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Im Seminar: Philipp Ludwig Stangl (r.), ein Student und ein Artefakt. Foto: Musikhochschule Mannheim
Im Seminar: Philipp Ludwig Stangl (r.), ein Student und ein Artefakt. Foto: Musikhochschule Mannheim
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Musik und Bild in digitalen Räumen

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Ein Gespräch mit dem Komponisten und Medienkünstler Philipp Ludwig Stangl
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Philipp Ludwig Stangl erstellt Kompositionen und Videos für die großen Theater und Opernhäuser von Basel bis Berlin, aber auch für andere Institutionen wie das Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, den Saarländischen Rundfunk oder ARTE. Zwischen 2007 und 2012 war er als Komponist und Videokünstler festes Ensemblemitglied am Stadttheater Bern. Seit 2012 ist er Professor für „künstlerische Medienpraxis/audiovisuelle Gestaltung“ an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim. Mit der nmz spricht er über die Fragen, was Medienkunst ausmacht und vor welche Aufgaben und Möglichkeiten die rasanten Entwicklungen der digitalen Welt sie stellen, aber auch über die mit dieser Digitalität aufwachsenden Nachwuchs-Künstler*innen. Das Gespräch führte Andreas Kolb.

neue musikzeitung: Herr Stangl, Sie haben an der Folkwang Komposition und Visualisierung studiert. Wieso hat das für Sie zusammengehört?

Philipp Ludwig Stangl: Ich komme ursprünglich aus der improvisierten Musik und habe mich schon immer für Theater interessiert und auch dafür, in größeren intermedialen Settings zu arbeiten. Die „Innenseite“ des Klanges hat mich als Komponist nie vorrangig interessiert. Ich habe Musik immer sehr objekthaft verstanden und versuche mit Klang oder audiovisuellen Objekten zu arbeiten und diese zu befragen. Eher wie ein Architekt, der sich Bausteine nimmt, diese in alle Richtungen dreht und wendet und dann zu einer komplexen Struktur zusammenbringt. Auch von einer theoretischen Seite her beschäftige ich mich mehr mit Montagetheorien, als mit Kontrapunkt.

nmz: Heute sind Sie Professor für künstlerische Medienpraxis/audiovisuelle Gestaltung an der Musikhochschule Mannheim. Was für Motivationen haben die Studierenden, die zu Ihnen kommen?

Stangl: Wenn ich hier mit Musikstudierenden arbeite, sehen diese zunächst die Bildmedien als Mittel musikalischer Illustration. Wenn sie dann mehr über Film wissen, erkennen sie, dass es im Film auch Kompositionstechniken gibt, die unabhängig von musikalischen Fragen Zeit erzählen. Ich selbst verstehe mich deshalb auch eher als Zeitkünstler und das vermittle ich: Wie organisiert man Zeit? Da spielt die Welt des Sonischen genauso eine Rolle wie die Welt des Visuellen. Man konnte das auch noch nie trennen: die Mittel der Inszenierung von Zeit sind in einer Operninszenierung von Mozart daher genauso zeitgenössisch wie die im Metaverse. Lediglich das Medium ist ein anderes.

nmz: „Was ist Medienkunst?“ und was für eine Entwicklung nimmt sie gerade vor dem Hintergrund neuer technologischer Entwicklungen?

Stangl: Medienkünstler befragen Medien – als Seismographen ihrer Zeit –, das kann die Bühne sein, das kann der Film sein, oder wie in den 1920er-Jahren die Radiokunst; das kann aber heute notwendigerweise auch Virtual Reality oder die KI sein, da die Technologie nunmal a priori zur Verfügung steht. Damit kommt man dann auch bestenfalls im künstlerischen Prozess zu Sinnzusammenhängen, die wir als zeitgenössisch relevant wahrnehmen.

nmz: Für welche Aufführungsorte macht man Medienkunst: Konzertsaal, Museum, Kino, öffentlicher Raum oder Bildschirm?

Stangl: Ich kann da gar keine generelle Antwort geben, da es davon abhängig ist, was man wie im künstlerischen Raum erzählen möchte. Ich beobachte in der Arbeit mit Studierenden, dass ein spezifischer Aufführungsort, für den komponiert wird, für die junge Generation überhaupt nicht mehr so relevant ist. Die denken nicht über Kino oder Theater als konkreten Ort nach. Als Mobile-Generation sind die in viel offenere Kommunikationsverbünde integriert und ihre Werke müssen in unterschiedlichsten Habitaten funktionieren. Das finde ich faszinierend, dass jede Generation das, was Medienkunst sein soll, ganz eigen für sich entdeckt und adaptiert. Jede Generation muss also ihre Zeit sichtbar machen in dem Medium, das sie für relevant hält.

nmz: Wenn sich alles ins Digitale verlagert: Wie befragen Sie die KI?

Stangl: Ich beobachte, dass die Studierenden – die verlorene Corona-Generation – wieder einen unglaublichen Hunger haben nach gemeinsamer Kontemplation. Für eine Begegnung auf kommunikativer Ebene kann vielleicht das Metaverse stimulierende Alternativen bieten, aber keinesfalls Ersatz zum realmenschlichen, sinnlichen Erleben sein. Uns interessiert schließlich auch nicht, ob eine KI Musik im Stil von Bach simulieren kann. Uns rührt Bach deswegen an, weil seine Musik so menschlich ist, weil sie sich so wirklich anfühlt. Wir stehen an einer Zeitenwende, wo aus meiner Sicht die kreative Frage wichtiger wird als die künstlerische Antwort: Soziale Evolution basiert auf „copy, transform & combine“, das ist ja keine Neuigkeit. Das wird nur digital emuliert und adaptiert. So funktioniert jede Form von Lernprozess und das können wir nun mal einer KI beibringen. Wir müssen dann allerdings auch in der Lage sein, die richtigen Fragen zu stellen an so eine Technologie. Und das finde ich künstlerisch total spannend! Ich glaube, dass wir sehr viele parallele digitale und analoge Ökosysteme haben werden, wo Medienkunst stattfinden wird.

nmz: Neue Musik benutzt schon länger audiovisuelle Medien, ist elektronisch erweitert und immersiv. Wie und wo findet der Kontakt zwischen Komponist*in und Filmemacher*in, Videokünstler*in und Fotograf*in statt? Braucht es denn für Medienkunst immer mehrere Agierende, oder vereinigt ein*e Medienkünstler*in das alles in einer Person?

Stangl: Ich mache die meisten meiner Arbeiten gar nicht als Einzelautor, weil mir Kooperationen mehr Spaß machen und es auch einen komplexeren vielstimmigen Anspruch hat, gemeinsam eine Geschichte zu erzählen. Ich bin da ein Kind des Theaters, das kann man, genauso wie Film, nicht alleine machen. Eigentlich finde ich den Begriff „Intermedialität“ auch missverständlich, weil es sich ja um Medienkunst mit einem gemeinsamen Ziel handelt.

Alles ist abhängig davon, was ich erzählen möchte. Ich agiere in einer Oper völlig anders, als bei einem Schauspiel oder im Tanz und wieder völlig anders, wenn ich mich etwa mit abstrakten Strukturen beschäftige. Da kommt es natürlich drauf an: Welche Rolle spielen dann die Mittel der Visualisierung? Was ist das Narrativ? Ich behandle mit den Studierenden auch viele semiotische Theorien. In dem Sinne, dass man sich erstmal die Frage stellt, was denn beispielsweise eine audiovisuelle Metapher ist? Nur weil keine Eigentlichkeit erzeugt wird, ist es ja noch lange nicht einfach Kunst. Auch als Komponist und Medienkünstler muss ich erstmal als Handwerkszeug objektivierbare Kriterien studieren. Sonst kann ich meine Mittel gar nicht sinnvoll einsetzen und meine künstlerische Sprache nicht formulieren. Wenn ich als Autor über Grammatik nichts weiß, kann ich keinen Roman schreiben oder experimentell mit Sprache umgehen. Und das gilt in der Medienkunst genauso. Aber ich stelle fest, dass diese Themen in Kunstakademien und postmodernen Diskursräumen viel zu wenig wahrgenommen werden oder kaum eine Rolle spielen. Dann bekommt man dieses Gefühl, dass man dort irgendwie nicht eingeladen ist, zu rezipieren.

Das Gefühl kennen wir auch aus der Neuen Musik: Das ist eine Expertenkunst und wir sind da nicht eingeladen, weil wir die musikalische Sprache nicht verstehen. Fazit: Diese Medienkunstbehauptung will ich mit den Studierenden auf objektive Kriterien stellen und die dann auch experimentell untersuchen; da bin ich eigentlich ganz handwerklich.

nmz: Was für neue Arbeiten wollen Sie angehen, wenn Sie die KI befragen?

Stangl: ChatGPT steht für „Chat Generativ Pre-Trained Transformer“ und das ist ja schon mal eine Einladung als Künstler pre-trainierte Daten zu etwas neuem Dritten zu transformieren. Das ist ein exzellenter künstlerischer Anlass. Essenziell ist, was für eine Frage man stellt: Will man eine Antwort bekommen, oder einen Vorschlag. Vergangene Woche hatten wir in einer meiner Lehrveranstaltungen, die wir an der Hochschule „Digitale Bühne“ nennen, folgendes Szenario: Der eine Komponist, war an dem Thema Herzinsuffizienz interessiert – an der Korrektheit der Antworten –, eine andere Komponistin wollte aber „Vegan Instruments“ bauen. Die war also nicht an der Korrektheit interessiert, sondern an einem explorativen Momentum und wollte überrascht werden. Es hat auch beides einigermaßen gut funktioniert. Man kann sich natürlich fragen, wo jetzt das Werk stattfindet und welche Rolle der Autor spielt, der hier eher in der Rolle eines Kurators ist. Und wer ist dann überhaupt der Urheber? Das sind Fragen, die man dann natürlich diskutieren muss. Künstler*innen sollten mit neuen Technologien einfach robust umgehen und sich nicht einschüchtern lassen.

nmz: Das was mich, der ich von der Musik komme, an der Medienkunst interessiert, ist die Möglichkeit, hier zwei Dinge zusammenzubringen, aus denen etwas neues Drittes entsteht.

Stangl: Es gibt von OpenAI ein Projekt das nennt sich Jukebox. Damit kann man vermeintlich jeden musik­alischen Stil emulieren. In einem Beispiel, da wird Frank Sinatra emuliert, sind die ersten paar Takte total frappant, aber je länger die Iterationen gerechnet werden, desto mehr Fehler und Artefakte kommen da rein. Da sind wir einerseits bei einer künstlerisch total spannenden Glitch-Ästhetik, die sich durch störungsbasierte Audiomedien und andere Klangartefakte auszeichnet, andererseits beim Thema „Deep-Fake“, das man auch in der Musik sehr kritisch betrachten muss – fraglos ein Diskursthema.

Nochmal zu Ihrer Behauptung von der Suche nach einem neuen Dritten. Ich stelle fest, dass die Mobile-Generation gar nicht mehr so dialektisch denkt und die Meme-Kultur in den sozialen Medien nicht mehr notwendigerweise an einer dritten Bedeutung interessiert ist. Eine dialektische Wahrnehmung kommt aus meiner Beobachtung den Jüngeren eher befremdlich vor.

nmz: Wohin gehen die Studierenden eigentlich beruflich, wenn die KI jetzt die Film- und Gebrauchsmusikproduktion übernehmen kann?

Stangl: An der Mannheimer Musikhochschule haben wir auch den Studiengang Komposition und Neue Medien, einen Doppelmaster, den ich mit Sidney Corbett zusammen mache. Sidney vermittelt einen relativ linear verlegbaren Werkbegriff, in Form einer Partitur. Und bei mir wird ein projektspezifisches digitales Arbeiten kultiviert, das nicht an eine traditionelle Notation gebunden ist, da die Werke meist nicht in einer ins­trumentalen Praxis zur Aufführung kommen. Ich würde sagen, dass sich die Szene eigentlich eher digital profiliert, weil die auch so kommuniziert und produziert. Gebrauchsmusik war nie unser Thema. Das kann gerne die KI übernehmen und Kunst kann ohne Künstler*innen nicht entstehen, egal welche Technologie eingesetzt wird.

nmz: Das heißt, an den bisher klassischen Orten des Neuen, den Festivals, kriege ich viele Medienkunstproduktionen gar nicht mehr mit?

Stangl: Also das wäre nochmal ein anderes Gespräch, ob die Gefäße der Subventionsträger noch passen. Ich kenne einige Komponistinnen und Komponisten, die überhaupt keinen Effort machen, in der starren Subventionskultur und in diesen Festivals vorzukommen. Sie haben ja den digitalen Raum.

nmz: Werden viele Komponist*innen durch die KI ihre Arbeit verlieren?

Stangl: Ich habe einige ehemalige Studierenden, die denken als Komponistinnen und Komponisten, arbeiten aber teilweise in ganz anderen Bereichen. Zum Beispiel in der Softwareentwicklung oder im Cloud-Data-Management, oder auch an Staatstheatern. Sie sind sehr wandlungsfähig und in größeren Medienverbünden unterwegs. Ob jetzt die Neue Musik in einer Identitätskrise steckt, da könnten wir auch mal ein gutes Tischgespräch führen – ich bin der Meinung: Ja. Denn das, was wir von Stockhausen gelernt haben, sind nicht mehr notwendigerweise die dringenden Fragen oder Antworten unserer Zeit. Wir sind gesellschaftlich in einer Kultur, wo sich die Fragen geändert haben und das in allem Bewusstsein für die Tradition.

Interview: Andreas Kolb

 

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