Hauptrubrik
Banner Full-Size

Raus aus der Oper, rein in die Clubs?

Untertitel
Die PopKomm im Jahr nach dem Dotcom-Crash
Publikationsdatum
Body

„What a difference a year makes.“ Der Vivendi Universal-Chef Jean Marie Messier sprach aus, was alle Besucher der diesjährigen PopKomm dachten: Was für ein Unterschied. Im letzten Jahr noch hatte die Internetwirtschaft rund 25 Prozent aller Stände gestellt, dieses Mal ließen sich die reinen Dotcoms an einer Hand abzählen. Zwar konnte man schon 2000 erahnen, dass nur die wenigsten der zahllosen Portale und MP3-Plattformen überleben würden. Doch mit einem solch drastischen Einschnitt hatte wohl niemand gerechnet. Fast schien es, als sei die ganze Diskussion um das Internet nur ein vorübergehender Spuk gewesen. Etwas, das ein, zwei Jahre lang allen den Kopf verdreht hatte.

„What a difference a year makes.“ Der Vivendi Universal-Chef Jean Marie Messier sprach aus, was alle Besucher der diesjährigen PopKomm dachten: Was für ein Unterschied. Im letzten Jahr noch hatte die Internetwirtschaft rund 25 Prozent aller Stände gestellt, dieses Mal ließen sich die reinen Dotcoms an einer Hand abzählen. Zwar konnte man schon 2000 erahnen, dass nur die wenigsten der zahllosen Portale und MP3-Plattformen überleben würden. Doch mit einem solch drastischen Einschnitt hatte wohl niemand gerechnet. Fast schien es, als sei die ganze Diskussion um das Internet nur ein vorübergehender Spuk gewesen. Etwas, das ein, zwei Jahre lang allen den Kopf verdreht hatte.Doch Messiers Rede machte deutlich, dass sich sehr viel mehr in diesem einen Jahr verändert hat. Noch auf der letzten PopKomm schien die Kluft zwischen Plattenfirmen und Internet-Angeboten wie Napster und MP3.com unüberbrückbar groß. Viele schüttelten den Kopf, als damals ein gut gelaunter Thomas Middelhoff an gleicher Stelle darüber sprach, was für eine tolle Sache Napster doch sei. Mittlerweile hat Bertelsmann in Napster investiert, und Messiers eigene Firma hat den ehemaligen Erzfeind MP3.com aufgekauft. Gemeinsam mit den Gegnern von ges- tern will man den Konsumenten für neue Online-Musikangebote begeis- tern. Und statt unverbindlicher Ankündigungen gab es diesmal sogar konkrete Starttermine: In vier Wochen gehe es los mit Vivendis und Sonys gemeinsamem Projekt Pressplay, so Messier.

Der Kampf der Systeme

Pressplay soll als Großhandelsplattform anderen Websites ermöglichen, die Musik der beiden Majors als Abo-Pakete unters Volk zu bringen. Bertelsmann, die EMI und AOL Time Warner basteln an einer ähnlichen Plattform unter dem Namen Musicnet. Konkurrenz ist da vorprogrammiert, zumal die beiden Angebote technisch nicht miteinander kompatibel sein werden. Die PopKomm-Macher sahen deshalb schon den „Kampf der Systeme“ gekommen und luden die Kontrahenten zum Streit auf das ebenso betitelte Panel.

Doch auch wenn sich Universal Deutschland-Chef Tim Renner mit flotten Sprüchen noch so sehr bemühte – ein richtiger Streit wollte unter den Beteiligten nicht so recht ausbrechen. Vielleicht ahnten sie, dass sich die Fronten innerhalb eines Jahres deutlich verschoben haben und der wahre Gegner im Kampf um die Zukunft der Online-Musikdistribution ein ganz anderer sein könnte. EU-Kommissar Mario Monti beispielsweise. Der hat bereits angekündigt, gegen Pressplay und Musicnet wegen des Verdachts der Wettbewerbsbehinderung zu ermitteln. Oder auch die beiden US-Politiker Christopher Canon und Rick Boucher. Mit ihrem jüngst in den US-Kongress eingebrachten „Music Online Competition Act“ könnten sie die Pläne der Industrie zum Scheitern bringen. Doch dazu fiel auf der PopKomm kein Wort.

Legal, illegal, ganz egal

Statt dessen widmete man sich lieber einigen altbekannten Feindbildern, die im Kleide neuer Statistiken wiederbelebt wurden. Knapp 13 Prozent Umsatzeinbußen haben die deutschen Plattenfirmen im ersten Halbjahr dieses Jahres zu verzeichnen. Schuld da-ran ist der Konsument, der sich seine CDs lieber brennt, als sie zu kaufen. Meint jedenfalls der Phonoverbands-Vorsitzende Thomas Stein. Mehr als 100 Millionen Rohlinge seien so illegal bespielt worden, erklärte er mahnend zur Eröffnung der Messe. Wohingegen der Geschäftsführer seines Verbandes Peter Zombik auf einem Panel der Meinung war: „Legale Kopien sind das Hauptproblem.“

Aber egal ob legal oder illegal – dem kopierenden Musikfreund hat man den Kampf angesagt. Beschränkte sich die Musikwirtschaft dabei in den letzten Jahren auf mehr oder weniger rührige Appelle wie „Copy kills music“, so soll der Konsument jetzt mit Kopierschutz-Techniken auf den Pfad der Tugend gezwungen werden. Zombik erklärte dieses Ansinnen gleich zum „zentralen Thema dieser Messe“. Noch vor Jahresende wollen zahlreiche deutsche Labels damit beginnen, ihre Veröffentlichungen mit solchen Technologien gegen das Abspielen auf und Kopieren mit PCs abzusichern. Doch bisher sind die Technologien weit entfernt davon, perfekt zu funktionieren. Wie wird zudem der Konsument reagieren, wenn er seine CDs nicht mehr unterwegs auf dem Notebook hören oder eigene Compilations brennen kann? Und wie steht die GEMA dazu, die ja schließlich die Hersteller von CD-Brennern zu einer Kopierabgabe verpflichten möchte? Fragen, die sicher für einigen Diskussionsstoff hätten sorgen können.

Schlingensief trifft Wagner

Auf der PopKomm übt man sich jedoch seit jeher eher an der ästhetischen als an der inhaltlichen Provokation, schließlich arbeitet man ja in der Unterhaltungsbranche. Immerhin da-ran hat sich auch seit dem letzten Jahr nichts verändert. Nur die Rollen muss- ten wegen des Dotcom-Niedergangs zwangsläufig umbesetzt werden: Letztes Jahr waren es die jungen Internetfirmen, denen die Rolle des Aufmüpfigen zukam. Große Stände, große Worte, kleine bis keine Bikinis für das Standpersonal. Dieses Jahr übernahm die Rolle des Geschmacks-Provokateurs ausgerechnet Universal Classics. Ein Panel diskutierte noch eher zaghaft darüber, wie sich klassische Musik „raus aus der Oper, rein in die Clubs“ bringen lässt.

Auf dem Messeparkett machte Universal dagegen schon mal ernst und zeigte auch gleich, was man in Hamburg so unter Clubs versteht: Der Stand war im Reeperbahn-Design gehalten. Inklusive Tänzerinnen und Kabinen, in denen beruhigenderweise jedoch nur Kopfhörer hingen. Dazu gab es einen Katalog, der im Softporno-Design „Substanz statt Charts-Blahblah“ versprach. Substanz, das heißt für Universal Classics: Den Popkultur-Kritiker Diedrich Diederichsen eine Schönberg-CD zusammenstellen lassen, den Berufsprovokateur Christoph Schlingensief auf Richard Wagner loslassen. Im Kontext des auf der Messe zelebrierten Rotlicht-Images wirkte dies jedoch eher unfreiwillig komisch. Immerhin wäre dies wohl für ein Klassik-Label vor einem Jahr auch noch nicht möglich gewesen: Schlingensief trifft Wagner im Puff. Was für ein Unterschied.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!