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Im Bauch der Töne und Stimmen

Untertitel
Akustische Kunst: das Kulturreferat München und sein Projekt t-u-b-e
Publikationsdatum
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nmz 2000/10 | Seite 7
49. Jahrgang | Oktober

Im Bauch der Töne und Stimmen

Akustische Kunst: das Kulturreferat München und sein Projekt t-u-b-e

Die Ursprünge der relativ jungen Gattung akustische Kunst, die erst seit den 80er-Jahren größeren Anklang bei Publikum und Produzenten findet, liegen im futuristischen Manifest des Italieners Luigi Russolo, das er bereits 1913 aufstellte. Darin kommt zum ersten Mal das Geräusch, O-Töne oder künstlich erzeugt, als Gestaltungsmittel vor, als Material für künstlerische Schaffensprozesse. Aber erst in den 70er-Jahren entdeckten meist Hörfunkredakteure und Rundfunkanstalten in Deutschland die Möglichkeiten einer spannenden Form, die als Bastard zwischen Neuer Musik, Hörspiel und futuristischem Klängeerzeugen das Interesse der Öffentlichkeit weckte. Aus verschiedenen Strängen haben sich vor allem die Formen der Klanginstallation, der Audio-Performance und der radiophonen Kunst herauskristallisiert.

Gerade in letzter Zeit lässt das In teresse der Rundfunkanstalten, in den 80ern noch Vor- und Wegbereiter, an dieser Kunstgattung jedoch nach, niemand weiß etwa, was nach der Pensionierung des 70er-Jahre-Pioniers Klaus Schöning mit seinem „Studio für akustische Kunst“ beim WDR passieren wird. Oft fehlen die Mittel, der Etat und die Orte für die Produktion im öffentlich-rechtlichen und gigantisch teuren Rundfunkapparat.

Hier setzt ein Projekt des Kulturreferates München ein: t-u-b-e, so der klingende Titel dieser Galerie für radiophone Kunst, Installationen und Audio-Performances mit festen Räumlichkeiten im Haidhausener Einstein-Kulturzentrum. Kulturreferent Christoph Höfig will zusammen mit seinen Kuratoren Ulrich Müller und Jörg Stelkens eine möglichst große Bandbreite unters Volk bringen. Künstler sollen hier abseits der Rundfunkanstalten die Möglichkeit zum Produzieren, Ausprobieren und Aufführen ihrer akustischen Kunstprodukte haben. Neben dem Abspielen von bereits vorhandenen Produktionen soll also mit den Performances auch der Live-Aspekt nicht zu kurz kommen.

„Harte HÄngste“ steht als eine Art Oberthema über der ersten Saison, die im Juli mit Klanginstallationen Sarah Neumeisters und Sibylle Wagners, Vorträgen und Gesprächen eröffnet wurde, was nicht bedeuten soll, dass die Künstler ausschließlich zu diesem Oberbegriff liefern müssen, sondern die Ängste sind als eine Art Focus auf einen bestimmten Themenkomplex gedacht. Die Kunstschaffenden können sich „auch dagegen stellen, sich daran reiben, Stellung beziehen“, so Christoph Höfig, auf diese Weise soll nur ein „Gemischtwarenladen“ vermieden werden, der auch keinem Festival gut tue. Die Arbeiten sollen sich in eine gesellschaftliche Situation einordnen, in das Grundthema Ängste also, die innerhalb der modernen Gesellschaft entstehen – durch Leistungsdruck, durch die Auflösung von Rollenverständnissen, und das In-Frage-Stellen gesellschaftlicher Normen.

Die Herbstspielzeit nach der Sommerpause wurde etwa mit einem Vortrag von Wolfgang Korb vom Saarländischen Rundfunk zum Thema radiophone Kunst eröffnet. Ein bunt gemischtes Publikum fläzte sich auf den roten und grauen Kissen auf improvisierten Bühnenteilen. Das zweite Saisonthema des Jahres ab Januar werden Rituale sein: vom Sport bis hin zum Tod sollen hier gesellschaftliche Gewohnheiten aufgezeigt werden, innerhalb derer sich der moderne Mensch so selbstverständlich bewegt, dass er solche Situationen gar nicht mehr als Rituale erkennt.

Der Name t-u-b-e ist dreifach motiviert: einmal von den Räumlichkeiten – die Galerie ist in einem ehemaligen Brauereikeller untergebracht, der schon als Theater diente und die Form eines Tunnels aufweist –, zum Zweiten gibt er einen Hinweis auf den räumlichen und künstlerischen „Untergrund“ in Anlehnung an die Londoner U-Bahn (the Tube), und im Englischen wird das Wort tube auch für die Röhre verwendet, die als Verstärker für die Radioröhre diente, technologisch der Ausgangspunkt für alle weiteren Entwicklungen, die die radiophone Kunst seitdem erfahren hat.

Seit August 1999 ist das Einstein-Kulturzentrum in städtischer Hand, und Höfig und sein Kollege Christoph Schwarz wollen mit t-u-b-e ein Projekt realisieren, das neben dem Jazzclub Unterfahrt ebenfalls einen täglichen Betrieb mit sich bringt. Kein kurzes Strohfeuer soll hier geschürt werden, sondern die Besucher sollen Gelegenheit haben sich über eine unbegrenzte Zeit mit einer Kunstform auseinander zu setzen.

E-Musik-Komponisten wie Heiner Goebbels treffen hier auf Musiker und DJs wie zum Beispiel 48Nord, die aus einer ganz anderen Ecke kommen. So ergeben sich aufregende Perspektiven, die die Neue Musik, Jazz, Pop und den Medienkunstbereich verbinden. Abseits des Alltagsgeschäftes „mit Gig hier, Auftritt da“ könnten Musiker hier zu einer neuen inhaltlichen Ebene des Schaffens finden. Es gibt zahlreiche Künstler, die in diesem Bereich bereits sehr aktiv sind – wie etwa die junge Münchner Komponistin Helga Pogatschar –, aber die Möglichkeiten, mit ihren Produkten öffentlich in Erscheinung zu treten, sind verschwindend gering. Deshalb liegt es Höfig am Herzen, hier einen Ort zu schaffen, wo das Thema dauerhaft präsentiert werden kann. Auch die Produktionsmöglichkeiten und -mittel sollen innerhalb der t-u-b-e demokratisiert, das heißt zur allgemeinen Verfügung gestellt werden, was inzwischen gut zu realisieren ist, denn was früher hinsichtlich Hard- und Software eine Million kostete, ist heutzutage bereits für etwa 50.000 Mark zu haben. Entscheidend sei auch, „dass wir einen Raum haben, der funktioniert, man hat Raumakustik, man kann unterschiedlichste Konstellationen aufbauen, und die Produzenten können mit und in dem Raum sofort arbeiten.“

Das Kulturreferat München will so auch eine allgemeine deutschlandweite Entwicklung anstoßen und eine Perspektive aufzeigen, die „unendlich“ wichtig sei: „Da liegen echte Zukunftslinien vor unseren Augen, eine interdisziplinäre Geisteshaltung ist von vornherein impliziert.“ Um die akustische Kunst auch außerhalb der t-u-b-e zu verbreiten, wolle man auch das Thema Internetradio einbeziehen und nutzen.

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