„Am Mittwochabend (9. Mai) kamen im Kölner Schauspielhaus Teilnehmer der ‚Initiative für Kultur im Radio’ und der Hörfunkdirektor des Westdeutschen Rundfunks, Wolfgang Schmitz zusammen, um über die Zukunft des Kulturradios zu diskutieren. Hintergrund der Veranstaltung ist die Organisationsreform der Kulturwelle WDR 3 und die Debatte, die diese Reform begleitet.“
Eine Meldung, die selber eine Nachricht ist. Mit einem Fünfzeiler auf der Homepage des Westdeutschen Rundfunks hat der Sender seine Sprachlosigkeit beendet, die ihn befallen hatte, als die in der Nachricht erwähnte „Initiative für Kultur im Radio“ tatsächlich unübersehbar initiativ geworden war. Künftig will man in einer „Reihe öffentlicher Veranstaltungen“ die „verschiedenen Aspekte dieses Themas erörtern“. Und zwar „mit Programmverantwortlichen, Repräsentanten des Kulturbetriebs, Kulturschaffenden und mit dem interessierten Publikum“.
Mit den nervigen „Radiorettern“, die ausgerechnet dem WDR bescheinigen, den Untergang des Mediums zu betreiben, wohl eher weiterhin nicht. In den zurückliegenden Monaten hatte eine tief beleidigte Sendeleitung laviert zwischen Totschweigen und Lächerlichmachen. Einmal sollten mittlerweile mehr als 18.000 Unterschriften „nur Klicks“ sein (WDR-Intendantin Monika Piel), ein anderes Mal hatte man die Initiative der „Radioretter“ von folgsamen Redakteuren des vorauseilenden Gehorsams als „Radiorentner“ auf die Schippe nehmen lassen.
Hat alles nichts genutzt. Stetig haben die „Retter“ den medialen Druck erhöht und es schließlich geschafft, die hohe WDR-Geschäftsleitung auf ein flachhierarchisches Podium zu locken, um „erstmals öffentlich miteinander zu diskutieren“.
So geschehen an besagtem 9. Mai auf der Bühne des bis auf den letzten Platz besetzten Kölner Schauspielhauses. Womit denn selbst in den Reihen der Kannitverstan-Fraktion um Monika Piel klar war, dass die „Klicks“ auf der Unterschriftenliste der „Radioretter“ erstens wohl doch auf zwei Beinen herumlaufen und zweitens im Kopf respektive im Herzen als (enttäuschte) WDR3-Hörer anzusehen sind, von denen der Sender eigentlich meint, es seien zu wenige und die wenigen zu alt. Jetzt sitzen sie da und sind ganz munter. In der finalen Publikumsrunde stellte sich auch ein Student der Musikwissenschaft vor, der durch intensives Hören von WDR3 und der Sendung „Akustische Kunst“ zu seinem Studium berufen worden war. War das jetzt, durfte man sich fragen, nach WDR-Lesart schon ein früh ergrauter „Radiorentner“ in der Maske des „Radioretters“? Hörfunkdirektor Wolfgang Schmitz hielt sich verständlicherweise mit einer Einschätzung zurück, ansonsten den Ball flach.
Abwiegeln, Einebnen
Gegen den Vorwurf der „Verflachung“ des von ihm verantworteten Kulturprogramms WDR3, erhoben auch von der auf dem Podium anwesenden WDR-Redakteurin Gabriele Gillen, hatte Schmitz sich etwas anderes ausgedacht: Abwiegeln, Schein-Einverständnis herstellen. „Wir sind, was Kulturradio sein soll, sehr nah beieinander.“ Davon konnte nun gewiss keine Rede sein, hatten die zurückliegenden Reformen (2001, 2004, 2008) den Weg zur sogenannten „Durchhörbarkeit“ kraft Entwertung von Fachredaktionen, Aufwertung von Moderation längst beschritten. Von seiner Begeisterung für den hörergenerierenden Plauderton von NDR Kultur und MDR Figaro machte der WDR-Hörfunkdirektor jedenfalls keinen Hehl. Drollig indes, wie er trotzdem glauben machen wollte, dass die Verlustmeldungen seiner mutigen Redakteurin Gillen gar keine sind. Vom „Queren, Experimentellen, Sperrigen, Tiefgehenden, Hintergründigen“, behauptete Schmitz trotzig: „Alles, was Frau Gillen meint verloren zu haben, bilden wir ab!“ Sprach’s und zog die Abwiegel-Karte aus der Tasche. Was die „anstehenden Veränderungen“ betreffe, „würde er das Wort Reform nicht in den Mund nehmen“. Ja, dachten sich so manche, warum sitzen wir denn dann hier? Noch die hauseigene Meldung am Tag danach sollte das dumme Wort „Reform“ gleich zwei Mal in den Mund nehmen. Und da Schmitz sich auch so stellte, konnte er auch die Forderung nach einem „Moratorium“ in den Wind schlagen, aufgeworfen von einem mit Richard David Precht, Hans-Joachim Lenger, Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff und Manos Tsangaris prominent besetzten Podium. Auf der nächsten Rundfunkratssitzung Ende Mai will Schmitz seine Reform, die eigentlich keine ist, absegnen lassen. An den Kragen, so befürchten die „Radioretter“, ginge es dann den Formaten „Musikpassagen“, „Musikfeature“, „Resonanzen“.
Die Sache schwelt. Mittlerweile kursieren WDR-Papiere mit Friedensangeboten, die aber nach Meinung der „Radioretter“ eher „kosmetische Korrekturen“ sind. So blickte man an diesem Kölner „Streitbar“-Abend weniger auf das inhaltsreiche Für und Wider eines Streits als auf ein ausgekratertes „Gefechtsfeld“. Rausgerutscht war diese Bemerkung Hermann Theißen vom Deutschlandfunk, der in seiner Rolle als radiorettungsaffiner „Moderator“ kaum glücklich agierte. Dass er seine Parteilichkeit sogar offensiv gegenüber Schmitz glaubte verteidigen zu müssen, würde man wohl am wenigsten erwarten in einem Kulturradio, das „Radioretter“ anstreben oder anstreben sollten. Im Eifer des Gefechts, mit dem man gegen den Untergang des kritischen Abendlandes Front macht, werden Standards unterlaufen, die man anderen sonst nicht durchgehen ließe. So schied man an diesem Abend im Gefühl, einem Artillerieduell beigewohnt zu haben. Hier das schwere adornitische Geschütz von „Widerstand gegen Marktlogik“, dort die Nebelkerzen und Scheinmanöver der Desinformation. Ob es beidseitig nicht eine Nummer kleiner geht? Weniger Rettungs-Pathos hier, weniger Funktionärs-Arroganz dort. Steht doch Kulturradio drüber.