Die andauernden Diskussionen über die Zukunft der beiden Rundfunksinfonieorchester des Südwestrundfunks (SWR) haben in letzter Zeit an Heftigkeit zugenommen. Über die Ausgangslage ist in der neuen musikzeitung in den letzten zwei Jahren ausführlich berichtet worden. Die beiden Orchester in Stuttgart beziehungsweise in Baden-Baden und Freiburg sollen 2016 zusammengeführt und zu einem „Großen Orchester“ eingeschmolzen werden. Aus den zunächst zweimal hundert Musikern wird im Laufe der kommenden Jahre ein allmählicher Abbau, sei es durch Pensionierungen, sei es durch freiwilliges Ausscheiden einzelner Musiker, erfolgen und am Ende das neue SWR-Sinfonieorchester mit einer Mitgliederstärke von etwa 115 bis 120 Musikern mit Sitz in Stuttgart inthronisiert.
Über die zahlreichen Proteste, vor allem im Landesteil Baden und die vielen Vorschläge, wie man die Fusionierung der beiden Ensembles doch noch vermeiden könnte, ist auch in der „neuen musikzeitung“ immer wieder berichtet worden. In den letzten zwei Wochen hat sich die Lage zugespitzt. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien ein Offener Brief an die Intendanz des SWR, in dem 160 Dirigenten, die das Baden-Baden/Freiburg-Orchester in den letzten Jahrzehnten dirigiert haben, gegen die Auflösung des Orchesters protestierten. Zwei Tage später veröffentlichte die „Zeit“ einen Offenen Brief von 148 Komponisten, die in derselben Zeit mit dem Orchester zusammengearbeitet haben. Für die Dirigenten unterzeichnete Michael Gielen, zehn Jahre Chefdirigent des Orchesters, den Offenen Brief, für die Komponisten plädierte Hans Zender mit präzis formulierten Argumenten für den Erhalt des Orchesters.
Zum Dritten fand in der Freiburger Universität unter der Schirmherrschaft der UNESCO ein Symposium statt, das sich vornehmlich mit der Bedeutung des Baden-Baden/Freiburg-Orchesters auseinandersetzte. Einheitlicher Tenor der von kompetenten Fachleuten besetzten Diskussionsrunden war: Dieses Orchester ist unverzichtbar für die Darstellung und Weiterentwicklung der Neuen Musik, also unserer Musikgeschichte, weil es die neuen Noten nicht nur einfach so spielt, sondern sich die Entwürfe der lebenden Komponisten in hohem Maße zu eigen macht. In dieser engen Verbindung zwischen Komponist und Interpret ist dieses Orchester in Deutschland und darüber hinaus einmalig.
Des Weiteren geht die Arbeit des Orchesters über das reine Konzertieren entschieden hinaus, was vor allem den Landesteil Baden betrifft. Die enge Zusammenarbeit mit den Musikhochschulen des Landesteils und mit der Freiburger Universität, die pädagogischen Aktivitäten vieler Orches-termusiker – das alles würde wegfallen, wenn das Orchester nicht mehr vor Ort ist. Die Empörung über die drohende Entmusikalisierung eines ganzen Landesteils ist in der betroffenen Bevölkerung sehr groß und eher im Wachsen begriffen. Rund dreißigtausend Musik-Bürger haben per Brief oder Klick gegen die Auflösung „ihres“ Orchesters protestiert.
Das kann auch die Politik auf Dauer nicht länger übersehen. Der formalistische Verweis auf die sogenannte Rundfunkfreiheit erscheint nur mehr als bequeme Ausrede. Der Konflikt hat inzwischen politische Dimensionen gewonnen, die über das Stuttgarter Funkhaus hinausgehen. Und weil kürzlich ein Fachausschuss im Stuttgarter Landtag sich mit der entstandenen Lage eindringlich beschäftigte und weitere Beratungen nicht ausschließt, darf man alles für ein positives Zeichen nehmen, dass die Politik die Brisanz des Themas endlich wahrgenommen hat.
Es gibt aber auch das Gegenbild: den Intendanten des Südwestrundfunks Peter Boudgoust samt seiner Entourage mit altem und neuem Hörfunkdirektor sowie einem ihm hörigen Fusionsbüttel. Boudgoust verkörpert geradezu ideal das aktuelle Bild eines deutschen Gebührenrundfunkintendanten: Jurist, Finanzkontrolleur, bitte keine Phantasie geschweige denn künstlerische Visionen, Quotenanbeter und Feldwebelmentalität. Wer widerspricht wird abgemahnt. Was waren das einstmals für Persönlichkeiten, die als Intendanten die ARD-Sender führten.
Boudgoust hat von einer auswärtigen Prüfungsgesellschaft die Etatzukunft des SWR durchrechnen lassen, bekam einen Schreck und verordnete Kürzungen nach dem Rasenmäherprinzip, also: Auch die beiden Sinfonieorchester müssen beim Sparen helfen. Fünf Millionen Euro für beide Ensembles (was inzwischen mit sieben Millionen beziffert wird). Und das bei einem Gesamtetat des Senders von 1,1 Milliarden Euro. Dieser Sparbetrag hätte sich sicher durch kleine Verschiebungen im Gesamthaushalt aufbringen lassen, außerdem hat das Baden-Baden/Freiburg-Orchester schon von Beginn an Bereitschaft signalisiert, einen eigenen Beitrag für die Einsparungen zu leisten. Aber Boudgoust stellt sich auf jeden Vorschlag taub.
Seine jeweiligen Antworten auf Vorschläge oder Proteste, zuletzt auf den Dirigentenbrief in der Frankfurter Allgemeinen, lauten von Anfang an immer gleich. Und raffiniert ist er auch noch: Als er gefragt wurde, ob der SWR einer geplanten Öffentlich-rechtlichen Stiftung für das Orchesters beitreten würde, lehnte er umgehend ab. Stattdessen bot er scheinbar „großzügig“ vier Millionen Euro als eine Art Jahresspende für die eventuelle Stiftung an (bis 2025) – da er in diesem Fall das ganze Orchester mit dessen Jahresetat von etwa zwölf Millionen los wäre, kann er ja sich als spendabel gerieren.
Wo sich der Stand der Bemühungen für eine Stiftung für das Baden-Baden/Freiburg-Orchester derzeit befindet, ist noch nicht ganz zu überblicken. Die Frage ist auch, ob man nicht darauf bestehen muss, dass das Orchester im Sender verbleibt – wie es Michael Gielen oder Hans Zender sowie zahlreiche kompetente Fachleute fordern. Das finanzielle Argument, das Peter Boudgoust unermüdlich vorträgt, ist durch die neue Hochrechnung der Einnahmen aus den geänderten Rundfunkgebühren zumindest fragwürdig geworden. Von den vier bis fünf Milliarden Mehreinnahmen insgesamt dürfte der SWR als zweitgrößte ARD-Anstalt einen schönen Batzen abkriegen.
Vielleicht aber ist Boudgoust auch nur ein schwacher Erfüllungsgehilfe politischer Einflüsse. Es fiel auf, dass in der entscheidenden Sitzung des Rundfunkrates im September 2012 die Mitglieder aus Rheinland-Pfalz geschlossen für die Fusion der beiden Klangkörper votierten. Die Stimmen wollen nicht verstummen – zuletzt stellte beim Freiburger Symposium der Schweizer Musikwissenschaftler und Kritiker Jürg Stenzl entsprechende Fragen –, dass speziell aus diesem Land Druck auf den SWR ausgeübt worden ist, mit dem lächerlichen Hinweis, man habe ja selbst schon eine Orchesterfusion vorgenommen: die des Rundfunkorchesters Kaiserlautern mit dem Saarbrücker Rundfunk-Sinfonieorchester.
Es wäre jetzt die Aufgabe der politisch Verantwortlichen im Lande, den ganzen Problemkreis, den die Orchesterfusion über die internen Zuständigkeiten des SWR hinaus politisch, gesellschaftlich und auch rechtlich geschaffen hat, in einer offenen Diskussion zu behandeln. Nur so kann ein dauerhafter Schaden im Kulturland Baden-Württemberg abgewendet werden.