+++ Vor 100 Jahren: Die Überwindung Wagners +++ Vor 50 Jahren: Abbruch oder Kontakte +++
Vor 100 Jahren
Die Überwindung Wagners
Wagner hat in gewissem Sinn die Musik verdorben. Heutzutage braucht man wegen dieses Aphorismus wohl nicht zum Märtyrer zu werden. Gewiß hat erst das Wagner-Epigonentum in klarem Lichte das Pathologische im Schaffen des Meisters gezeigt; es ist ein Charakteristikum dekadenter Epochen, daß sie von Anormalen gereizt werden und schließlich in der Nachahmung äußerer Manier und Form erstarren. Vielleicht ist Richard Strauss’ Alpensymphonie der Schlußstein einer solchen Entwicklung nach unten. Wagner war kein Priester der Kunst, sondern ein Prediger seiner Persönlichkeit durch die Kunst. […] Stellt man sich auf diesen ganz grob skizzierten Standpunkt, um einmal der musikalischen Hauptrichtung unserer Tage ohne Scheu näherzutreten, dann wird sich von selbst darüber hinaus die Frage erheben, ob sich neben dem Ausklingen einer dekadenten Epoche bereits die Symptome einer Neuentwicklung bemerkbar machen. […] In solchem Zusammenhang wird mancher den Namen Regers erwarten. In der Tat zeigen die letzten Werke Regers eine gewisse Abkehr zu etwas für ihn völlig Neuen. […] Die Regersche Harmonik und Modulation mit ihrer wissenschaftlichen Basis Riemannscher Autorität bietet Ansatzpunkte für feinste Analyse. Ein Vergleich der beiden Partnerpaare Wagner-Brahms und Strauss-Reger erbrächte auch für die Abschätzung der verschiedensten Strömungen gegeneinander ergiebigstes Material.
Dr. Heinrich Roese, Neue Musik-Zeitung, 39. Jg., Nr. 23, 5. September 1918
Vor 50 Jahren:
Abbruch oder Kontakte
Es war in Warschau vier Wochen nach den tragischen Ereignissen in der CSSR: Der Münchner TSV 1860 trug ein Freundschaftsspiel mit Legia Warschau aus. Der Fußballsport blieb von der allgemeinen politischen Lage unberührt. Musikalische Parallele hierzu: Anläßlich des „Warschauer Herbstes“ und zum gleichzeitigen Festival der IGNM rückten die westlichen Vorstände der IGNM von ihren musikalischen Gastgebern im Osten ab. […] Echo in Deutschland: „Boykott an unrechter Stelle und in falscher Richtung…“ […] Das Drama „Musik und Ostpolitik“ ging inzwischen weiter […]: Haupt-Akteur sind diesmal die Jeunesses musicales. Die Musikalische Jugend Deutschlands hatte mit ausdrücklicher Befürwortung des Auswärtigen Amts bereits vor einem Jahr einen deutsch-polnischen Austausch in Gang gebracht, der als erstes Ergebnis eine Tournee des Warschauer JM-Orchesters „Pro Musica“ vorsah. Die Tournee sollte Ende Oktober beginnen. Wenige Wochen vor diesem Termin lehnte Bonn die zugesagte Unterstützung ab und ließ wissen, daß die Einladung an das polnische Orchester rückgängig gemacht werden solle. […] Der schwarze Peter war der deutschen Musikalischen Jugend zugeschoben worden. Sie mußte das Risiko aller entstandenen Schwierigkeiten tragen, noch dazu den Anschein erwecken, daß sie – entgegen den Satzungen der Jeunesses musicales – in ein politisches Kielwasser geschoben worden sei. […] Es erscheint geradezu grotesk, daß ausgerechnet die Musiker – als Vertreter kultureller Bindungen – in politische „Sanktionen“ hineingezwungen werden, deren Durchführung anderen echten „Kräften“ unmöglich oder unlieb ist.
MJ, Musikalische Jugend XVII. Jg., Nr. 5, Dezember 1968/Januar 1969