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Auf der Suche nach dem passenden Musikmix. Foto: Martin Hufner
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Das Radio der unbegrenzten Möglichkeiten?

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Musikstreaming – eine Bestandsaufnahme
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Nichts verbinden wir mehr mit dem Begriff Radio als Musik. Vielleicht noch Nachrichten „um ganz“, aber vor allem: Musik. Oft als Tagesbegleiter im Hintergrund und – inzwischen vermeintlich weniger häufig – als bewusster, punktueller Genussmoment im Tages- oder Wochenablauf. Das Angebot der Radiosender auf UKW & Co. ist natürlich schon längst auch im Browser empfangbar, einzelne Sendungen dort länger verfügbar und um ein eigenes redaktionelles Umfeld ergänzt, allerdings mit einigen Haken (s. dazu auch den Beitrag von Martin Hufner auf S. 20). Doch gilt das auch umgekehrt? (Wie lange noch) verbinden wir Musik hauptsächlich mit Radio?

Quote (und) gute Musik

Lange Zeit bestimmte lineares Hören unseren Musikkonsum, also die vorausgewählte, festgelegte Wiedergabereihenfolge von Werken und Titeln, kurz: Radio. Zu Anfang wurden diese noch von einem Redaktionsteam handverlesen. In der Zwischenzeit ist es vor allem bei Popwellen Standard, dass auf Grundlage von Datenbankenempfehlungen und den in der jeweils aktuellen „heavy rotation“ befindlichen Titeln Stundenprogramme fast automatisch erstellt werden. Das mag bei Privatsendern noch nachvollziehbar sein, da diese aus einer besseren Einschaltquote höhere Einnahmen aus Werbeplatzierungen generieren. Bei öffentlich-rechtlichen Sendern ist diese Praxis zumindest fragwürdig, sollten doch Vielfalt im Hörangebot, der Platz für und der Mut zur Nischenmusik und damit ein (Weiter)bildungsauftrag für die Gebühren zahlenden Hörer im Fokus stehen. Doch wohin man blickt: Dudelfunk all überall. Auch die Kulturwellen der Landesrundfunkanstalten haben längst keine „Narrenfreiheit“ mehr, stehen vermehrt unter dem Diktat der Quote – hier ein Wellentausch weg von den nicht ins Digitalnirvana folgenden älteren Hörern, dort ein Aufweichen des Musikprogramms durch seichten Jazz und etwas anspruchsvolleren Pop. Und die Konkurrenzsituation wird eher härter: Das Internet hat Musik als immaterielles und daher bestens in digitalen Einsen und Nullen abbildbares Gut früh in sich aufgesogen. Unzählige Internetradiostationen bieten für fast jeden Genre-Geschmack die passende musikalische Untermalung des eigenen Lebens. Allerdings auch hier wieder: linear und vorausgewählt; und damit keinesfalls die Ultima Ratio einer (gefühlt) sich immer weiter durchindividualisierenden Gesellschaft.

Ist Musikstreaming auch Radio?

Bereits 2000 ging mit dem Internetradio Pandora ein Dienst an den Start, dessen Konzept aufhorchen ließ: Man gab einen Songtitel oder Interpreten vor und auf dieser Grundlage wurde ein Musikprogramm zusammengestellt, das dank des zugrunde liegenden „Music Genome Project“ ähnliche Vorschläge machte. Besonders war daran, dass man begrenzt auch unerwünschte Titelvorschläge überspringen konnte. Aus lizenzrechtlichen Gründen ist Pandora aber seit 2007 nur noch in den USA, Australien und Neuseeland empfangbar. Das ist sicherlich auch mit ein Grund, weshalb sich Spotify, der 2006 gegründete und heutige Marktführer im Musikstreamingbereich, durchsetzen konnte. Der schwedische Dienst wurde dank der bequemen Nutzung und des sehr großen Musikkatalogs die erste ernstzunehmende Alternative zur im Internet grassierenden Musikpiraterie der Nullerjahre und verhalf der daher darbenden Musikwirtschaft zur Durchquerung der Talsohle. Spotify hat momentan weltweit mehr als 100 Millionen Nutzer, wovon 40 Millionen Premiumkunden für knappe 10 Euro im Monat Musik ohne Werbeeinblendungen hören. In den vergangenen Jahren sind mit  Apple, Amazon, Google, Deezer und Co viele weitere große Player in den Musikstreamingmarkt eingestiegen (wohlgemerkt Technologie- statt Musikunternehmen); die Marktbereinigung des Überangebots ist bereits in vollem Gange.

„Das könnte dir auch gefallen“

Der Name Spotify ist Synonym für einen Paradigmenwechsel im Musikhören: Die Beschränkung der vordiktierten Hörabfolge aus Radiozeiten entfällt ebenso wie die Grenzen des eigenen CD- oder Plattenregals bei der Auswahl. Musik „besitzen“ oder auf das Senden des Lieblingswerks warten, sind hier Kategorien der Vergangenheit. Das Versprechen von Spotify und Co ist absolute Freiheit beim Musikgenuss und die ständige Verfügbarkeit „aller“ Musik.

Doch die Realität ist eine andere: Nischenmusik bleibt ungehört, wenn man sie nicht aktiv sucht, nein: findet. Das setzt allerdings bereits ein Kennen voraus. Das Entdecken neuer Musik driftet bei diesen Diensten nämlich Richtung „Beliebtheit“: Die Musikvorschläge basieren auf den soeben gehörten Werken und Titeln und auf Algorithmen und Auswertungen von großen, alles Nutzerverhalten sammelnden Datenbanken. Diese schlagen vornehmlich vor, was andere auch gehört haben, die das Ausgangsstück hörten – bei wenig gespielten Stücken sind die Vorschläge ungenauer, bei viel gehörten obsiegt der Geschmack der Mehrheit und dadurch entsteht eine Hörvorgabe-Spirale – und sicherlich auch zu Teilen, was im Allgemeinen auf Zustimmung gestoßen ist. Das erzeugt mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Zufriedenheitsgarantie des Hörers, was Voraussetzung für das weitere Benutzen des Musikstreamingdienstes ist.

Natürlich kann man jederzeit manuell auf den gesamten Musikkatalog zugreifen und sich Nischenmusik oder -genres zum Hören auswählen, aber das setzt voraus, dass der Hörer weiß, was er sucht und auch ein gewisses Maß an Eigenantrieb, an Neugierde. Bequemlichkeit oder neudeutsch „Convenience“ sind schnell auftretende Schranken für den eigenen Pioniergeist. Das schier unendliche Musikangebot überfordert.

Das Andante von Mozart

Auch steht dem Finden von klassischer Musik im Allgemeinen ein weiteres Problem im Weg: Die hinterlegten Metadaten, also die Informationen etwa über die Komponisten und Interpreten eines Stückes und damit Suchkriterien für Musikwerke, sind auf Popmusik zugeschnitten und für klassische Musik im weitesten Sinne oftmals unzureichend genau. Außerdem basiert die Einnahmenausschüttung an die Rechteinhaber auf der Abspielanzahl des einzelnen Titels, ein Nachteil für längere Musikstücke. Einen Lösungsansatz hierfür bieten zwei neuere Portale, die sich auf Klassikkataloge und deren Besonderheiten spezialisiert haben: Idagio und Grammofy. Das Design von Idagio wirkt auf den ersten Blick etwas wertiger, das von Grammofy eher hip und cool. Beide bilden die Suchergebnisse „Klassik“-spezifischer ab, beide verwenden einen sekundengenauen Verteilschlüssel.

Beide Musikstreamingdienste bieten als Orientierungshilfe aber auch vorausgewählte Sammlungen an, bei Idagio so genannte „Playlists“, bei Grammofy „Collections“. Thematischer Kern kann hierbei eine Gattung, ein Dirigent, ein außermusikalisches Ereignis sein – die gedankliche Reise, auf die man mitgenommen wird, wirkt erfrischend. Regelmäßig wird das kuratierte Angebot erweitert, das einen Einstieg in das umfangreiche Verzeichnis erleichtern soll. Idagio bietet außerdem noch Musikzusammenstellungen nach „Stimmung“ sortiert: Freudig, feierlich, aber auch beunruhigend stehen unter anderem zur Auswahl. Eine angenehm ungewöhnliche Herangehensweise an das Hören von Orchester- und Kammermusik quer durch die Jahrhunderte. Grammofy veröffentlicht die eigenen Collec-tions nicht nur mit einem kurzen Begleittext, sondern zusätzlich auch mit Audio-Einführungen direkt vor allen ausgewählten Werken. Diese können auf Wunsch auch ausgestellt werden: ein tolles Feature! Weniger toll ist der fehlende Lautstärkeregler (sic!) bei diesem Musikdienst.

Renaissance des kuratierten Hörens?

Hat man bei diesen beiden Musikportalen immer noch die Möglichkeit, neben den angebotenen Vorschlägen selbst zu suchen, so verfolgt der Musikdienst Henry einen ganz eigenen Weg. Er ist nur als App erhältlich. Sein Merkmal ist die Reduktion. Alles soll auf die Musik fokussiert sein: Jede Woche ist zeitgleich nur ein einziges handverlesenes, teilweise sogar eigens eingespieltes Musikstück zu hören – nur als Ganzes, eine Vorspultaste etwa sucht man vergebens. Deutlich spürt man: Musik soll hier wieder Einzigartigkeit erhalten – keine Gleichzeitigkeit zu anderer Musik und nach der Woche Verfügbarkeit kein „später hören“. Die Idee dahinter ist einer der kleinen Schritte, ein geduldiges Vertrauen Aufbauen zur Musikauswahl, ein kontinuierliches neugierig Machen und Bleiben für Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Allein der angebotene In-App-Podcast mit Hintergrundinfos und Komponistengesprächen bleibt länger verfügbar.

Idagio, Grammofy und Henry – alle drei Musikstreamingdienste wollen Kunstmusik frisch erfahrbar machen. Man merkt, dass es um die Sache geht und darum, Begeisterung zu wecken. Die Grenzen zwischen Radiofeeling, allumfänglichen Musikangeboten und Podcastformaten verschwimmen beziehungsweise die verschiedenen Prinzipien werden neu zusammengesetzt. Alle drei Angebote sind noch relativ jung im Vergleich zu den dominierenden Alles-Anbietern.

Der Markt der Möglichkeiten ist noch nicht durchdekliniert. Ein Zeichen dafür, dass das nächste interessante Ding in Sachen Klassik-Musikstreaming bald kommt?

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