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Bordeaux-Wein statt Eau d’Evian

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Quartett-Wettbewerb ohne deutsche Beteiligung
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Freilich waren die (meisten) jungen Streichquartette noch sine nomine, als sie in den zurückliegenden 24 Jahren zum traditionellem Concours nach Evian kamen. Der dortige Wettbewerbserfolg brachte immerhin zwei Dutzend Ensembles weltweite Resonanz: Takacs, Amati, Hagen, Sine Nomine, Vogler, Artis, Ysaye, Keller, Mandelring, Emperor...Das sind einige der inzwischen klingenden Quartettnamen. Aber nun hat Evian den Streichquartettlern das Wasser abgegraben. Für ihre Schickeria wissen die neuen Macher des Evian-Festivals am Genfer See mit einem solch edukativem Projekt nichts mehr anzufangen. Sie gaben den Wettbewerbsenthusiasten den Laufpass. Doch der eifrige und clevere Maître de plaisir des quatuors, Alain Meunier, selbst begeisterter Cellist, Kammermusiker und Pädagoge zu Paris, gewann das Spiel. Statt Eau d’Evian animiert nun Grand Crus de Gironde einen Neuanfang für den Ex-Evian-Concours. Gewonnen hat ebenso der Bürgermeister von Bordeaux. Denn er kaufte sich offensichtlich als Saisonstart ein attraktives Musikangebot für das Publikum der Region ein: Jung wie Alt, jedenfalls ein gutes Zuhörerpublikum weil Kenner der Musikszene, bescherten diesem ersten Concours de Quatuor a cordes de Bordeaux mit seinen fünfzehn Nachwuchsquartetten aus europäischen Ländern und den USA (warum kein einziges aus deutschsprachigen Ländern?) eine Woche lang ein treues und mitfühlendes Gehör. Das Parkett dieses Kolossalbaues, in dem vor 200 Jahren errichteten Grand Théâtre, war vom ersten Durchgang an, vor- und nachmittags, besetzt. Beim Finale reichten zusätzlich die Rangplätze kaum aus. Auch die Medien spielten mit. Jeden Tag nahezu eine Sonderseite in der Südwestpresse mag die Neugierde besonders angefacht haben. Die Stadt lebte mit diesem Ereignis. Dies war auch berechtigt: denn das Niveau der Interpretationen in den drei Runden – Wiener Klassik, Romantik, neue Wiener Schule, auch Kurtag und Strawinsky – lag im Vergleich zu den Vorgängerjahrgängen, wie Insider meinen, um etliches höher. Jedenfalls hatten die zwei unabhängig wertenden internationalen Jurygremien – eins mit erfahrenen Praktikern unter Sigmund Nissel, eins mit Repräsentanten der Musikfachpresse unter Antoine Livio als Vorsitzendem – einige Mühe, sich auf die angemessene Auswahl für den nächsten Durchgang zu verständigen. So erreichten sogar vier Quartette das Finale. Den Ausschlag für die Preisskala gab schließlich die Wiedergabe eines der mittleren Mozart-Quartette und die des Auftragswerkes des Tunesiers Christian Lauba. Dieses 8-Minuten Stück des Mittvierzigers zu knacken, ein Mikroklangteppich dionysisch angelegter „Morphin"-Ekstase, bedeutete für die Musiker eine besondere Herausforderung. Der Komponist zeigte sich hier als einer mit allen Raffinessen gegenwärtiger Musikkreation gewaschener Praktiker. Das Rennen machte schließlich das seit fünf Jahren am Royal College of Music gebildete englische Quartett Belcea (Cortina Belcea, Laura Samuel, Krzysztof Chorzelski, Alasdair Tait), dicht gefolgt vom mit ex aequo eingestuftem 2. Preis. Den teilten sich das italienische Prometeo- und das aus USA angereiste und dank 12-jähriger Spielroutine professionell wirkende chinesische Harid-Quartett, das außerdem mit dem Presse-Preis und zusätzlich für die beste Lauba-Interpretation mit dem Kulturminister-Preis belohnt wurde. Bemerkenswert die Geschichte der jungen Italiener, die sich als ehemalige Solisten des Orchester „Giovanile Italiana" vor sechs Jahren zusammengetan haben und unter anderen von Piero Farulli musikalische Betreuung erfuhren. Vierter in der Finalrunde war das amerikanische Arianna-Quartet. Die Wettbewerbsleitung hat nicht nur runde 400.000 Francs Preisgelder eingeworben, und eine CD-Realisierung in Vorbereitung, sondern für diesen guten Quartett-Jahrgang weiter vorgesorgt: Die angebotenen Konzerteinladungen bei Festivals und Tourneen werden die Preisträger wenigstens zwei Jahre in Anspruch nehmen und sie das selbständige Schwimmen lehren. Wenn das gelingt, haben sie wirklich gewonnen. Und in zwei Jahren ist die nächste Spieler-Generation in Bordeaux gefragt.

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