Nach Tätigkeiten als Mitarbeiter im Europäischen Parlament in Brüssel, als Leiter des Büros der Geschäftsführung der RUHR.2010 – Kulturhauptstadt Europas GmbH sowie als Programmleiter bei der Stiftung Mercator in Essen war Marc Grandmontagne von 2013 bis 2016 Geschäftsführer der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. in Bonn. Seit 2017 ist er Geschäftsführender Direktor des Deutschen Bühnenvereins. Vor der Jahreshauptversammlung des Bühnenvereins am 5. und 6. Juni 2020 im Theater Münster sprach die nmz mit ihm über die aktuellen Herausforderungen für seinen Verband.
neue musikzeitung: Seit 2017 leiten Sie zusammen mit Ulrich Khuon den Deutschen Bühnenverein. Wie ist da die Aufgabenverteilung?
Marc Grandmontagne: Wir treten gewissermaßen als Doppelspitze auf, aber die Funktionen sind ganz klar getrennt: Herr Khuon ist der ehrenamtliche Präsident und ich bin Geschäftsführender Direktor.
nmz: Wie viele Mitarbeiter zählt Ihre Geschäftsstelle?
Grandmontagne: Wir sind knapp 30 Personen, viele Kollegen*innen allerdings in Teilzeit – aufgegliedert in die reine Hauptgeschäftsstelle des Verbandes und die Redaktion der Zeitschrift „Die Deutsche Bühne“.
nmz: Das Presseorgan ihres Verbands?
Grandmontagne: Nein, es ist kein Presseorgan, sondern eine unabhängige Theaterzeitschrift, die mit dem Verband nur insofern zu tun hat, als wir der Herausgeber sind. Auf die Redaktion nehmen wir keinerlei inhaltlichen Einfluss. Der Verband hat eigene Publikationen wie die Theaterstatistik, die Werkstatistik, die Broschüre „Berufe am Theater“ und einige andere.
nmz: Welche Aufgaben hat bzw. stellt sich der Bühnenverein?
Grandmontagne: Wir sind einerseits ein klassischer Arbeitgeberverband. Wir führen Tarifverhandlungen, wir haben insoweit Tarifhoheit für das künstlerische Personal – ausschließlich für das künstlerische Personal. Wir sind mit den drei Künstlergewerkschaften, der GDBA (Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger), der VdO (Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer) und der DOV (Deutsche Orchestervereinigung, die die Orchestermusiker vertritt) für den Abschluss von zwei Tarifverträgen zuständig. Das ist einmal der NV (Normalvertrag) Bühne und der TVK (Tarifvertrag für die Musiker in Konzert- und Theaterorchestern). Bezüglich der Lohnerhöhungen folgen wir den Tarifabschlüssen des öffentlichen Dienstes. Für das nicht-künstlerische Personal erfolgen natürlich die ganz normalen Tarifverhandlungen zwischen ver.di (Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft) und der VKA (Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände) sowie der TdL (Tarifgemeinschaft deutscher Länder). Insoweit sind wir tariflich nachgeordnet.
Es geht aber auch um Urheberrechtsfragen, hier verhandeln wir mit dem Verband Deutscher Bühnen- und Medienverlage. Zusammen mit den Gewerkschaften betreiben wir für die arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen Bühnenschiedsgerichte und sind in den Versorgungswerken für die Bayerische Versorgungskammer – die VddB und VddKO – vertreten. Das sind die Versorgungssysteme für das künstlerische Personal. Wir sind im Widerspruchsausschuss der Deutschen Rentenversicherung und anderes mehr. Es ist das Portfolio eines klassischen Arbeitgeberverbands. Nicht klassisch in diesem Bereich ist natürlich, dass unsere Mitglieder – jedenfalls zu einem großen Teil – öffentlich getragene und geförderte Einrichtungen sind. Also wir sind kein privatwirtschaftlicher Verband, gleichwohl es eben auch Privattheater gibt. Der Bühnenverein vertritt darüber hinaus auch die kulturpolitischen Interessen, ein Bereich, dessen Bedeutung in den letzten Jahren immer mehr zugenommen hat.
nmz: Können Privattheater auch bei Ihnen Mitglied werden?
Grandmontagne: Ja. Wir haben zirka 70 Privattheater und 142 öffentlich getragene Theater – also Stadttheater, Staatstheater, Landesbühnen –, wir haben insgesamt 100 Orchester und von denen sind 31 selbstständig. Dann haben wir noch ein paar außerordentliche Mitglieder. Das sind, bis auf den SWR, alle öffentlichen Rundfunkanstalten und einige Hochschulen und ein paar Festivals.
nmz: Sind Haustarifverträge ein absterbendes Modell?
Grandmontagne: Insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen haben sich die Haustarifverträge, die einen Lohnverzicht für die Theatermitarbeiter vorsehen, deutlich reduzieren lassen. In den neuen Bundesländern hat sich die Lage etwas gebessert durch die Theaterpakte. Und dann gibt es eben für ein paar Fälle – das ist dann eigentlich nochmal erfreulich – auch Haustarifverträge, die den tarifvertraglichen Standard überschreiten.
nmz: Und wie sind Ihre Erfahrungswerte mit dem Thema fusionierte Theater? Da gibt es, Sie haben es ja gerade selbst erwähnt, Plauen-Zwickau, Altenburg-Gera...?
Grandmontagne: Die meisten „Bindestrich-Theater“ stehen in den neuen Bundesländern und das sind Häuser mit einer ganz speziellen eigenen Lage an Herausforderungen. Natürlich sind diese Kooperationen oft ein Ausdruck von „schrumpfenden“ Städten und sinkenden Möglichkeiten, insofern hat das ganze immer einen Drang, der die Kooperationen eher strukturell erzwingt. Aus meiner eigenen Erfahrung – wir hatten jetzt ein Treffen der so genannten Fusionstheater – weiß ich, dass die Lage an vielen Häusern auch sehr ernst ist.
nmz: Unter Ihren Tarifpartnern finden sich verschiedene Ansprechpartner, verschiedene Gewerkschaften. Gibt es da Vor- und Nachteile?
Grandmontagne: Das ist kein großes Geheimnis: Grundsätzlich sind die Kollektive besser organisiert als die Solisten. Wir fänden es eigentlich besser, wenn auch die Solist*innen stärker organisiert wären – insbesondere sage ich das im Hinblick auf die Tänzer, die sich nur wenig solidarisieren. Ich formuliere es mal anders herum: Ein Arbeitgeberverband hat nichts davon, wenn die Gewerkschaften schwach sind, sondern er wünscht sich starke Partner. Denn nur zwischen starken Partnern kann man das, was eben Sozialpartnerschaft ist, zum Erfolgsmodell machen.
nmz: Der Bühnenverein ist beratend an den Gesetzgebungsverfahren von Bund und Ländern beteiligt. Was kann ich mir darunter vorstellen?
Grandmontagne: Als Bundesverband der Theater und Orchester in Deutschland versuchen wir mit unseren eigenen Rechtsträgern, den Kommunen und Ländern, – der Bund ist es nur ausnahmsweise, es gibt ja kein vom Bund getragenes Theater in Deutschland, anders als in Österreich übrigens – natürlich permanent im Dialog zu sein. Also ein ganz typisches Beispiel waren der Datenschutz und die Datenschutzgesetze, oder wenn es um die Reformierung des Teilzeitrechtes geht. Auch ein ganz technisches Thema, was mich immer in den letzten Jahren beschäftigt hat, war das Thema Funkmikrofon-Frequenzen.
nmz: Das ist ja kürzlich wieder verhandelt worden, genau.
Grandmontagne: Das ist natürlich für unseren Bereich, also Orchester und Bühne, genauso wie für alle öffentlichen Bereiche, also Stadthallen, Kindergärten, Volksfeste und so weiter, ein riesiges Thema: Momentan nutzen wir Lücken im 600 MHz-Band, das dem Rundfunk vorbehalten ist. Wenn diese Frequenzen weg wären und dem Mobilfunk zugeschlagen würden, wäre nach heutigem Stand der Technik der Einsatz von drahtlosen Funkmikrofonen auf der Bühne nicht mehr möglich. Das ist übrigens auch ein Punkt, wo wir sehr eng mit den Gewerkschaften und auch mit dem Deutschen Kulturrat zusammenarbeiten.
nmz: Welche Prioritätenliste haben Sie da gerade? Wie stellt sich zum Beispiel beim Fachkräftemangel die Problematik dar?
Grandmontagne: Wir haben eine Umfrage zu dem Thema gemacht und so die relevanten Berufsgruppen auch identifiziert. Fachkräftemangel gibt es nur im technisch-administrativen Bereich. Also es sieht grundsätzlich schwierig aus in den Bereichen der Meister, vor allem Meister für Veranstaltungstechnik, Bühne und Beleuchtung, und auch bei Ausbildungsberufen wie zum Beispiel Requisiteur. Aber wir haben mal bis 2030 den kumulierten Bedarf zusammengefasst und das sind etwas mehr als 2.600 Stellen für alle Berufsgruppen, die wir jetzt in der Umfrage nochmal herausgefunden haben. Wir arbeiten übrigens auch mit Partnern, vor allem der Deutschen Theatertechnischen Gesellschaft DTHG, in diesem Bereich zusammen, um Lösungen zu finden. Geeignete Maßnahmen müssen identifiziert und arbeitsteilig vorangetrieben werden: Es geht einerseits darum, was die Häuser selbst machen können. Dann um die Frage, was können wir als Verband machen? Wo müssen wir als Verband zusammen mit anderen – Stichwort Kulturrat – auch nochmal die Kulturstimme erheben, um die Politik zu erreichen?
nmz: Zu den Themenschwerpunkten des Bühnenvereins zählt auch der Kulturwandel in den Theatern und Orchestern. Was hat es damit auf sich?
Grandmontagne: Der Kulturwandel ist etwas, was ich kulturpolitisch als Transformationsbedürfnis bezeichen würde. Wir meinen damit, dass sich analog zur Gesellschaft auch die Kultureinrichtungen in einem großen Veränderungsprozess befinden. der – jedenfalls in der Zeit, in der ich jetzt hier im Amt bin – auch durch einige externe Entwicklungen stark beschleunigt wurde. Also denken Sie nur an die ganze „#MeToo“-Debatte, und das, was dadurch in Gang gesetzt wurde. Als Anlaufstelle haben wir als Bühnenverein auf Einladung auch des BKM zusammen mit 16 Filmverbänden Themis, die Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt, gegründet. Die Arbeit der Stelle in den ersten zwölf Monaten – im August 2018 hat sie die Arbeit aufgenommen – zeigt, dass da auch noch großer Handlungsbedarf ist. Wir haben bei der Jahreshauptversammlung 2018 den wertebasierten Verhaltenskodex gegen sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch verabschiedet. Wir haben uns zudem noch eine Quote zur geschlechtergerechten Besetzung von Gremien verordnet und sind auch dabei, die einzulösen. Bei der letzten Jahreshauptversammlung haben die Gruppen alle schon Doppelspitzen gewählt. Wir haben auch einen eigenen Satzungsprozess angestoßen, unsere Governance zu überarbeiten, der ist auch soweit schon abgeschlossen. Wir debattieren jetzt bei der Jahreshauptversammlung Anfang Juni den aktuellen Stand.
nmz: Vielfältige, komplexe Themenstellungen für den Deutschen Bühnenverein. Und beileibe noch nicht alle?
Grandmontagne: Denken Sie an das ganze Thema Rechtspopulismus, denken Sie an das Thema Klimawandel. Wir sehen uns hier vor allen Dingen in der Pflicht, den Dialog, den Diskurs über solche Themen so zu intensivieren, dass vor Ort Lösungen möglich sind. Der Bühnenverein ist kein Zwangsverband. Das Einzige, was wir durchsetzen können qua Verband, ist die Verpflichtung der Mitglieder zur Beachtung der Tarifverträge. Unsere Kraft ist, als ein Raum der Transparenz und der Information, Möglichkeiten zu schaffen, um sich fachlich und auch atmosphärisch auszutauschen. Das betrifft übrigens nicht nur uns als Verband, sondern das zeichnet auch die interinstitutionelle Zusammenarbeit aus. Wenn wir jetzt Mitglied des Musikrates werden, ist das ein Ausdruck der Tatsache, dass wir eine Notwendigkeit sehen, die Zusammenarbeit zwischen den beiden Verbänden auch zu formalisieren.
nmz: Stichwort Rechtspopulismus und Kultur – gibt es da Tendenzen, die es vor einem Jahrzehnt noch nicht gab?
Grandmontagne: Wir haben natürlich viele Kommunen, die durch die Wahlen jetzt mit Vertretern von AfD aber auch von der NPD besetzt sind, die in irgendeiner Weise in Aufsichtsgremien sitzen oder eine Rolle spielen. Aber bisher ist es so, dass die Versuche, Aufführungen zu stoppen oder darauf Einfluss zu nehmen, von der Justiz alle samt und sonders versenkt worden sind. Das sind sehr erfreuliche Urteile, muss man sagen. Und natürlich gibt es auch die ganz hässliche Seite. Also so etwas wie Bedrohung, auch rassistische Vorfälle gegenüber Mitarbeitern oder Störaktionen in den Häusern, also gezieltes Verbreiten von Angst. Das ist natürlich ein Thema. Theater sind – im Gegensatz zu den Orchestern – natürlich Feindbilder Nummer eins.
Interview: Andreas Kolb