Bei Tod Brownings „Dracula“ jedoch handelt es sich bereits um einen Tonfilm, entstanden 1931 mit dem seither weltberühmten Bela Lugosi, jenem aus Ungarn stammenden Hollywood-Immigranten, der nicht nur kraft seiner Gestik und Mimik die Dracula-Figur nachhaltig prägte sondern eben auch mit seiner unverwechselbaren, balkanisch gefärbten Diktion: „I am Dracula“. Der frühe Tonfilm wucherte zunächst mit anderen Pfunden – nämlich Dialogen und Geräuschen – bevor man Möglichkeiten fand, auch Musik mit einzumischen. So gibt es in „Dracula“ anno 1931 nur eine einzige musikalische Szene (die Schlusstakte aus Wagners „Meistersinger“-Vorspiel), platziert in der Londoner Oper, wohin es den transsilvanischen Untoten von Fledermausgnaden im Handlungsverlauf verschlägt. Immerhin: die Kopfnoten aus Wagners „Meistersinger“-Motiv werden von Glass aufgegriffen, wenn sich anschließend seine Filmmusik wieder unter die Dialoge mischt.
Stummfilme mit Orchesterbegleitung, live dargeboten, sind inzwischen keine Seltenheit mehr. Sie gehören im Gegenteil ins Kapitel einer Aufarbeitung von Filmgeschichte – und zwar von akustisch-musikalischer Seite her. Eine späte Würdigung also dessen, was infolge nicht vorhandener Aufnahme- und Reproduktionstechnik der Vergänglichkeit anheimfiel. Fritz Langs „Die Nibelungen“ (Originalmusik: Gottfried Huppertz) oder Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ (Originalmusik: Edmund Meisel) sind prominente Beispiele solch verdienstvoller Stummfilm-Renaissance. Bei Tod Brownings „Dracula“ jedoch handelt es sich bereits um einen Tonfilm, entstanden 1931 mit dem seither weltberühmten Bela Lugosi, jenem aus Ungarn stammenden Hollywood-Immigranten, der nicht nur kraft seiner Gestik und Mimik die Dracula-Figur nachhaltig prägte sondern eben auch mit seiner unverwechselbaren, balkanisch gefärbten Diktion: „I am Dracula“. Der frühe Tonfilm wucherte zunächst mit anderen Pfunden – nämlich Dialogen und Geräuschen – bevor man Möglichkeiten fand, auch Musik mit einzumischen. So gibt es in „Dracula“ anno 1931 nur eine einzige musikalische Szene (die Schlusstakte aus Wagners „Meistersinger“-Vorspiel), platziert in der Londoner Oper, wohin es den transsilvanischen Untoten von Fledermausgnaden im Handlungsverlauf verschlägt. Immerhin: die Kopfnoten aus Wagners „Meistersinger“-Motiv werden von Glass aufgegriffen, wenn sich anschließend seine Filmmusik wieder unter die Dialoge mischt. class="bild" align="center">Aber darf man überhaupt, so die Frage empörter Filmhistoriker, ein Tonfilmdokument derart verändern? Denn aus welchen technischen Gründen auch immer: Brownings „Dracula“ ist ein dramaturgisch abgeschlossenes Filmwerk von konkret definierter visueller wie auditiver Gestalt und Konzeption. Und jeder nachträgliche musikalische Eingriff ist eine Manipulation des Originals. Modisches Filmmusik-Karaoke. Ein Gag, wie selbst Glass einräumt. „Universal kam auf mich zu, weil sie in ihren Archiven diese frühen Tonfilme haben und nun darüber nachdenken, wie man sie erneut vermarkten kann. Und ich glaube offen gesagt, dass man einfach auch auf der Suche nach einem Gimmick war.“
Und schon läuft die Vermarktungsmaschinerie auf Hochtouren, denn Phil Glass – erst recht im Verein mit dem Kronos Quartet – das hat Kult-Qualität. Schließlich scharte Glass mit New Age-Werken wie „Einstein on the Beach“ oder „Satyagraha“ eine weltweite Fangemeinde um sich, die den Minimal-Master später auch auf filmmusikalischem Gebiet erlebte, etwa in „Koyanisqatsi“, „Powaqatsi“, „Mishima“ oder letzthin in Martin Scorseses „Kundun“. Spirituell beseelte Werke zumeist, deren Sujet – über Glass’ musikalische Botschaften hinaus – bereits Kultig-Sendungsbewusstes signalisierte. Welten entfernt von einem Stoff wie „Dracula“.
Lässt man jedoch die filmhistorischen Vorbehalte außer Acht, so erscheint Glass’ Ansatz durchaus plausibel: ein musikalischer Aufschrei gleich zu Beginn, gespielt in der klassisch-todesnahen Tonart f-Moll, schon setzt sich das Geschehen in Gang, gespickt erwartungsgemäß mit minimalistischen Wiederholungsschleifen, aber doch auch durchsetzt mit dramatischen Einlassungen. Dies als eigentliche Überraschung: Glass ist längst nicht mehr der Minimal-Tapezierer von einst, wie bereits „Kundun“ deutlich machte. Vielmehr orientiert er sich tatsächlich am szenischen Bedarf und kommt denn auch nicht umhin, so manches musikstilistische Déjà-vu herbeizuzitieren, etwa Schuberts „Tod und das Mädchen“ oder Anklänge an Bartók, Strawinsky und Janacek. Der besondere Clou aber liegt zweifellos in der Art der Darbietung. Denn wenngleich das breite Publikum demnächst den Universal-Klassiker innerhalb einer ganzen Klassiker-Kollektion als Video wird kaufen können – neu gemischt mit Glass’ neuer Score – liegt doch der eigentliche Reiz des Unternehmens im Aufführungsgedanken. So wie in London anlässlich der Premiere in der Royal Festival Hall zu erleben. Glass: „Generell werden Filme nicht interpretiert: man schaut sie auf einer großen Leinwand an oder auf einer kleinen. Aber ihr Inhalt bleibt unveränderbar. Sobald jedoch das Live-Element ins Spiel kommt, beginnt die Interpretation. Zum Beispiel: die Aufführung heute abend wird etwas anders sein als die gestrige. Dasselbe, wenn wir nächstes Jahr damit auf Tour gehen. Eine Live-Aufführung kann wachsen, aber wenn ein Film erst mal fertig ist, wächst er nicht mehr.“
In diesem Sinne nutzt der Theatermann Glass wieder einmal das Bühnenforum, um sich und das Kronos live zu präsentieren. Genaugenommen instrumentalisiert er damit den Film, der so kaum mehr ist als ein thematischer Auslöser, eine Art „framework“ für den Live-Event. Das Besondere dabei: die Musik ertönt hinter der Leinwand. Diese freilich ist entsprechend halbtransparent, so dass infolge cleverer Lichtregie die Musiker immer wieder aus dem Off in den Vordergrund geholt werden können und dabei, durchaus witzigerweise, auch zum visuellen Farbtupfer auf dem schwarzweißen Filmdokument werden. Problematisch allerdings streckenweise die Tonregie, also das Mischen des originalen Filmtons mit der live gespielten Glass-Musik. Und weshalb hier nun Glass selbst, im Unterschied zum Soundtrack (Nonesuch), am Keyboard mitwirkte, schien auch eine Frage wert zu sein? Glass: „Die CD-Aufnahme, so wie sie im Studio entstand, ist für die Live-Aufführung nicht praktizierbar. Weil sie erstens zu wenig Intensität hat, und weil außerdem in Sekundenbruchteilen zwischen Pizzicati und Bogentechnik gewechselt wird. Deshalb mein Keyboard-Part, der allerdings fast identisch ist mit den anderen Stimmen. Bis auf ein paar Kleinigkeiten.“