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Pop in der Zeitschleife: So viel dröhnender Stillstand war nie

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Keine Revolution mit der Gitarre – Rock- und Popmusik hat als Provokation längst ausgedient
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Seit einigen Jahren hängt Pop in einer Zeitschleife fest, strudelt orientierungslos rückwärtsgewandt nach vorne und bleibt dabei auf der Stelle stehen. Das stets Gleiche bemüht sich gar nicht mehr um den Anschein des Neuen. Nicht der nach vorne gewandte Trend, sondern das Vertraute bestimmt nun den Markt. Pop ist zu einer nostalgischen Veranstaltung geworden, was unter anderem die Beliebtheit sogenannter Pop-Romane erklärt, in denen die Protagonisten lang und breit ausschmücken, welche Musik bei ihrem ersten Kuss gelaufen war. Umso bedenklicher, dass dabei fast immer die Musik, selten der Kuss im Mittelpunkt steht. Pop ist in einem posthistorischen Zustand angekommen. Nicht nur sämtliche einmal ins Leben gerufenen Stile, von Soul bis Reggae, von Punk bis HipHop, existieren weiterhin nebeneinander her, sondern auch nahezu jede Band hat sich längst wiedergegründet.

Auf Konzerten der Rolling Stones, die starrsinnig genug waren, sich nie aufzulösen, sind inzwischen ganze drei Generationen im Publikum vertreten. So mancher Großvater nimmt seine Enkel mit wie einst nur Kinder in die Oper gezwungen wurden, um ihnen „noch so richtig handgespielte Musik” schmackhaft zu machen. Selbst die wilden Sex Pistols kehrten vor einigen Jahren auf die Bühne zurück und machten deutlich, welche Gefühle mit solchen Wiederbelebungen befriedigt werden: Es ging um die trügerische Rekonstruktion von Authentizität. Für dreistellige Eintrittspreise, zu Tausenden in großen Stadien eingepfercht, konnten sich die Fans dem Gefühl hingeben, dass die Musik früher doch irgendwie ehrlicher und rebellischer war. Das Radio liefert hierzu längst den Soundtrack: Wo nicht gleich die Originale von Elvis oder Bob Marley gespielt werden, gibt es „In The Ghetto“ und „I Shot The Sheriff“ in neuen, mit HipHop oder Technobeat unterlegten Versionen, die gleich mehrere Generationen bedienen. In dieser Wiederkehr von vierzig Jahren Popgeschichte drückt sich nicht zuletzt aus, dass Pop als Provokation ausgedient hat, schon lange keinen Generationskonflikt mehr auslöst.

Die Sicherheitsnadeln des Punk sind von klinisch sauberen Piercingstudios abgelöst worden, das CheGuevara-T-Shirt provoziert kein Aufeinanderprallen von Ideologien mehr, sondern ist bloß noch Ausdruck von Jugendlichkeit und Sex Appeal. Es wird deutlich, welch hohes Maß an Selbstüberschätzung im Spiel war, als gleich mehrere Generationen glaubten, mit Hilfe einer E-Gitarre die Revolution anstimmen zu können und am Ende doch nur für eine Modernisierung dieser Gesellschaft sorgten. Diese Erkenntnis bringt aber auch eine Chance mit sich. Wo Musik nicht mehr permanent nach dem Neuen Ausschau halten muss, könnte sie sich auf das besinnen, was ihr am besten ansteht: die direkte Kommunikation mit dem Publikum, den Ausdruck von Gegenwart. Das hieße aber auch, die Vergangenheit höchstens als Material, nicht als nostalgisches Rückzugsgebiet zu begreifen.

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