Dass die weitere Verbreitung des Internets vieles ändern wird, ist keine sonderlich bahnbrechende Feststellung mehr, sondern löst eher genervtes Gähnen beim Empfänger der Heils- wie Hiobsbotschaft aus. Denn während auf der einen Seite teilweise hysterische Begeisterungsstürme losbrechen, formiert sich berechtigte Kritik bis hin zu alles in Abrede stellendem Konservatismus auf der anderen Seite.
Dass die weitere Verbreitung des Internets vieles ändern wird, ist keine sonderlich bahnbrechende Feststellung mehr, sondern löst eher genervtes Gähnen beim Empfänger der Heils- wie Hiobsbotschaft aus. Denn während auf der einen Seite teilweise hysterische Begeisterungsstürme losbrechen, formiert sich berechtigte Kritik bis hin zu alles in Abrede stellendem Konservatismus auf der anderen Seite.Fernab, zwischen den Stühlen, wäre es dennoch spannend und zumindest ein nicht ganz alter Hut, einmal eine mögliche Zukunft (unter vielen anderen möglichen) der Vermarktung von Musik zu beleuchten und schlicht vor sich hinzuspinnen, wie aus A ein B und zuletzt ein C werden könnte. Um solchermaßen im „Brainstorming“-Verfahren wenigstens annährend realisiert zu bekommen, muss die tatsächliche Situation heute völlig außer acht gelassen werden. Tun wir also so, als gäbe es das bestehende Geflecht aus GEMA, Verlagshäusern, Tonträgerindustrie et cetera gar nicht, in das sich der Künstler eingebunden sieht.Den Anstoß für ein Andersdenken könnte die momentane Diskussion über Napster & Co. geben. Da geht es um Musikpiraterie, zu Felde ziehende Produzenten, aufheulende Künstler und rundum zufriedene Konsumenten. Nun landet Bertelsmann den Coup (oder den Phyrrussieg?) und verleibt sich die international beliebteste MP3-Tauschbörse ein. Doch was stellt man mit dem unter Zwang Adoptierten an, wird diesem doch auf ewig der Makel des schwarzen Schafs der Familie anhaften? Möglich wäre eine Kommerzialisierung. Verlangt man von den auf 30 Millionen geschätzten Napster-Usern weltweit einen monatlichen Obolus von sagen wir mal – 5 US-Dollar im Monat, käme schon ein ansprechendes Sümmchen zusammen. Doch wo steht, dass der nun gar nicht mehr rundum zufriedene Konsument daraufhin nicht zu einem der mittlerweile zahlreichen Konkurrenten wechselt, bei dem die topaktuellen Chart-Hits wiederum kostenlos erhältlich sind?
Was hilft also und wo könnte ein möglicher Ausweg zu finden sein? Flucht nach vorn antreten! Dazu muss erst einmal analysiert werden, wie sich die augenblickliche Situation in ihrer Einfachheit tatsächlich darstellt: Auf der einen Seite stehen Produzenten von Musik, die ihre Musik kommuniziert sehen wollen und sie absetzen möchten.
Auf der anderen Seite eine Masse von Kommunikationswilligen – in Form von Plattenkäufern, Konzertbesuchern, eifrigen Rundfunkhörern, jedoch mit schwindender Bereitschaft, dafür tief (oder eher: immer tiefer) in die Tasche greifen zu müssen. So sehr es auch viele – zugegeben: hauptsächlich außerhalb der Pop-Branche – schmerzen wird: Aber es kommt keiner mehr daran vorbei, ein wenig wirtschaftlich zu denken. (Und man winke an dieser Stelle von Seiten der Produzenten von Kunstmusik nicht vorschnell ab, denn inzwischen findet man bei Napster auch Werke von Cage, Ligeti oder Boulez zum kostenlosen Download.)
Wir sprechen von morgen und nicht von gestern. Und zu wirtschaftlichem Denken gehört, dass die Überlegung folgt, wie man die Intentionen von Anbieter und Nachfragendem unter einen Hut bekommt beziehungsweise im schlimmsten Falle überhaupt erst einmal Nachfrage erzeugt. Dazu zählt auch die Hereinnahme von Serviceangeboten, die bestehende Möglichkeiten schlichtweg toppen und damit die Bereitschaft auf Konsumentenseite schaffen, für diese Angebote auch wieder in die Tasche zu greifen. Mit Service, Dienstleistung oder wie immer man es nennen mag, ließe sich einiges erreichen, denn die Realität von Napster & Co. ist nicht unbedingt eitel Sonnenschein:
Vor der (Schaden-)Freude des Users stehen abgebrochene Downloads, sagenhaft miserable Geschwindigkeitsraten und oftmals nicht komplette oder in unzumutbarer Qualität bereitgestellte Stücke als Ergebnis des minutenlangen Downloads. Hier wäre schon eine erste Stelle, an der sich der Hebel ansetzen ließe. „Music on demand“, noch vor drei Jahren Zauberwort der Musikbranche, ist in der Realität des Internet kaum bis gar nicht anzutreffen. Was spricht – erst einmal technisch – dagegen, leistungsstarke Server aufzustellen, dort die produzierten Titel aufzuspielen und sie gegen eine Gebühr X zum Download anzubieten? Ja, in der Tat, technisch spricht nichts dagegen. Was wäre dadurch erreicht?
Nun, zum einen zieht man viele Napster-Freunde auf die eigene Seite und schafft einen völlig neuen Markt. Zum anderen würden sich dadurch aber viele interessante Nebeneffekte ergeben. Es wird leider immer mehr zur Realität, dass Alben zwei, drei potenzielle Hits enthalten und der Rest der Scheiben aus „Füllmaterial“ besteht. Bei „Music on demand“ würden jedoch diejenigen Titel gegen Bezahlung vom Server geladen, die sich nach vorherigem Probehören auf der Website des anbietenden Künstlers oder Labels als qualitativ interessant genug erwiesen haben, um dafür von Seiten des Hörers gerne Zeit und Geld zu investieren. Zudem würden die Kosten – sowohl für Produzent wie für Konsument – weit geringer. Das wiederum könnte dazu führen, dass die Künstler, also die eigentlichen Produzenten der Musik, tatsächlich mehr Geld für ihre Arbeit erhalten.
Aber das ist nur ein Teil des Musiklebens in wirtschaftlicher Hinsicht, denn da warten ja noch Veranstalter mit hohem Bedarf an finanziellen Mitteln. Zugegeben wird dabei eine „vielleicht bessere Zukunft“ nicht spontan sichtbar oder vielleicht auch gar nicht, denn das Projekt „concert on demand“ wäre ein Flop, noch bevor es starten würde. Die Qualität von live via Internet übermitteltem Audio oder Video (sogenannten streaming media) wirkt qualitativ noch immer steinzeitlich. Außerdem würde das Besondere eines Konzerts vollkommen verloren gehen: Das Erlebnis einer Konzertsituation. Aber was spricht gegen „concert ticket on demand“? Auch hier lässt sich die Tatsache, dass so etwas kaum versucht und damit online anzutreffen ist, nicht mit technischen Hürden erklären. Die bestehen nicht. Wie angenehm wäre es, wenn der potenzielle Konzertbesucher über eine Website eine Veranstaltung nebst freiem Sitzplatz wählen, sogleich online bezahlen könnte und die Konzertkarten nach Bestätigung der Zahlung via Handy und Paybox wenige Sekunden später auf seinem heimischen Drucker ausgegeben werden und das Programmheft gleich mit dazu?
Letztlich führte all das „on demand“ zu einer völligen Umstellung des bisherigen Musikmarktes. Einmal wertfrei betrachtet und in der Konsequenz zu Ende gedacht: Es könnte letztlich dazu führen, dass anstelle gigantischer Tonträgerhersteller, schwer-fälliger Verlagshäuser und um Besucher ringende Konzertveranstalter eine einzige Instanz tritt: Die Website eines Künstlers, einer Künstleragentur, eines Kleinverlages in Form eines Portals, in dem es alles gibt, was dazu gehört.
Alles aus einer Hand: die Musik nebst zusätzlichen Informationen zum Künstler mit der Möglichkeit, mit diesem Kontakt aufzunehmen; die Partitur der Musik, so es sich um notierte Musik handelt; ein Fanshop, in dem man alles mögliche wie das für jeden Fan obligatorische Shirt mit der Aufschrift „www.lachenmann.de“ ordern kann; und letztlich Karten für Konzerte, in denen die Musik gespielt wird mit den entsprechenden Angeboten für Reisemöglichkeiten und Unterkunft, falls das Konzert nicht am Wohnort stattfindet.
Auch wenn es auf den ersten Blick anders scheinen mag – profitieren würden davon vor allem wenig bis unbekannte Künstler oder Komponisten von Musik, die man nicht in den Billboard-Charts wiederfindet. Denn mit geringem Aufwand an Arbeit und Mitteln wäre es möglich, Menschen fernab der bisherigen Klientel zu erreichen.
Wenn man nun jedoch einmal überdenkt, welche erheblichen Änderungen dies für viele in beruflicher Hinsicht bedeuten würde, macht das Brainstorming-Spiel schon wesentlich weniger Spaß. Die nette junge Dame im Kartenhäuschen der Oper wird zum Hotlineoperator für Kunden, die Probleme mit dem Online-Verkauf haben. Der Notensetzer des Verlagshauses wird zum Online-Scorepublisher.
Und in den Verkaufsräumen der Plattenläden wird man nicht mehr von kompetentem und freundlich lächelndem Personal betreut, sondern sieht sich von einem auf Inline-Skates fahrenden und per Palmtop nebst UMTS-Standleitung auf dem Rücken permanent verbundenen Sales-eJay ununterbrochen umkreist.
Da vergeht einem schon bald ein wenig die Lust und man erinnert sich wieder an die Kritiker der „Verinternetisierung“. Letztlich hat es jeder Beteiligte selbst in der Hand, wie rosig die Online-Zukunft wird. Und: Es ist ja nur einmal so eine Überlegung und ein jeder kann sich selbst einen Reim darauf machen.