Vor 100 Jahren: Für eine Hilfsstelle für Berufsmusiker +++ Vor 50 Jahren: Die Internationalen Ferienkurse für Neue Musik und das Studio für elektronische Musik München
Vor 100 Jahren
Für eine Hilfsstelle für Berufsmusiker: Die große Zeit, die unser Vaterland jetzt erlebt, erfordert auch große Opfer. Dass die Musen zurückzutreten haben, solang der Mars das erste Wort spricht, ist eine schmerzliche, aber unabänderliche Tatsache. Die kurze Spanne Zeit, seit der der Krieg wütet, hat die deutschen Dichter auf den Plan gerufen und manch schöne Gabe ist dem Volke bereits zugeflossen. Da sollte die Musik zurückstehen? Nimmermehr! In Konzerten, die dem besonderen Zweck der Stunde gewidmet sind, werden wir erhabene Klänge, Trost und neuen Mut gewinnen. Wir wollen unsere Musik nicht vergessen, sie ist ein bedeutungsvoller seelischer Faktor, ohne sie ist das deutsche Volk gar nicht denkbar. Darum gebt auch den deutschen Musikern in dieser Zeit Gelegenheit zu verdienen. Wir dürfen hoffen, dass das Musikleben wieder langsam beginnt. Viele zu den Waffen einberufene Musiker haben Frau und Kind ohne jegliche Existenzmittel zurücklassen müssen. Und zu Hunderten und Aberhunderten zählen die größeren und kleineren Orchester Angehörige, die man plötzlich aus ihren Stellungen entließ, sei es mit einer knappen Abfindung, sei es ohne die geringste Unterstützung. Nicht weniger beklagenswert das Los derer, die Unterricht erteilen und über Nacht ihre Stunden einbüßten. Wir bitten um Spenden der ins Elend geratenen Musiker zu gedenken und den gewohnten Musikunterricht nicht aufgeben zu wollen. Aufruf-Unterzeichner: Neue Musik-Zeitung, Paul Ehlers, Richard Strauss, Paul Marsop, Münchner Tonkünstlerverein, Frankfurter Tonkünstler-Verein.
Neue Musik-Zeitung, 35. Jahrgang 1914, Heft 23, S. 445/446
Vor 50 Jahren
Die Internationalen Ferienkurse für Neue Musik und das Studio für elektronische Musik München hatten einen Kurs eingerichtet, der die theoretischen Voraussetzungen für elektronische Musik klarlegte. Zunächst konnte man sich in Darmstadt darüber instruieren, um dann im Münchner Studio mit den Geräten konfrontiert und in praktische Arbeitsvorgänge eingeführt zu werden, so die Lochstreifenprogrammierung, durch die es möglich ist, mehrere Arbeitsvorgänge wie Tonhöhen, Dauern (64), Lautstärken (32 Grade), Klangfarben (14 Filter) in einem zu bewältigen (…). Der Tonfrequenzanalysator zerlegt z.B. einen Glockenklang in seine Frequenzanteile und deren Lautstärken. Es stehen 20 Generatoren zur Verfügung, dazu Rausch- und Sägezahngeneratoren, mit deren Hilfe es möglich ist, Tonhöhe, Lautstärke, Einschwing- und Ausschwingzeit sowie ungradzahlige Obertöne zu steuern. Neben dem Frequenzmesser fand das Oszilloskop große Beachtung, eine Art Fernsehgerät, auf dessen Mattscheibe die Schwingungskurve des jeweils erzeugten Generatorenklanges sichtbar wurde. Man besitzt auch ein Hallgitter und einen Frequenzumsetzer, der ohne jegliche Veränderung der Geschwindigkeit arbeitet. Der Vocoder, ursprünglich ein Sprachanalysator, kann z.B. den Artikulations-Extrakt eines Männerchores einem Bläserchoral überstülpen. Man konnte zwar noch wenig von den Überlegungen aufzeigen, die der Komponist elektronischer Musikwerke anzustellen hat. Doch mit dem Hineinhören in diese Klangwelt wurde das Verständnis geweckt und das Ohr geschärft, was man an vorgeführten Bändern mit elektronischer Musik von Kotonski, Ligeti, Pousseur, Kagel, Riedl, Stockhausen und Berio sowie an Filmen mit elektronischer Musik von Riedl erfahren konnte. (N. Linke)
„Musikalische Jugend“, XIII. Jahrgang 1964-5 (September/Oktober), S. 2