Als das Audio-Art-Kollektiv Negativland im August 1991 die Parodie eines U2-Songs veröffentlichte, war man beim Warner-Sublabel Island Records gar nicht amüsiert. Das Cover der Platte zierten groß die Buchstaben U2 und der Titel selbst bestand aus zahlreichen Samples und Fragmenten des U2-Songs „I still haven’t found what I’m looking for“. Eine Genehmigung für die Nutzung des Materials hatten Negativland nie eingeholt. Island Records verklagte deshalb die Band und ihr Label und erwirkte schließlich die Einstampfung der Restauflage. Zudem sicherte man sich gesalzene Schadensersatzzahlungen. Negativland machten den Prozess selbst zum Medienereignis. Sie ließen keine Gelegenheit aus, die geltenden Urheberrechtsgesetze zu kritisieren und posierten mit T-Shirts, die den Slogan „Just say Bo-No“ formten.
Per Lizenz zum Sample-Pool
Negativland sind auch zehn Jahre später ihren Überzeugungen treu geblieben. Doch anstatt vor Gericht Kopf und Kragen zu riskieren, schickt sich die Band an, nun aktiv ins Geschehen einzugreifen. Nicht gegen die Regeln zu verstoßen, sondern sie zu verändern. Gemeinsam mit der kalifornischen Nonprofit-Organisation Creative Commons arbeitet das Musiker-Kollektiv daran, eine Lizenz für’s Samplen zu erschaffen. Wer seine Musik unter den Bedingungen dieser Lizenz veröffentlicht, macht sie automatisch zum öffentlichen Sample-Pool – frei zitier- und remixbar von jedermann. „Technologie und Kultur des Internets machen das Remixen von Kultur bereits sehr einfach“, so Creative Commons-Direktor Glenn Otis Brown. „Die Gesetzgebung macht es nicht. Wir helfen, diese Lücke zu schließen, indem wir das Urheberrecht selbst remixen.“
Die Sample-Lizenz ist nur eins von vielen Creative Commons-Projekten zur praktischen Umgestaltung des Urheberrechts. Die im Mai letzten Jahres gegründete Organisation orientiert sich dabei an der Open Source-Softwarebewegung.
Deren Programmierer veröffentlichen bereits seit Jahren Software unter Nutzungslizenzen, die es jedem ermöglichen, selbst Anpassungen am Programm vorzunehmen. Berühmtestes Beispiel dafür ist das Betriebssystem Linux, das von tausenden Freiwilligen auf der ganzen Welt weiterentwickelt wird. Aus dem Hobbyisten-Projekt ist dabei längst eine internationale Erfolgsgeschichte geworden, das Microsofts Windows in einigen professionellen Marktsegmenten längst abgehängt hat.
Schon seit Jahren gibt es die Idee, ähnliche Lizenzen auch in anderen Bereichen einzusetzen. So schuf die Netz-Bürgerrechtsorganisation EFF (Electronic Frontier Foundation, http: //www.eff.org/) im April 2001 die „Open Audio License“ für Musiker. Französische Künstler haben eine „Free Art License“ ins Leben gerufen. Manch ein Autor experimentiert auch damit, seine Texte einfach unter den Bedingungen einer der Software-Lizenzen zu veröffentlichen. Breitere Akzeptanz unter Kreativen fanden diese Ansätze bisher jedoch nicht. Viele haben Angst davor, so radikal auf ihre Urheberrechte zu verzichten. Ihnen gehen diese Lizenzen schlichtweg zu weit. Oder sie finden, dass die auf Software zugeschnittenen Lizenzen nicht auf ihre Werke anzuwenden sind.
Nicht erst den Anwalt anrufen
Creative Commons geht auf diese Vorbehalte ein, indem es individuelle Lizenzen anbietet, die sich an den spezifischen Interessen von Autoren, Musikern und Künstlern orientieren. So kann ein Komponist seine Noten ins Netz stellen und anderen die unkomplizierte Aufführung erlauben, so lange sie damit kein Geld verdienen. Ein Fotograf kann seine Bilder unter der Bedingung zum freien Gebrauch anbieten, dass er als Autor genannt bleibt. Eine Band kann ihre Songs im MP3-Format ins Netz stellen und es Informatik-Studenten erlauben, diese als Soundtrack für ihre Computerspiel-Projekte zu nutzen – so lange ihre Kreationen wiederum unter der gleichen Creative Commons-Lizenz veröffentlicht werden. Die dem eigenen Projekt angemessene Lizenz lässt sich in wenigen Minuten auf der Creative Commons-Website zusammenstellen. Das Endprodukt gibt es dann in zwei verschiedenen Versionen: Als bindenden Lizenzvertrag in einer einfach verständlichen Textfassung für Nicht-Juristen und als maschinenlesbare Version. Letztere soll es beispielsweise Suchmaschinen ermöglichen, in Zukunft speziell nach Werken mit einer bestimmten Lizenz zu suchen. So könnten Musiker schon bald ganz einfach nach Songs fahnden, die ihnen das Samplen ermöglichen, ohne vorher erst den Anwalt des Original-Urhebers anzurufen.
„Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen Klauen und Collagen“, erklärt Negativland das Projekt der Sample-Lizenz. „Ursprünglich waren Urheberrechte dazu ausgelegt, das Klauen ganzer Werke zu verhindern. Das war und ist ein ehrenhaftes Ansinnen. Aber heutzutage werden Urheberrechte regelmäßig auch dazu genutzt, Collagen zu verbieten, als wären sie nichts anderes als offene Piraterie. Gemeinsam mit Creative Commons arbeiten wir daran, eine Lizenz zu schaffen, die es Copyright-Inhabern erlaubt, zur Veränderung ihrer Werke – auch gegen Geld – einzuladen und gleichzeitig den buchstäblichen Diebstahl zu verhindern.“