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Das Polytheistic Ensemble in musikalisch-visueller Aktion. Foto: Jochen Klenk/Polytheistic Ensemble
Das Polytheistic Ensemble in musikalisch-visueller Aktion. Foto: Jochen Klenk/Polytheistic Ensemble
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Klangarchitekturen und musikalische Vielgötterei

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Matthias Ockert und Dagmar Vinzenz vereinen im Polytheistic Ensemble Stile und Kunstsparten
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„Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“ – wie bereits dem Namen nach zu vermuten ist, kann das Polytheistic Ensemble mit diesem Gebot auf musikalischer Ebene wenig anfangen. Das Ensemble verbindet Neue Musik mit Jazz, und auch Architektur und Film finden Eingang in die Konzeption. Der Karlsruher Gitarrist und Komponist Matthias Ockert gründete die Gruppe 2012, dessen harter Kern seitdem aus einer Handvoll Musikern besteht, die projektbezogen auch mit anderen Formationen und Gästen zusammenarbeiten. Die aktuelle CD „signals from the cool“ erschien 2016 bei dem Label Neuklang Future.

Eine weitere Stimme

Bereits seit den Anfängen ist die Videokünstlerin Dagmar Vinzenz Teil des Projektes und bereichert das Polytheistic Ensemble mit Live-Visuals und Musikvideo-Produktionen um eine Bildebene. Statt die Musik nur abzubilden, oder gar in Konkurrenz mit ihr zu treten ist die Devise absolute Gleichberechtigung: „Das Bild ist wie eine weitere Stimme im Ensemble. Die kann sich mal mehr im Hintergrund halten, oder in den Vordergrund treten. So fassen wir es auf – als Instrument tatsächlich“, so Vinzenz.

Von der Grafik zur Fotografie zum Film. Bevor Dagmar Vinzenz zum Video kam hat sie die Arbeit mit analogen Medien durchlaufen und begründet damit ihr besonderes Verhältnis zum digitalen Video: „Ich bin stark interessiert an einem grafisch komponierten Einzelbild“.

Während des Studiums der Bildenden Kunst bei Dieter Appelt an der UdK Berlin beschäftigt sie sich mit dem absoluten Film der 1920er Jahre, welcher sich nicht um narrative Zusammenhänge kümmert; der Screen selbst ist das Thema und kein Fenster in eine andere Welt. Ein Merkmal, dass sich auch in ihrer Arbeit im Polytheistic Ensemble widerspiegelt. Vinzenz ist 2001 Stipendiatin des DAAD und gründet 2009 das Label Werkvideo. Sie unterrichtet seit 2015 Videodokumentation und Multimediale Projekte an der Hochschule für Musik Trossingen.

Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen einerseits bei der Musikdokumentation und andererseits bei der Videokunst, Visuals für Musik und Bühnenprojektion. Letzteres ist die Schnittstelle an der sich Vinzenz und Ockert begegnen.

Während seines ersten Studiums der Architektur in Berlin setzte sich Matthias Ockert mit der Verbindung von Musik, Architektur und Mathematik auseinander und nahm gleichzeitig bereits Kompositionsunterricht. Er beschäftigte sich mit dem Werk Iannis Xenakis’, ebenfalls Architekt und Komponist, und studierte in den folgenden Jahren Komposition bei Wolfgang Rihm, Hans-Peter Kyburz und Sandeep Bhagwati, sowie Jazzgitarre bei Bill Connors, Attila Zoller und Steve Khan. Ockerts Werk umfasst eine Bandbreite von instrumentaler und elektronischer Musik, Jazz, Klanginstallationen und auch Bühnenwerke, wie eine Ballettmusik für das Badische Theater Karlsruhe.

Nicht einfach ein Visualizer

2021 realisierte Ockert mit dem Polytheistic Ensemble das Projekt „Extended Play“, welches der Verbindung von traditionellen Instrumenten mit Elektronik und Video durch Sensortechnik gewidmet war. Coronabedingt entstanden als Resultat in Zusammenarbeit mit Dagmar Vinzenz keine Live-Konzerte, sondern Musikvideos. Ein jedes Mediums mit seinen Besonderheiten als eigene Kunstform zu respektieren war in diesem Fall selbstverständlich und somit auch, dass es nicht darum gehen konnte, lediglich Konzertmitschnitte zu produzieren. Die Produktion von Musikvideos erfordere im Vergleich zu Live-Auftritten ein lineareres Arbeiten, bei dem Musik und Bild miteinander verzahnt und in eine endgültige Form gebracht werden, erläutert Vinzenz. Ob live oder nicht, immer gilt: das Video soll nicht bloß als Visualizer fungieren, sondern als Werkzeug genutzt werden, um Inhalt zu gestalten. Vorher müsse dazu in experimenteller Probenarbeit gut abgestimmt werden, wie das Material miteinander in Verbindung gebracht werden kann. So entstehen bei der Bildentwicklung diverse Module und vorproduzierte Clips, die später unterschiedlich kombiniert und mit Effekten verändert werden können. Improvisation ist bei Konzerten auf diese Weise sowohl für das Video als auch die Musik wesentlich : „Ich kann das Bild über Controller verändern. Es können aber auch bestimmte Frequenzen, oder auch Daten von Bewegungssensoren auf Bildparameter gelegt werden, welche dann auf festgelegte Weise Einfluss auf die Bildentwicklung nehmen.“, so Vinzenz.

Gezwungen, neu zu denken

In der Musik des Polytheistic Ensembles gibt es verschiedenste Schattierungen der Fixierung: durchkomponierte Teile wechseln sich ab mit sehr freien Passagen, oder modulartigen Abschnitten, bei denen Harmonien oder Rhythmen vorgegeben sind. Vinzenz spricht von einer „völlig beweglichen Architektur aus Musik und Bild, die wir dann live zusammenfügen“.

Es ist Herausforderung und Inspiration zugleich für den Komponisten: „Man wird bei der Zusammenarbeit mit dem Bild gezwungen, erstmal aus dem rein Musikalischen herauszutreten und neu zu denken. Das gibt im Nachhinein dann auch wieder Inspiration für die Musik ohne Bild.“ Die ist bei Matthias Ockert bei aller Experimentierfreude immer auch traditionsbewusst „Ich speise meine Energie aus der Tradition der klassischen Musik und auch der des Jazz. Wenn das auf moderne Techniken trifft, entsteht etwas Neues, was aber auch gleichzeitig einen Rückbezug zur Musikgeschichte hat. Das ist sehr wichtig“. Zu hören sind diese Rückbezüge in Ockerts Werken im oft jazzigen Groove, der immer präsenten Tonalität, Einflüssen von Xenakis bezüglich der architektonischen Klanggestaltung oder auch in der Arbeit mit konkreter Musik hauptsächlich im Bereich der Elektronik.

Als einen Rückbezug auf die eigene Geschichte, oder schlicht ein Aufbauen auf ihr könnte man auch das aktuelle Projekt des Polytheistic Ensembles betrachten. Nachdem es 2014 am ZKM Karlsruhe mit dem Projekt „Polytheistic Ensemble re.flex“  und 2021 mit „Extended Play“ um die Verbindung von traditionellen Instrumenten mit Elektronik und Video durch Sensortechnik gegangen war, erforschen die Musiker aktuell mit „Polytheistic Ensemble resounds“ neue instrumentale Klänge und Formen des Zusammenspiels, die auf elektronischen Sounds bisheriger Projekte aufbauen. Die Musiker um Matthias Ockert möchten sich in der Umsetzung auf die traditionellen Instrumente konzentrieren und elektronische Sounds imitierend aufgreifen. Mit von der Partie sind die Ensemblemitglieder Tomas Westbrooke (Violine), Hugo Smit (Violoncello ), Hans-Peter Ockert (Trompete), Michael Heise (Bass) und Felix Schrack (Schlagzeug) sowie darüber hinaus Gäste anderer Ensembles. Man darf gespannt sein und die Aufführung des vom Musikfonds FEB-III geförderten multimedialen Konzertprojektes noch dieses Jahr im ZKM Karlsruhe erwarten.

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