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Rückblende 2011/06

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Vor 100 und vor 50 Jahren
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Wien und Gustav Mahler – Skandal in Venedig, Uraufführung der Oper „Intolleranza 1960“ von Luigi Nono

Vor 100 Jahren

Was Wien und Gustav Mahler füreinander gewesen sind, das hat man vielleicht erst in diesen letzten Tagen empfunden, als der Sterbende in die Stadt zurückverlangte, die ihm – trotz allem! – Heimat gewesen war. Hier hat er im Zenit seiner Kraft gewirkt. Hier hat er die Seelen aufgerüttelt, hier ist er vergöttert worden und – vertrieben, wie alle Großen einmal vertrieben worden sind… Einer ganzen Stadt hat er den Stempel seiner Persönlichkeit aufgedrückt, aber eigentlich hat er eine ganze Epoche erzogen; eine Epoche, die im Kunstleben vielleicht später einmal nach ihm benannt werden wird, wie wir heute sagen: die Goethe-Zeit…

Die Stadt, die ihn vertrieben hat, klagt nun um ihn. Auch seine erbittertsten Feinde preisen nun die Reinheit, den Adel, die Rechtlichkeit seiner Natur. Wenn sie das vier Jahre früher getan hätten! Auch hier musste erst der Tod kommen und mit seinem gewaltigen Scheinwerfer diese Gestalt erleuchten, deren Größe die Nörgler nicht erkennen konnten, da er noch lebte.

Neue Musik-Zeitung, 32. Jahrgang 1911, Heft 17, Seite 350

Vor 50 Jahren

Skandal in Venedig, Uraufführung der Oper „Intolleranza 1960“ von Luigi Nono, Fritz Büchtger berichtet: Nonos Musik: großartig im Dramatischen und Lyrischen, meisterhaft als Spiegel der verwirrenden und tragischen Erlebnisse eines Emigranten. Intoleranz = Polizeigewalt, Rassenverfolgung, Folterungen, Weltanschauungskämpfe. Wilder Krawall, organisiert von Venedigs Neofaschisten, scheiterte an der geschlossenen Haltung des Publikums.

Die Reaktion des Publikums war äußerst temperamentvoll und für mitteleuropäische, etwas kühlere Verhältnisse überraschend. Mitten während der Vorstellung hielt ein durchaus gesetzter Herr im Parkett eine feurige Ansprache gegen das Stück, von einem Teil des Publikums lebhaft beklatscht, von anderen als Faschist beschimpft. Von der Loge aus erfolgte eine Gegenansprache mit Applaus des anderen Teils der Hörer. Stinkbomben flogen. Der Bühnenbildner, ein langer bärtiger junger Mann forderte die Pfeifer auf der Galerie auf, herunterzukommen und mit ihm zu raufen. Dies alles, während die Aktion auf der Bühne weiterging. Die armen Sänger wurden mit den Rufen „basta“ empfangen. Der ganze Tumult machte den Zuhörern offensichtlich einen Riesenspaß. Zum Schluss wurde die Opposition ­niedergebrüllt, Nono und Maderna (der Dirigent) auf die Schultern genommen und siegreich beklatscht.

X. Jahrgang, Nr. 3, Mai/Juni 1961, Seite 2

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