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Zwischen Mozart, Prokofieff und Noise Music

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Chemnitz bietet nicht nur Fabrikschlote, sondern auch Musikkultur von Oper bis Jazz
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„So geachtet Chemnitz in der Fabrikwelt steht, so unbeachtet ist es in der Kunstwelt“, urteilte man knallhart im 19. Jahrhundert über das sächsische „Klein-Manchester“. Gegen die beiden anderen sächsischen Großstädte mit solch künstlerisch wertvollen Beinamen wie „Elb-Florenz“ (Dresden) und „Klein-Paris“ (Leipzig) vermochte und vermag auch heute die mittlerweile vormalige Industrie-Metropole Chemnitz nicht zu konkurrieren. Selbst der ungeliebte Nachbarort Zwickau, bekannt für seine Automobilindustrie, ist in Sachen Musik mit dem dort geborenen Musensohn Robert Schumann weit eindrucksvoller bestückt.

„So geachtet Chemnitz in der Fabrikwelt steht, so unbeachtet ist es in der Kunstwelt“, urteilte man knallhart im 19. Jahrhundert über das sächsische „Klein-Manchester“. Gegen die beiden anderen sächsischen Großstädte mit solch künstlerisch wertvollen Beinamen wie „Elb-Florenz“ (Dresden) und „Klein-Paris“ (Leipzig) vermochte und vermag auch heute die mittlerweile vormalige Industrie-Metropole Chemnitz nicht zu konkurrieren. Selbst der ungeliebte Nachbarort Zwickau, bekannt für seine Automobilindustrie, ist in Sachen Musik mit dem dort geborenen Musensohn Robert Schumann weit eindrucksvoller bestückt.Dem können die Chemnitzer höchstens den kaum noch bekannten Singspielkomponisten Christian Gottlob Neefe, der immerhin als wichtigster Lehrer Beethovens gilt, entgegensetzen. Immerhin organisierten sich die Chemnitzer den Namen Robert Schumann für ihre Philharmonie, ein Coup aus glorreichen sozialistischen Tagen, während Neefe erst in spätkapitalistischer Neuzeit zu Ehren kam und seinen Namen für den „Neefe-Einkaufspark“ hergeben musste. (Dass es sich hierbei eigentlich gar nicht um den Komponisten sondern um einen gleichnamigen sächsischen Industriebaron handelt, tut schon kaum noch etwas zur Sache.)

Aber nichts muss ja so bleiben, wie es ist. Man kann sich, siehe Schumann, ja die musikalischen Geistesriesen einfach so in die Stadt holen. Mit Beginn der 90er- Jahre hat nämlich kein geringerer als Wolfgang Amadeus Mozart in Chemnitz eine feste Heimstatt gefunden, obwohl der Vielgereiste Chemnitz nie besucht und bestenfalls bei seiner Dresdenreise weiträumig das Gebiet umfahren hat. Aber als Europäer par excellence, ja eigentlich sowieso Kosmopolit, ist Mozart ohnehin überall zu Hause. Warum also nicht in Chemnitz!

In diesem Sinne wurde in der Stadt gehandelt und kurz entschlossen 1991 die Sächsische Mozartgesellschaft gegründet, die aus Mitgliedern einer Bürgerbewegung hervorgegangen ist, deren kulturelle Bedürfnisse sich in solcherart Aktivitäten spiegelten. Und dies mit einem erstaunlichen Erfolg. In diesem Jahr wird bereits zum zehnten Mal das Sächsische Mozartfest ausgerichtet – am Beginn als „Kleines Mozartfest“, 1995 als „Deutsches Mozartfest“ und seit dieser Zeit als „Sächsisches Mozartfest“, das sich als feste Festival-Größe in der Stadt etabliert hat.

Der rührige und auch rührende Anfängerschwung ist sicherlich ein wenig gewichen, mittlerweile herrscht professioneller Langmut vor. Was ja keine schlechte Entwicklung ist. Eine Vielzahl bekannter Künstlerinnen und Künstler, etablierte Ensembles, aber auch Nachwuchsinterpreten, die man allesamt kaum je in Chemnitz erblickt hätte, konzertierten hier. Der englische Barockgeiger Andrew Manze mit der Academy of Ancient Music war da, Elisabeth Leonskaja, Flautando Köln, die Classic Buskers, Violeta Dinescu, das Modern String Quartet...

Nicht immer eine leichte Kost. Das Programm für das 10. Sächsische Mozartfest, vom 28. April bis 13. Mai, verspricht „Bewegung und Tanz“ sowohl im authentischen als auch im übertragenen Sinne. Das Festival wird am 28. April mit der Oper „Die Entführung aus dem Serail“ von Wolfgang Amadeus Mozart eröffnet. Einen Tag später treffen sich zwei Künstler in der Kreuzkirche, deren musikalischer Ursprung unterschiedlicher nicht sein könnte, deren Begegnung daher umso spannender zu erwarten ist. Der ehemalige Leipziger Gewandhausorganist Matthias Eisenberg und der König des Klezmer, Giora Feidman, stellen ein Programm vor, das Kompositionen Mozarts, Musik aus jüdischer Tradition und Improvisationen aus dem Augenblick heraus verbindet. Dem hingegen ist die Batzdorfer Hofkapelle, die gemeinsam mit der Blockflötistin Michala Petri auftreten wird, fast ein Lokalmatador. Aufgrund der spielerischen Munterkeit und Finesse, insbesondere dem Dresdner Opern- und Oratorienrepertoire des 18. Jahrhunderts verpflichtet, erreichen die Konzerte der Batzdorfer ein extrem breit gefächertes Publikum. Tatsächlich haben sich ihre Barockfestspiele, ein von Schauspielern und Musikern im Handstreich organisiertes Festival, das rund fünfzig Kilometer von Chemnitz entfernt im Sommer stattfindet, als sogenannte Kultveranstaltung längst etabliert. Ohne viel Geld, aber mit enorm viel Enthusiasmus.

Etwas Ähnliches lässt sich auch über die „Stelzenfestspiele bei Reuth“ sagen, die 80 Kilometer südlich von Chemnitz im Vogtland stattfinden und die es mit einer Uraufführungsserie von „Landmaschinen-Sinfonien“ zu einer Popularität gebracht haben, die mittlerweile zumindest für ein Wochenende internationale Gäste in die malerische Region des Vogtlandes lockt.
Das mag für die (Ex-)Industriestadt Chemnitz schwieriger oder fast unmöglich sein, aber im neu erbauten Opernhaus hat man in den letzten Jahren einige spektakuläre Aktionen „gestartet“, die einen gewissen Kulturtourismus heraufbeschworen haben. Der internationale Wagner-Jet-Set traf sich, um die allerorten hoch gelobte Chemnitzer Produktion des „Ring des Nibelungen“ zu bestaunen. Eine ganz andere Klientel besuchte die Stadt, als Kurt Weills „Der Weg der Verheißung“ seine europäische Erstaufführung erlebte und kürzlich reisten die Freunde der russischen und sowjetischen Oper an, um Prokofieffs selten gespielte „Verlobung im Kloster“ zu bestaunen (siehe Foto).

Von den mobilen jungen Leuten fahren etliche nach Bayern zum Jobben, denn Arbeit ist knapp geworden in Chemnitz. Zurückgekommen entspannen sie sich dann weniger bei den Anrechtskonzerten der Robert Schumann Philharmonie, sondern gehen in Rock- oder Jazzkonzerte. Vor allem im Vergleich zu anderen sächsischen Städten ist das Jazzleben in Chemnitz recht ausgeprägt. Es gibt im Opernhaus alljährlich ein Jazzfest mit internationalen Spitzenstars, es gibt das Workshop-Projekt „Jazzakademie“, das von der Chemnitzer BigBand mit dem Furcht einflößenden Namen „Monster of Intonation“ durchgeführt wird und gleich zwei Jazzclubs bieten in der Stadt quer übers Jahr Konzerte an. Nicht zuletzt das alljährlich stattfindende Herbstfestival „Begegnungen“ setzt gleichermaßen auf Klassik und Jazz, auf Unterhaltung und Experiment, und auf, um mal ein ganz schlimmes Wort zu benutzen: „Cross Over“.

Was strahlt musikalisch von Chemnitz in die große, weite Welt ab? Sicherlich einige Opern-Produktionen des Städtischen Theaters, aber in einem ganz speziellen Segment ist in Chemnitz Weltniveau eingekehrt. Das 1990 vom Chemnitzer Karsten Zinsik gegründete Label „Noiseworks Records“, wo einem alles geboten wird, was sich hergebrachten Hörgewohnheiten konsequent entgegenstellt, ist selbst in London und New York eine feste Größe. Bereits zu Beginn der 90er-Jahre bemerkte ein Berliner Radiosender, dass solcherart „wunderbare Musik bezeichnenderweise aus Chemnitz“ komme. Was immer das auch bedeuten mag.

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