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Netzwerke für selten gehörte Musik

Untertitel
Das Kölner Label Sonig im Rahmen des „Under Construction“-Festivals in Frankfurt am Main
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Zweieinhalb Minuten elektronische Musik. Es quiekt, zischelt und schnauft an allen Ecken und Enden. Eigentlich schunkelt das Instrumental ganz gemütlich dahin, wie eine virtuelle Spielzeug-Lok. Das Frequenzspektrum jedoch ist enorm, von den Sub-Bässen bis in die Tinitus-Bereiche. Und das fordert Aufmerksamkeit. Ebenso der Titel: „transformation 19 mal einfach hergestellter komplizierter musik in einmal kompliziert hergestellte einfache musik”. Dieses Remix-Experiment der Kölner Musiker FX Randomiz und Jan Werner entstand im Verlauf eines Jahres durch mehrfaches elektronisches Hin- und Herschicken der Sounds und ihrer Bearbeitungen. Es erschien unter dem Projektnamen Dü vor drei Jahren auf der Zusammenstellung „comp.” des Kölner Labels Sonig. Aufgrund seiner Entstehung, seiner Kurzweil, und nicht zuletzt wegen des kantig einleuchtenden Titels nutzte man es seinerzeit gern als Öse, um sich in die große Welt einer kleinen Firma wie dieser samt ihres musikalischen Anspruchs einzuklinken. Jetzt ist die Folge-Sammlung „.ilation” erschienen.

Vernetzungen spielen in dieser Welt eine zentrale Rolle, sowohl musikalisch wie organisatorisch. In einer Selbstbeschreibung auf http://www.sonig.com heißt es: „Sonig zielt auf konzeptuelle und differenzierende Strategien, die ein kreatives Ventil wie auch ein zugängliches Diskussionsforum über neue Verhältnisse zur Musik zur Verfügung stellen.“ Im Gespräch formuliert Jan Werner es so: „Wir finden Verzweigungen gut. Man kann immer wieder neue Türchen aufmachen. Zum Beispiel zu Labels, die einige der Künstler auf Sonig wie die Brüsseler Scratch Pet Land selbst betreiben. Andere, wie der Kölner Gitarrist Joseph Suchy, verteilen ihre Musik sowieso gern bei verschiedenen kleinen Plattenfirmen. Dieses Verwachsene ist für uns interessant.“ Sonig, von Jan Werner, Andi Thoma und Frank Dommert gegründet, verwächst nun ins sechste Jahr. Werner und Thoma zählen vor allem als Mouse On Mars zu den weltweit respektierten Musiker in dem Bereich, der nach wie vor „Avantgarde“ genannt wird – in den unendlichen Räumen und Nischen der vornehmlich elektronischen Club- und Kompositionsmusik. Dommert ist ein langjähriger Produzent, Labelmacher und Organisator in der Kölner Szene der freien, experimentellen Musik: Netzwerke und Verwachsungen allerorten. Die Adresse „Kleiner Griechenmarkt 28-30“ ist nicht nur die von Sonig, sondern eben auch die von Georg Odjiks a-Musik-Plattenladen und -Label sowie die des renommierten Normal Mailorders.

Aufgrund solcher Zusammenschlüsse – und mit der Historie im Rücken, speziell Herbert Eimerts Studio für elektronische Musik im WDR der 50-er Jahre – gilt die Domstadt als eine Kernzelle neuer elektronischer Musik. Und die Fäden werden weiter gespannt. Der Kölner Autor und Musikjournalist Olaf Karnik, der ebendort zusammen mit Frank Dommert 2001 die Musikvortragsreihe mit dem schönen Titel „selten gehörte musik“ ins Leben rief, sorgt zur Zeit in Frankfurt am Main für abenteuerliche Abende. Seit Januar bis in den Mai hinein finden im TAT an der Bockenheimer Warte zehn Termine mit Konzerten und Vorträgen statt. Den Titel hat Karnik gemeinsam mit dem zweiten Kuratoren, dem Frankfurter Musiker Ekkehard Ehlers, geschickt gewählt: „Under Construction“. Das ist natürlich der gewünschte Dauerzustand, in dem sich die zeitgenössische elektronische Musik mit aller Muße weiterentwickeln soll. Gleichzeitig ist es ein Verweis auf die unerschütterliche Liebe der Macher zur modernen Pomusik, „Under Construction“ ist auch der Titel des aktuellen Missy Elliott-Albums. Es geht hier einfach um Musik „jenseits starrer Genre-Konventionen und festgelegter Formate“, wie es schon im Einleitungstext des Programmheftes heißt.

Und weil die Idee der autarken Netzwerke die Dinge wie ein Motor vorantreibt, präsentierte der Eröffnungsabend auch musikalisch Kollaboration, „Duette“, oder, im Sinne improvisierter Musik, „Zwiegespräche“. Ein Abend fest in Kölner Hand im übrigen – mit Thomas Lehn & Markus Schmickler sowie Joseph Suchy & Felix Randomiz aus dem Sonig-Umfeld. Die kreierten in einem steten Fluß von Suchys Gitarrenspiel in Randomiz’ Laptop und zurück ein frei schillerndes musikalisches Gebilde, in dem die Quellen der Klänge rasch ihre Eindeutigkeit verloren.

Diese Prinzip der permanenten Bewegung, der unaufhörlichen Veränderung entgegen dem in dieser Szene häufig übermächtigen Primat der puren Repetition, ist in der Musik, die über Sonig oder im Umfeld des Labels veröffentlicht wird, grundsätzlich zu erkennen. Jene neue Labelschau „.ilation“ veranschaulicht geradezu beispielhaft die dadurch fortschreitenden Verästelungen – mit neuen Bands und Projekten, als wunderbares Panoptikum detailverliebter Musik ohne Grenzen. Ob im Anarchofunk „Little Bug Eyed Boy“ von Wevie De Crepon aus Brighton, in den Kinderspielzeug-Soundzerschnipselungen von Scratch Pet Land oder in Schlammpeitzigers Träumereien im digitalen Schlick: Überall ist „Musik, die angehört werden will“ (Werner). Und Dü sind ebenfalls wieder dabei, mit ihrer Aufnahme „Live in Innsbruck #2“ endet „.ilation“.

Anhören kann man Musik aus dem Sonig-Umfeld live auch weiterhin bei der „Under Construction”-Reihe in Frankfurt. Im März treten beispielsweise Schlammpeitziger (5.3.) und der Scratch Pet Land Ableger namens Fan Club Orchestra (19.3.) auf. Und Frank Dommert ist, ebenfalls am 19.3., für einen Musikvortrag gebucht.

• „Under Construction”: das komplette Programm unter http://www.dastat.de
• „.ilation” (Sonig/ Zomba), als CD und Doppel-LP im Handel.

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