Lebensbedingungen nicht mehr passend sind. Es darf nun nicht dazu führen, dass diese Berufsgruppe innerhalb der Pandemie unterbewertet, zu wenig berücksich­tigt wird.

Künstlertum und Ich-AG

Keuk: Wer ein Auto produziert, geht morgens zur Arbeit, produziert das Auto und hat abends für sein Tagwerk einen Lohn im Säckel. Anders ist und war es übrigens auch zu Vor-Pandemiezeiten schon bei Künstler*innen, die zwar genauso Vollzeit arbeiten, aber, das entnehme ich ja auch Ihren Ausführungen, der Kasse ebenso beweispflichtig sind wie auch gegenüber Corona-Hilfsangeboten. Mehr noch: Selbst die Musiker*innen untereinander konkurrieren etwa bei Stipendien wie „Neustart Kultur“ um eine Teilhabe. Warum wird nicht stattdessen in der Gesellschaft ein Bekenntnis zur Kultur formuliert und diese als erstes mitgenommen und ihre Protagonist*innen abgesichert?

Manske: Ich bin nicht sicher, ob es eines erneuerten Bekenntnisses der Gesellschaft bedarf, denn das steht ja eigentlich außer Frage. Es gehört ja zum Habitus des wohlsituierten Bürgers dazu, Kunst und Kultur wichtig zu finden. Was dagegen unterentwickelt ist, ist ein Bewusstsein, den Kunst- und Kulturbereich auch als Arbeits- und Wirtschaftssphäre zu betrachten und insofern fand ich eigentlich diesen Diskurs über Kreativwirtschaft, inspiriert von Richard Florida und seinem Konzept der „Kreativen Klasse“, in der allgemeinen Stoßrichtung eigentlich ganz richtig. Nur dass dieser Diskurs gewissermaßen in einer bestimmten gesamtgesellschaftlichen Phase Konjunktur hatte, nämlich in einer neoliberalen Hochzeit, wo dann alle Unternehmer werden sollten, Stichwort Ich-AG – damals sollten plötzlich auch Künstler zum Unternehmer getrimmt werden oder sich selber trimmen. Damit wurde dann die Eigenlogik von künstlerischem Schaffen, aber auch die soziale Not und auch die eingebaute Konkurrenz in diesem Geschäft nur als positive Inspiration verkauft. Da war eine Menge ideologischer Überbau dabei, das ist mittlerweile ein Stück weit wieder abgeschmolzen.

Eine diskursive Verschiebung stelle ich auch fest, wenn ich auf mein jüngstes Forschungsprojekt „Interessenvertretung im Kulturbereich“ schaue, das sich mit den Darstellenden Künsten beschäftigt hat. Die Ergebnisse zeigen unter anderem, dass sich dort das Arbeitnehmerbewusstsein verändert und ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl herauskristallisiert hat. Zugleich knüpft es gewissermaßen an neoliberale Ressourcen der kreativen Klassenära an. Seitdem sollen ja nicht alle nur Unternehmer sein, sondern auch Künstler und Kreative. Kreativität ist damals ja zum Heilswort des Kapitalismus des frühen 21. Jahrhunderts avanciert. Wenn man die Generationen dieser Kreativen nun betrachtet, so versteht sich nun die Altersgruppe der etwa zwischen 20- bis 40-Jährigen zunehmend auch als Erwerbsbürger. Sie fordern Mindesthonorare und schließen sich kollektiv in Netzwerken und Verbänden zusammen. Da hat sich also einiges verändert.

Trend zur Hybridisierung

Keuk: Das heißt, wir beobachten ein stetig sich wandelndes Selbstverständnis der Künstler*innen, die jetzt im 21. Jahrhundert ankommen? Aus meiner Sicht kann es ja nur positiv sein, wenn Künstler*innen nicht dauerhaft als bedürftig im Sinne des historischen Bildes des „armen Künstlers“ hingestellt werden. Andererseits erleben wir – vor genauso wie innerhalb der Pandemie – weiterhin prekäre Arbeitsverhältnisse gerade für Solo-selbständige, mehr noch: jetzt hängen viele ihre derzeit nicht ausübbare Kunst an den Haken, um etwa im nicht weniger prekären Einzelhandel „Geld zu verdienen“!

Manske: Die Arbeitswelt der Kreativen verändert sich extrem, die eine Entwicklung bezeichne ich als Entdramatisierung des Künstler-Habitus, wo das Kunstschaffen auch als Arbeit betrachtet wird, aber das heißt natürlich nicht, dass der Widerspruch in den Subjekten selber aufgelöst wird. Es ist ein alter Widerspruch, der neu austariert wird. Das hat auch mit länger- und mittelfristigen Entwicklungen zu tun, damit etwa, dass der Einzugsbereich, der heute Kulturschaffende sind, seit den 1960er-Jahren größer geworden ist. Heute besteht die kreative Klasse nicht mehr nur aus Menschen mit bildungsbürgerlichem Hintergrund, es sind auch Menschen aus der „kleinen sozialen Mitte“, aus den Aufsteigermilieus der 60er-Jahre mit einem kleinbürgerlichen Habitus, die per se den Anspruch an Arbeit haben, dass diese auch dem Broterwerb dient.

Die Sängerin aber, die sich jetzt bei Netto an die Kasse setzt, um sich nebenbei ein Zubrot zu verdienen, ist übrigens auch kein Beispiel für ein völlig neues Muster von Erwerbsverläufen. Wir sprechen hier vom Trend zu einer Hybridisierung von Arbeit, wobei es die „Standbein-Spielbein-Strategie“ von Künstler*innen schon immer gab. Das hat schon Wolfgang Ruppert 1998 in seinem Buch „Der moderne Künstler“ beschrieben im Blick auf Künstler*innen des 19. Jahrhunderts. Aber was sich verändert hat, ist a) es gibt heute mehr Kulturschaffende in Deutschland als etwa Beschäftigte in der Finanzdienstleistungsbranche und b) der Zuwachs gerade bei den selbständigen Kulturschaffenden stammt ja von den Miniselbständigen, die Sie gerade ansprechen. Und die haben natürlich das Problem, dass sie permanent in einem Wohlstand auf Widerruf leben und zweigleisig fahren müssen. Insofern ist das schon eine neue Form von Hybridität, die immer mehr Menschen betrifft – und die sehr viele neue, gesellschaftliche Problemfelder eröffnet, auf die Antworten gefunden werden müssen.

Nicht zu vergessen ist, dass der öffentlich finanzierte Kulturbereich auch einen großen Anteil an der Hybridisierung von Arbeit hat, etwa im Theatersystem, wo wir bei 77.000 Gesamtbeschäftigten 32.000 unstet Beschäftigte haben. Die Beschäftigtengruppe, die überproportional zunimmt, sind die der unstet Beschäftigten, das heißt, die Wippe verlagert sich immer mehr in Richtung prekärer oder unsteter Beschäftigung, und damit verbunden sind natürlich auch Statuswechsel zwischen abhängig Beschäftigten und selbständig Beschäftigten. Und damit sind wir wieder bei der sozialen Absicherung und bei den Konstruktionsprinzipien der Künstlersozialkasse. Ich rede mittlerweile seit zehn Jahren davon, dass dort die Aufnahmekriterien und Zuverdienstgrenzen verändert werden müssen. Oder – man muss dann das ganz große Rad drehen und eine Erwerbstätigenversicherung für alle einrichten und die Privilegien für die Beamten und private Krankenversicherungen abschaffen.

Keuk: Wir sind doch auch eine diverse Gesellschaft und auch innerhalb der Künstler*innen und Kreativen sind  wir höchst divers, wenn ich da an Aushilfen an den Theatern denke, die in abhängiger Beschäftigung sind, damit gar nicht in der KSK landen. Oder auch der klassische Fall des Instrumental-Lehrers, der gleichzeitig konzertiert und lehrt – Letzteres scheint gerade jetzt eine einstweilige Rettung zu bedeuten. Meine Frage wäre, ob die Diversität der Berufsbilder gerade in der Krisensituation jetzt wirklich beachtet wird?

Manske: Es gibt unterschiedliche Wege, diese Diversität zu messen. Über die Wirtschaft wäre das eine Branchendifferenzierung und kommt bei der Kultur- und Kreativwirtschaft bei 10 bis 12 Branchen heraus oder man operiert mit einem System der Kulturberufe in Anlehnung an den Berufekatalog des Statistischen Bundesamtes. Das wären die Gruppierungen im allgemeinen. Weil es aber ein vergleichsweise gering institutionalisiertes Feld ist, gibt es dort natürlich sehr viele Individualberufe, wo man sich selbst einen Titel gibt und mit einem queren Lebenslauf eine Nische erobert.

Um auf die Pandemie zurückzukommen – wir reden ja seit ein paar Jahren über die Digitalisierung. Gerade die Künstler*innen und Kulturschaffenden, die nicht auftreten können – wo arbeiten sie jetzt? Im Internet. Und auch die Theater machen zunehmend Streams und digitale Angebote. Hier haben wir einen Effekt der Krise, der zwar Kulturschaffende in ihrer Exis­tenz bedroht, aber das Kulturschaffen als Arbeitsprozess auch stark verändert. Das ist eine interessante Entwicklung, die man etwa in der Filmbranche schon viel länger beobachtet, die ihre Arbeit schon stark auf die digitalen Plattformen auszurichten in der Lage ist. Das verändert den Arbeitsmarkt enorm.

Keuk: Innerhalb der Pandemie wird unter den Künstler*innen und auch teilweise von der Politik ein Grundeinkommen beziehungsweise eine Grundsicherung diskutiert. Sehen Sie dies als temporäre Möglichkeit, Künstler*innen durch diese Krise zu helfen oder ist es ein Instrument, was auch zukünftig freies künstlerisches Arbeiten ermöglichen könnte?

Manske: Lanciert wurde ja der Begriff des Unternehmereinkommens, der ist etwas überdehnt. Ich war eigentlich eine Gegnerin des bedingungslosen Grundeinkommens. Es ist eine grundlegende strategische Frage, ob man Arbeit und Vermögen umverteilen möchte oder ob man allen Menschen Geld geben will, was zu einer Massierung von Verteilungsungerechtigkeiten führen würde und letzten Endes eine staatliche Subventionierung und einen staatlichen Anreiz dazu bieten würde, Arbeitsverhältnisse abzubauen und Einkommen zu verringern. Insofern bin ich eher eine Freundin der Erwerbstätigenversicherung für alle, also einer gleichmäßig-gerechten Sozialversicherung. Und dann muss man auch die Frage stellen, wie überhaupt Einkommensteuer in einer Erbengesellschaft generiert wird. Die asymmetrische Reichtumsverteilung wird sich immer mehr zuspitzen und das vor dem Hintergrund, dass immer noch Arbeit relativ stark besteuert wird und Erbschaften und Vermögen so gut wie gar nicht besteuert werden, das sollte zukünftig wieder stärker problematisiert werden.

Zuversicht und Zukunft

Keuk: Sie formulieren in Ihrem Essay – ich wiederhole nochmal: geschrieben im Mai 2020 – als letzten Satz eine vorsichtige Hoffnung in Richtung einer solidarischen Gesellschaft der Zukunft: „Immerhin hat sich das Fenster für eine gesellschaftspolitische Zeitenwende einen Spalt breit geöffnet.“ – Meine Frage würde nun lauten, was Sie Künstler*innen aus Ihrer Sicht mitgeben würden in Richtung Zuversicht, in Richtung einer wie auch immer gearteten „neuen“ Zukunft?

Manske: Ein zentrales Ergebnis meiner jüngsten Forschungen über Interessenvertretung im Kulturbereich ist der Stellenwert von Solidarität. Die Studie bietet meines Erachtens eine gute Aussicht auf die Post-Corona-Gesellschaft, obwohl ihr Redaktionsschluss vor Corona war. Dass Solidarität wieder en Vogue ist, hängt zweifellos mit der dramatischen Naturgewalt zusammen, die hinter dem Virus steckt. Doch das dürfte nicht der einzige Grund für die Konjunktur von Solidarität sein. Vielmehr spiegelt sich in meinen Untersuchungsergebnissen auch die Suche nach einem neuen Modus gesellschaftlichen Zusammenlebens wider, der aus einer Erschöpfung und Desillusionierung über die seit den 1980er-Jahren herrschende neoliberale Gesellschaftsdoktrin resultiert.

Dass Solidarität als Narrativ aus dem Datenmaterial teilweise geradezu hervorsticht, ist insofern nicht nur ein arbeitspolitischer Reflex, sondern weist auf einen sozialen Wandel von größerem zeithistorischen Ausmaß hin. Dabei nutzen die Interviewpersonen quasi intuitiv einen Arbeitsbegriff von Solidarität, der als Idee der wechselseitigen Hilfe im engen Zusammenhang mit sozialer Gerechtigkeit und sozialpsychologischer Unterstützung steht. Dieser in bewegungspolitischer Tradition stehende Solidaritätsbegriff kommt beispielsweise zum Ausdruck, wenn eine darstellende Künstlerin im Interview konstatiert, dass es „um ein solidarisches Zusammengehörigkeitsgefühl“ gehe und darum, „Formen zu finden, wie man besser füreinander eintritt“ und dies in dem Pippi-Langstrumpf-Schlachtruf der Alternativbewegung der 1980er-Jahre bündelt: „Bildet Banden, ... schließt euch zusammen und seid lauter“.

Die politische Ökonomie des Kunstschaffens muss meiner Meinung nach noch stärker in den Vordergrund rücken und dafür wären Zusammenschlüsse wichtig, wofür wiederum die Zeit günstig wäre. Verbände wiederum sollten aus arbeitssoziologischer Sicht unbedingt die soziale Frage adressieren und die Lage ihrer Klientel verbessern, da kann man in einigen Fällen sicher neue und bessere Akzente setzen. 

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