Sex, Drugs and Rock’n’Roll war vorgestern. Computer ist cool – und tatsächlich gibt es auch schon die ersten Anzeichen, dass sich die Festplatte in Zukunft als Musikarchiv durchsetzen wird – anstatt langer Regale voller Platten und exklusiv designten CD-Türmen im Wohnzimmer. MTS Inc, die Muttergesellschaft von Tower Records, ging Anfang Februar Bankrott und sucht nach Investitionspartnern. Schuld an den schlechten Geschäften sollen wieder mal die Tauschbörsen sein. Und dass, obwohl mittlerweile mehr als eine Handvoll Studien belegen, dass Kazaa, Gnutella und Co. maximal für einen Bruchteil der Einnahmeverluste verantwortlich sind.
Seit dem Erfolg des frühen Napster schenken die Medien der Online-Musik mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit wie Britney Spears. P2P war der Rockstar der Musikszene, bis die Industrie der Webpiraterie ein 99-Cent-Angebot nach dem anderen entgegenstellte. Doch die bisherigen online-Musik-Vertriebe können hinsichtlich Qualität, Kundenfreundlichkeit und Preis-Leistungs-Verhältnis von niemandem als besonders gelungen bezeichnet werden.
„Wie kann Online-Musik in den Zeiten von eBay auch einheitlich 99 Cent kosten“, fragt John Buckmann, Geschäftsführer und Gründer des Musik-Labels Magnatune (www.magnatune.com) in der US-Zeitung „USA Today“ – und stellt mit Magnatune ein revolutionäres Gegenmodell vor. Buckmann hat mit Magnatune, das zwar seit Mai 2003 im Geschäft ist, aber erst kürzlich mehr und mehr Aufmerksamkeit bekommt, das seiner Meinung nach erste reine Internet-Musik-Label gegründet. Dabei findet man auf Magnatune keinen einzigen Künstler, der auch bei Tower Records, WOM oder Virgin im Regal steht, sondern rund 100 ausgesuchte Bands, Ensembles, Orchester und Solomusiker mit 193 Alben und 2.559 Songs aus den Bereichen Klassik, Jazz und Blues, Worldmusic, Ambient, Electronica, New Age, Metal und Punk, sowie Pop und Rock. „Etwa fünf von 200 eingereichten Anfragen nehme ich auf“, erklärt John Buckmann.
Werden die Künstler von Buckmann akzeptiert, wird ein befristeter Vertrag abgeschlossen. Buckmann verpflichtet sich, die eingereichten Musikstücke auf seiner Website in hoher Qualität und dem vom Künstler gewählten Format zugänglich zu machen und zu verkaufen, diese zu bewerben sowie für kommerzielle Zwecke (Messen, Werbung, andere Websites) anzubieten. Der Künstler erhält jeweils 50 Prozent des Erlöses. Wobei Musik für kommerzielle Zwecke für 150 bis 5.000 Dollar verkauft wird, Alben für einen Preis zwischen fünf und 18 Dollar. Der genaue Preis wird vom Käufer festgelegt.
Interessant ist, dass der bezahlte Durchschnittspreis bei 8,93 Dollar liegt. „Jeder nahm an, dass wir pro Album nur das Minimum von fünf Dollar erhalten würden“, erinnert sich Buckmann, der sich immer mehr in dem Erfolgskonzept von Magnatune bestätigt sieht. Warum? „Niemand will die Musiker selbst bestehlen. Die Leute sind nur nicht mehr bereit, die Industrie, die RIAA, das ganze Drumherum zu bezahlen“, erklärt er.
Magnatune arbeitet deshalb auch nicht mit der RIAA (Recording Industry Association of America) zusammen. Alle Titel sind über Creative Commons (www.creativecommons. org) als „Attribution-NonCommercial-ShareAlike“ lizenziert. Im Klartext bedeutet dies, dass jedes Album, jedes Werk auf den Internet-Radiostationen von Magnatune umsonst und vollständig angehört werden kann, bezahlte und heruntergeladene Musik darf im nichtkommerziellen Rahmen überall abgespielt werden. Remixe, Samples und Cover-Versionen sind nicht nur erlaubt, sondern erwünscht. „Wenn du eine geniale neue Version aus einem unserer Stücke gemacht hast, dann wollen wir davon wissen, damit wir es gegebenenfalls promoten können“, schreibt Buckmann auf seiner Website. Natürlich steht es den Musikern auch frei, sich neben Magnatune noch nach weiteren Veröffentlichungsmöglichkeiten umzusehen.
Magnatunes Slogan ist „We are not evil”. Buckmann besteht darauf, das Online-Label nicht zum Eigennutz gegründet zu haben – abgesehen davon, dass er selbst vom Online-Musik-Angebot und der Plattenindustrie frustriert war. Auslöser waren letztendlich die Erfahrungen, die seine Frau machen musste, nachdem sie in einem Independent-Label unter Vertrag genommen wurde. „Dabei war das Label nicht eines von den Bösen, sie wollten ihr 70 Prozent des Erlöses geben, machten aber null Gewinn“, sagt Buckmann. „Vertriebe wollten die Platte nicht aufnehmen, bevor nicht Tausende für Werbung ausgegeben wurden, bei jedem Schritt wurde dem Label ein Strich durch die Rechnung gemacht.“
Genau diese teuren Zwischenstationen will Buckmann mit Magnatune umgehen. Zwar müssen die Musiker selbst für Aufnahme und Produktion vorlegen, bekommen jedoch mit Magnatune Unterstützung im Vertrieb und die Möglichkeit, ihre Musik einem globalen Publikum auf hoher Qualität zugänglich zu machen. Buckmanns Argument ist, dass unbekannte Bands ohnehin wenig Geld mit dem eigentlichen Verkauf der CD machen, sondern durch Konzerte und den Verkauf von Merchandise verdienen. Durch Vertrieb und Promotion über Magnatune ist das Risiko eines totalen Flops ausgeschlossen. „Sobald der Verkauf von Downloads zu höheren Einnahmen führt, sollte Magnatune für die Künstler mehr abwerfen als eine traditionelle Plattenfirma“, hofft Buckmann.
Derzeit entschließt sich etwa einer von 50 Besuchern der Website letztlich zum Kauf. „Ich habe weitaus weniger erwartet“, zeigt sich Buckmann zufrieden. „Schließlich kannst du eine Menge gratis anhören.“ Die durchschnittliche Verweildauer liegt bei 4,5 Stunden. Kein Wunder, die Radiostationen sind werbefrei und der Hörer kann je nach seiner Genre-Vorliebe oder persönlichen Stimmung wählen. Buckmann setzt also mit Recht auf Mund-zu-Mund-Propaganda, tut aber auch seinen Teil, dass die Idee von Magnatune sich im Internet wie ein Lauffeuer verbreitet. Dazu kommt schlicht: Seine Argumente sind einleuchtend. „Die meisten Radiostationen sind langweilig, interessante Musik wird selten bis gar nicht gespielt“, sagt Buckmann. „CDs sind immer noch teuer, wobei die Musiker selbst maximal 20 Cents daran verdienen. Nicht viel größer sind die Einnahmen aus online-Verkäufen. Dazu kommt, dass online-Musik oft in schlechter Qualität angeboten wird und Gratis- Musik mit Anzeigen finanziert wird, alles in allem kein angenehmes Hörerlebnis.“ Buckmanns Theorie für die schlechte Hörqualität online ist: „Sie wollen dir später dasselbe nochmal in besserer Qualität anbieten, damit du’s wieder kaufst. Der Musikindustrie ging es in den letzten zehn Jahren außerordentlich gut, denn sie verkauften den Leuten, die vorher LPs hatten, mit großem Erfolg dasselbe nochmal auf CD“, erklärte er gegenüber dem Deutschlandfunk. „Jetzt geht in der Industrie die Angst um, dass es nach der CD nichts mehr gibt, dass man kein neues Format mehr so erfolgreich vermarkten kann.“ Vermutlich ist diese Angst nicht unbegründet. Denn wenn Buckmann Recht behält, dann wird es die Musikindustrie in der heutigen Form tatsächlich früher oder später nicht mehr geben.