Der Bayerische Rundfunk plant eine Qualitätsoffensive. Live Streams von Konzerten seiner Klangkörper, eine bessere Ausstattung der digitalen BR-Klassik, die Verschmelzung der Redaktionen TV und Hörfunk zu trimedialen Redaktionen sind das Ziel. Denn die Tage der linearen Radio- und Fernsehnutzung sind gezählt. Nicht länger der lineare Radioanbieter solle im Mittelpunkt stehen, heißt es im Telemedienkonzept BR-Klassik, sondern der themeninteressierte Nutzer.
Am Freitag, den 14. Februar 2014, lief die Einspruchsfrist gegen die BR-Telemedienkonzepte „BR-Klassik“ und „Weiterentwicklung der netzspezifischen Angebotsformen“ ab. Die nmz hatte im Leitartikel der Februar-Ausgabe thematisiert, was bei den schönen neuen Telemedienkonzepten verschwiegen wurde: BR-Klassik droht die Abschaltung seiner UKW-Frequenz. Diese soll voraussichtlich 2016/17 an den neuen Jugendkanal „puls“ gehen. Auch Andere waren dran am Thema: „Bayerischer Musikrat macht für den Erhalt von BR KLASSIK mobil“ hieß es in einer Pressemitteilung des BMR vom 25. Januar, „Radiokrieg in Bayern“ titelte die FAZ am 7. Februar, „BR setzt weiter auf Klangkörper“ der Kölner Stadtanzeiger am 11. Februar und spielte damit auf die Orchesterfusionspläne des südwestlichen Senders SWR an. Inzwischen formiert sich auch Widerstand nicht nur gegen die UKW-Abschaltung, sondern auch gegen das Telemedienkonzept als Ganzes. Denn sowohl Privatsender als auch Verlage und Online-Publikationen fürchten unzulässige Wettbewerbsverzerrungen, sollte der BR mit einem Millionenbudget ein trimediales Internetangebot bereitstellen. Andreas Kolb sprach mit Matthias Brixel, Geschäftsführer des Online-Klassik-Portals Klassik.com über die Folgen der digitalen Neuausrichtung des BR.
neue musikzeitung: Sie haben mit einer Stellungnahme gegen das Telemedienkonzept BR-Klassik Einspruch erhoben. Warum?
Matthias Brixel: Die öffentlich-rechtlichen Sender haben im Interesse der Allgemeinheit zu handeln. In einer demokratischen Gesellschaft bedeutet dies vor allem, eine vielfältige und frei von staatlichen Zwängen organisierte Medienwelt mit einem entsprechenden Wettbewerb der Medien untereinander zu gewährleisten. Es kann daher nicht im Interesse der Gesellschaft liegen, privatfinanzierte Angebote – egal ob Fachmagazine, Tageszeitungen oder Internet-Publikationen – aufgrund einer dominierenden Exis-tenz gebührenfinanzierter Angebote aus dem Markt zu drängen. Bei einem jährlichen Budget des Bayerischen Rundfunks in Höhe von rund einer Milliarde Euro und Projektmitteln im zweistelligen Millionenbereich für das geplante Klassik-Portal werden zahlreiche derzeit (noch) vorhandene Angebote zwangsläufig vom Markt verschwinden, von Meinungsvielfalt kann dann nicht mehr die Rede sein. Eine Begrenzung der Tätigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zur Sicherung der Meinungsvielfalt kann laut Bundesverfassungsgericht daher durchaus legitim sein.
Verstöße gegen Negativkatalog
Durch die Verknüpfung des musikjournalistischen Angebots mit den ebenfalls in Konkurrenz zu privaten oder staatlichen Anbietern stehenden Klangkörpern des BR sowie das hauseigene Plattenlabel sehen wir außerdem eine Gefährdung der redaktionellen Unabhängigkeit. Das dem Rundfunkrat vorgelegte Telemedienkonzept verstößt darüber hinaus rein formal gegen zahlreiche gesetzliche Vorgaben. So ist die Angebotsbeschreibung an vielen Stellen sehr schwammig gehalten oder der geforderte Sendungsbezug nicht gegeben. Die Angebote verstoßen mitunter auch gegen den sogenannten Negativkatalog, der explizit den privaten Anbietern vorbehaltene Angebotsformen wie zum Beispiel Communities, Foren oder Linklisten definiert.
Auch verschweigt die Intendanz des BR der Öffentlichkeit und dem Rundfunkrat im vorliegenden Konzept den wahren Grund für die Expansionspläne: die auf 5-10 Jahre geplante Abschaltung der auf UKW basierenden Klassikwelle.
Um sich die Zustimmung des Gremiums zu sichern, wird weiterhin mittels einer künstlichen Verengung des Marktes eine publizistische Lücke im Angebot konstruiert, die aus Sicht der Rundfunkanstalt nur der Sender selbst füllen könne.
Aufmerksame Beobachter
nmz: Verfolgen Sie auch die Bemühungen der anderen acht Landesrundfunkanstalten auf diesem Sektor?
Brixel: Leider wurden die im Konzept als Wettbewerber explizit benannten Magazine, Zeitungen und Online-Angebote weder über das befristete Genehmigungsverfahren unterrichtet, noch in die Diskussion mit eingebunden. Dies entspricht nicht unseren Vorstellungen eines transparenten und fairen Verfahrens. Da wir davon ausgehen, dass andere Rundfunkanstalten ähnliche Konzepte vorbereiten und durch ihre Gremien verabschieden lassen wollen, beobachten wir aufmerksam das Geschehen.
nmz: Haben Sie allein Einspruch erhoben oder zusammen mit anderen Online- und Print-Publikationen? Wer hat sich nicht beteiligt und warum?
Brixel: Zum umstrittenen Telemedienkonzept BR Klassik haben sich neben den bestens organisierten Dachverbänden wie dem BDZV (Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger), dem VDZ (Verband Deutscher Zeitschriftenverleger) sowie dem VPRT (Verband privater Rundfunk und Telemedien) erstmals auch die miteinander in direktem Wettbewerb stehenden, davon betroffenen Fachmagazine gemeinsam organisiert, um eine Stellungnahme abzugeben. Zu den sich beteiligenden Medien zählen unter anderem crescendo, klassik heute, klassik.com, klassik.tv, Musik und Kirche, Klassik in München, Klassik Newsletter Berlin, Musik heute und andere. Leider haben einige Angebote, die zum Teil auf Werbeschaltungen des BR angewiesen oder anderweitig publizistisch für den BR aktiv sind, aufgrund wirtschaftlicher Risiken durch Bekanntwerden ihrer Beteiligung sich letztlich trotz inhaltlicher Übereinstimmung nicht an der gemeinsamen Stellungnahme beteiligt. Dies spiegelt bereits deutlich die wirtschaftliche Macht des Senders wider.
Duales System denkbar?
nmz: Wie geht es weiter? Was für Schritte planen Sie (juristisch/journalistisch/PR)?
Brixel: Wir warten zunächst das weitere Verfahren und die Entscheidung des Rundfunkrates ab, bevor wir Überlegungen zu weiteren Schritten anstellen.
nmz: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist mit seiner Unabhängigkeit, seinem Kultur- und Bildungsauftrag ein hohes Gut in unserer Demokratie. Seit der Einführung des privaten Rundfunks gibt es das sogenannte duale System, das sich bewährt hat. Verlage standen mit ihren Printprodukten bisher nicht in direkter Konkurrenz zum Funk. Wie könnte ein „duales System“ in einer digitalen Welt aussehen?
Brixel: Der seit Beginn 2013 für Bürger und Unternehmen zu leistende „Rundfunkbeitrag“, der seitens der Sendeanstalten auch gerne einmal als „Demokratieabgabe“ bezeichnet wird, ist in weiten Teilen der Bevölkerung, den Unternehmen und bei Rechtsexperten heftig umstritten. Ob der Rundfunk in seiner derzeitigen Struktur und der offensichtlichen Symbiose mit der Politik unabhängig agieren kann, wage ich persönlich zu bezweifeln.
Argument Grundversorgung
Zum immer wieder gerne als Argument vorgebrachten Begriff der „Grundversorgung“ kann meines Erachtens nicht gehören, dass die öffentlich-rechtlichen Anstalten mehr als zwanzig TV-Kanäle, rund 70 Rundfunkkanäle, mehrere Hundert Web-Projekte und eine Vielzahl an sogenannten Apps für mobile Endgeräte anbieten, die in den meisten Fällen durch private Anbieter in einer gleichwertigen oder höheren Qualität angeboten werden. Betrachtet man dazu auf der Ausgabenseite das Ungleichgewicht zwischen den horrenden Aufwendungen für Unterhaltungsangebote gegenüber den Ausgaben für Information und Kultur, so halte ich eine grundlegende Reform für unausweichlich. Dies umso mehr, als dass gerade an anderer Stelle rundfunkeigene Klangkörper mit historischer Bedeutung aufgrund jährliche Sparvorgaben in lediglich einstelliger Millionenhöhe abgewickelt werden.
Matthias Brixel studierte Orchestermusik und Betriebswirtschaft. Er ist Herausgeber des Klassikmagazins klassik.com, das er 1995 gründete und das mit über 60.000 registrierten Nutzern zu den größten Angeboten zur klassischen Musik im deutschsprachigen Internet zählt.