„Der Rundfunkbeitrag wird nicht wie eine Steuer voraussetzungslos, sondern als Gegenleistung für die Möglichkeit erhoben, die öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogramme empfangen zu können.“ So das Leipziger Bundesverwaltungsgericht in der Erklärung zu seinem letzten Urteil vom 18. März bezüglich der Rechtmäßigkeit der Haushaltsabgabe genannten Rundfunkgebühr; die fünfzehn Kläger hatten genau dies bestritten mit dem Hinweis, es sei eben nicht egal, ob jemand ein Empfangsgerät besitze oder nicht. Nun ist es doch egal, das BVerwG hat sich der bisherigen Rechtsprechung angeschlossen, denn eine Wohnung zu bewohnen, reicht schon aus, womit ein Ende jedoch nicht abzusehen ist.
Acht weitere Klagen gegen die Haushaltsabgabe folgen im Juni, und auch die eben abgewiesenen Kläger werden wohl mit ihren Anliegen vors Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe weiterziehen. Und dann stehen noch die Klagen der gewerbetreibenden Gebührenzahler an – in Leipzig und in Karlsruhe.
Irgendetwas ist zerbrochen im öffentlich-rechtlichen Medienland, und es will sich nach soundso viel Urteilen kein Rechtsfrieden einstellen. Bei aller früheren Medienschelte („Rotfunk“, alternativ „Schwarzfunk“ usf.), gab es doch einmal so etwas wie einen Grundkonsens, doch der scheint perdú. Was über die Rundfunkstaatsverträge hinaus derart mit Urteilen gewappnet und bewehrt ist, das hat seine Selbstverständlichkeit verloren, und obwohl die Gebührenfinanzierung so immer „legaler“ wird, schwindet zugleich das Gefühl immer mehr dahin, sie sei auch legitim. Jedes neue Urteil wird den Zwangscharakter neu unterstreichen, den die von Politikern geforderte Beitragssenkung auch nicht lindert, zumal die ARD-Anstalten sie ablehnen.
Defensivmentalität
Diese, anders kann man sich das in der gegenwärtigen Situation nicht vorstellen, scheinen von einer umfassenden Defensivmentalität ergriffen. Die Privaten, das Internet, die Abwanderung der jüngeren Nutzer, die drückenden Pensionsrückstellungen, die Quote, Konkurrenzdruck versus strukturelle Defizite und so fort: überall Bedrohungen, neudeutsch „Herausforderungen“; rundum der Druck, Fronten begradigen, Stellungen halten, oder eben juristisch stets aufs neue Recht bekommen zu müssen. Das hat etwas eminent zwangsneurotisches, und die Betroffenen sind zu bedauern, zumal sie immer stärker mit Zwangshandlungen reagieren. Sparzwang eben, und der gebietet stereotyp, immer mehr vom Gleichen mit immer weniger Mitteln und Menschen herzustellen. Soll es ausnahmsweise anders werden, nämlich so wie zum Beispiel bei Netflix, den Zeitungen oder halt anderen, dann jedoch werden neue Mittel und Menschen benötigt, damit man es dann so macht wie die anderen. Nichts Drittes zwischen diesen Stereotypen?
Nun, vielversprechend scheint die gegenwärtige Lage nicht gerade. Brachte bei seinem Amtsantritt Intendant „Major“ Tom Buhrow im Juli 2013 noch „die Liebe mit“, blickte er kaum ein Jahr später beim WDR in einen „strukturellen Abgrund“ (welch eine Liebeserklärung an die neuen Mitarbeiter!) und begann diesen mit jenen zu füllen: 500 Stellen sind bis 2020 einzusparen, also 10 Prozent des WDR-Personals, da ab 2016 eine Deckungslücke von 100 Millionen Euro per annum drohe. Das begann dann mit Schließung der Hausbibliothek, ging über etliche Programmreformen beim Regionalfernsehen, bei WDR 3 und 5, neuerdings auch bei den Wissenschaftsredaktionen und beim Funkhaus Europa, letzteres gegen den Widerstand von 17.000 Online-Petitionären, darunter auch Jan Delay. Und da das Versilbern von Teilen der Kunstsammlung bei Sotheby’s durch die NRW-Landesregierung vorläufig unterbunden wurde (wir erinnern uns an Warhols „Triple Elvis“ und „Four Marlons“: Quod licet Jovi, non licet bovi; bei Bedarf googeln …), dürfen nicht nur die pessimistischen Kulturliebhaber bezüglich der zwei WDR-Orchester Befürchtungen à la SWR-Orchesterfusion hegen. Schließlich wurde deren neuer 5-jähriger Tarifvertrag vorsorglich mit der Möglichkeit einer einseitigen Kündigung versehen, wenn sich nämlich „die Voraussetzungen ändern“. Und auch das dürfte Ruth Hieronymi, die Vorsitzende des Rundfunkrats, mit vermutlich denselben Worten durchwinken wie gehabt: „Der WDR muss diesen schwierigen Weg gehen, um sich fit für die Zukunft zu machen.“ Also ob Zukunft etwas ist, was einem bloß zustößt und wogegen man sich mit Fitness zu wappnen hat …
100 Millionen Euro sind es auch beim BR, so der Bayerische Oberste Rechnungshof neulich, die dem Sender pro Jahr fehlen, was der im Übrigen in seinen Jahresabschlüssen transparent ausweist. Grund: die Verpflichtung von Seiten des Gesetzgebers, die Rücklagen für die Altersvorsorge entsprechend den Zinssätzen des Kapitalmarkts zu bilanzieren, was letztlich spekulativ ist und neuerlicher Deckung bedarf. Zwänge also auch hier, zum Sparen, Umbuchen, Umstrukturieren. Da passt es dann gut, wenn der hr-Verwaltungsrat beinahe zeitgleich fordert, ja es als „zwingend erforderlich“ ansieht, dass die Kürzung von 50 Millionen Euro am von den Sendern der KEF angemeldeten Finanzbedarf wieder zurückgenommen wird – damit nicht weniger Geld dem Programm zukommt und mehr Rücklagen gebildet werden. Und so weiter ...
Verunsicherte Redaktionen
Zwangslagen allenthalben, und immer noch kein Ausweg aus den stereotypen Wiederholungszwängen. Weiterhin wird verkleinert, zusammengelegt, um Spielräume zu eröffnen, die dann in der Regel mit anderswo Abgeschautem gefüllt werden. Siehe SWR Sinfonieorchester: Wir sparen uns das tatsächlich einzigartige Orchester und fusionieren es zu einem, das es auch sonstwo gibt. Investieren geht aber auch anders, setzt dann wahrlich eigene Ideen und Ansprüche voraus, was besonders in neurotischen Zwangslagen unendlich schwer fällt. Aber es ist ein Schritt in die Freiheit und hin zur Authentizität. Corporate identity heißt nicht nur Werbung, sondern eine gesunde Einstellung zum Eigenen. Diese gibt es in den Sendern in Hülle und Fülle, verteilt in verunsicherten Köpfen und Redaktionen. Höchste Zeit also, dass die Geschäftsführungen sich ihrer annehmen.
Höchste Zeit auch, weil zu den genannten L-Herausforderungen, die Legalität und Legitimität betreffend, aus der rechten Ecke der Unzufriedenen und -beachteten seit einiger Zeit schon das L-Unwort von Pegida und Konsorten lanciert worden ist und die AfD sich in den Rundfunkräten von SWR und MDR mittelfristig etablieren dürfte. Der Ausweg wäre, sich des alten Wertebewusstseins von Qualität und Unabhängigkeit zu erinnern, dem die Durchökonomisierung sämtlicher medialen Parameter oder Werte, wie zu sehen, nicht gut bekommen ist. Egal, ob der Musik, den Orchestern, dem Fernsehspiel, der Politikberichterstattung, ja auch der Unterhaltung und dem Sport nicht. Den rund 8,3 Milliarden Euro Gebührenaufkommen für die Möglichkeit, öffentlich-rechtlichen Rundfunk empfangen zu können (siehe oben), gebührt eine „Gegenleistung“ von nicht bloß berechenbaren Werten. Seien Sie Sie selbst, und bleiben Sie gesund.