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Napster tauscht und wer soll das bezahlen?

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Das Gefühl für den Wert der Musik geht in modernen Internetzeiten weitgehend verloren
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Die US-Richterin Marilyn Patel hatte sich im medienwirksamsten Prozess des Jahres von den Argumenten des Hauptklägers RIAA überzeugen lassen. Napster konnte keine hinreichenden Gründe für einen möglichen Prozessgewinn anführen – dass eine Unterscheidung von Copyright-geschützten und freien Songs technisch per se nicht machbar sei, hätte sich die Betreiberfirma vorher überlegen sollen. Da die RIAA nach Meinung Patels den Prozess mit hoher Wahrscheinlichkeit gewinnen wird, und Napster keine wesentlichen nicht-illegalen Funktionen erfülle, unterzeichnete die Richterin eine einstweilige Verfügung über die Abschaltung der Server bis zur endgültigen Verhandlung im September.

Der populäre Tauschclient Napster sorgte in den letzten Wochen, um mit Thomas Bernhard zu sprechen, gelinde gesagt für eine Erregung. Deren Wellen setzen sich nach der Aufhebung einer einstweiligen Verfügung heftiger fort als je zuvor – denn das Kätzchen lässt das Tauschen nicht.Die US-Richterin Marilyn Patel hatte sich im medienwirksamsten Prozess des Jahres von den Argumenten des Hauptklägers RIAA überzeugen lassen. Napster konnte keine hinreichenden Gründe für einen möglichen Prozessgewinn anführen – dass eine Unterscheidung von Copyright-geschützten und freien Songs technisch per se nicht machbar sei, hätte sich die Betreiberfirma vorher überlegen sollen. Da die RIAA nach Meinung Patels den Prozess mit hoher Wahrscheinlichkeit gewinnen wird, und Napster keine wesentlichen nicht-illegalen Funktionen erfülle, unterzeichnete die Richterin eine einstweilige Verfügung über die Abschaltung der Server bis zur endgültigen Verhandlung im September.Verließen die Anwälte der RIAA den Saal lachend, während Napster-User auf der ganzen Welt versuchten, sich in den verbleibenden fünf Jahren ihr Stück vom Tauschkuchen abzuschneiden, so zeigte sich am Freitag vor der endgültigen Abschaltung ein umgekehrtes Bild. Irgendwie war es Shawn Fenning und Co. gelungen, einen Berufungsrichter davon zu überzeugen, dass eine Abschaltung seiner Firma einen irreparablen Schaden zufügen würde. Jubel dort, Wut und Trauer da – einmal mehr stellt die New Economy das klassische Wirtschaftsrecht vor eine harte Prüfung.

Mittlerweile sorgen Einschüchterungsversuche von Seiten der Industrie selbst in Deutschland für Erheiterung und bestenfalls Schulterzucken. In einer blitzartigen Aktion hatten Rechtsanwälte der deutschen IFPI sofort nach Patels Entscheidung mehreren Websites, die Downloads des Napster-Clients anbieten, nahegelegt, die Software zu entfernen – widrigenfalls drohe eine Anzeige. Dass eine US-amerikanische einstweilige Verfügung aber selbst im Zeitalter der Globalisierung noch lange kein gültiges deutsches Recht schafft, und der Brief zudem sehr unprofessionell formuliert war, veranlasste mehrere der betroffenen Seiten, darunter Mpex.net, allenfalls zu hämischen Kommentaren. Der Einsatz des juristischen Holzhammers war und ist im DVD-Bereich kein Hindernis für die Verbreitung des umstrittenen Anti-Kopierschutz-Tools De-CSS, die Sperrung einzelner Client-Downloads wird Napster genauso wenig anhaben können.

Sprach der Scheich: Zahlen wir nicht, geh’n wir gleich

Napster habe nachhaltig dafür gesorgt, dass den Musikrezipienten, zumal den jüngeren, die mit solchen Technologien aufwachsen, überhaupt jedes Gefühl für den Wert von Musik verloren geht, so der Tenor vieler Vertreter der Musikindustrie. Allerdings werden die Befürchtungen um Arbeitsplatzverlust und überhaupt apokalyptische Visionen rund um das Versiegen des musikalischen Nachschubs langsam immer haltloser. So sind herbeigeredete Verdienstentgänge, die sich durch Zahlen nicht belegen lassen, kaum ein taugliches Mittel, um Unrechtsbewusstsein zu erzeugen – genauso wenig, wie seit Jahren zum ersten Mal wieder gestiegene CD-Verkaufszahlen in den USA im ersten Quartal 2000.

Dazu ein kleines Gedankenexperiment: Wäre Napster die Erfindung eines zynisch-genialen Plattenfirmenbosses und Shawn Fenning wie Tommy Hilfiger eine Kunstfigur, könnte betreffende Person in wenigen Jahren auf den gelungensten Marketing-Coup der Internetgeschichte zurückblicken. Aber das eigentliche Problem ist: Die Plattenindustrie hat Napster nicht erfunden, weil sie zu beschäftigt damit war, nicht funktionierende Kopierschutzsysteme für Audio-CDs zu entwickeln und in sichere Formate zu investieren, die bislang keines ihrer Versprechen wie einfache Distribution, unproblematischer Umgang und vor allem Marktakzeptanz einlösen konnten. Genau deshalb sitzt die Plattenindustrie nun vor einem Scherbenhaufen, dennoch möchten die verbleibenden vier Majors ihre Quasi-Monopolstellung mit allen Mitteln beibehalten. Doch der Gegenwind wird immer rauer: etliche US-Bundesstaaten haben die RIAA vor einigen Wochen wegen künstlicher Hochhaltung der CD-Preise verklagt.

„Embrace the Internet“ – dieser gutgemeinte Ratschlag erging immer wieder an Plattenfirmen. Dass „embrace“ aber nicht „control“ bedeutet, sondern einen konstruktiven Dialog erfordert, scheint beiden Seiten bislang nicht klar zu sein.

Sprach der Emir: Zahlen wir und geh’n wir

Wenige Tage vor dem Erlass der einstweiligen Verfügung unterzeichnete Napster ein Abkommen über zukünftige Forschungszusammenarbeit mit Liquid Audio. Hummer Winblad, eine amerikanische Investment-Firma, die „zufällig“ auch wesentlich an Liquid Audio beteiligt ist, hatte Napster mit einer Finanzspritze von 15 Millionen Dollar ausgeholfen. Dass der Reiz des Programms wohl unbestritten hauptsächlich im Zugang zu kommerzieller, Copyright-geschützter Musik liegt, wird wohl niemand ernsthaft bezweifeln. Allerdings wäre nichts falscher, als daraus zu schließen, dass die Gratis-Benutzung die conditio sine qua non zum Erfolg des Netzwerks darstellt – allerdings müsste die Plattenindustrie endlich damit aufhören, den Konsumenten ihre Tracks in umständlichen Formaten anzudrehen, und – verglichen mit der CD – noch dazu zu höheren Kosten. Napster ist durchaus nicht im Begriff, eine Industrie zu ruinieren, sondern setzt ganz einfach neue Rahmenbedingungen, an denen in Zukunft niemand mehr vorbeikommen wird.

Tatsächlich sehen sich ganz bestimmte Sektoren konkret bedroht: Das klassische Eintagsfliegen-Album mit zwei verwertbaren Hits und zehn Fillern wird natürlich eher im Regal stehen bleiben, weil die zwei interessanten Songs sowieso „genapstert“ werden können. Im Lichte dieser Entwicklung dürfte es der Musikindustrie zunehmend schwerer fallen, ihren Standpunkt mit kulturellen Notwendigkeiten zu argumentieren. Den typischen Napster-User gibt es sowieso nicht: denn die Palette des Nutzerverhaltens reicht vom Gelegenheitsdownloader über den Probehörer, der bei Gefallen im Anschluss an den Download das Album erwirbt, bis zum Sammler und Jäger, der vielleicht mehrere Gigabytes an Musik auf der heimischen Festplatte gebunkert hat und sowieso keine CDs kauft, ob mit oder ohne MP3. Genau das macht die wirtschaftliche Pro- und Contra-Argumentation sehr schwierig.

Schlussendlich wird das Urteil im September zwar, wie immer es ausfallen mag, für gehörigen Rummel sorgen. Was es sicher in keinem Fall herbeiführen wird, ist eine für die RIAA zufriedenstellende Lösung. Selbst falls Napster abgedreht werden sollte, was momentan durchaus wahrscheinlich ist, dann gibt es immer noch Konkurrenzsysteme wie Gnutella oder Freenet, die User-Tracking nahezu verunmöglichen. Für die Musikindustrie muss das Internet wohl wie eine vielköpfige Hydra wachsen, und für jeden Etappensieg tauchen am Horizont fünf neue Konkurrenten auf, die ein für alle Mal der gesamten Branche den Geldhahn abzudrehen drohen.

Da wäre es doch an der Zeit, ernsthaft über Alternativen nachzudenken – etwa eine monatliche Abo-Gebühr für Napster. Die so erzielten Einnahmen würden über einen bestimmten Schlüssel an die beteiligten Künstler je nach Zahl der Downloads rückverteilt, außerdem könnte man gezielt Promos freigeben, die auch ohne Bezahlung von Gebühren zugänglich bleiben. Somit wären alle glücklich – die Musiker und die Konsumenten. Fehlt da noch wer? Vielleicht ist das der Grund für die ganze Aufregung ... Aber keine Angst, so ganz ohne Promotion und Selektion geht’s mit Sicherheit nicht – die Frage ist nur, ob dieser Kuchen in Zukunft anders verteilt wird.

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