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Schnell, unbürokratisch und effizient

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Deutschlands erste Privatakademie für Pianisten wird in Stuttgart eröffnet
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Fischer – verleiht nicht nur Flügel: Zur Eröffnung von Deutschlands erster Privatakademie für pianistische Ausbildung, die pünktlich zur Jahrtausendwende im Januar an den Start geht, verteilt der Stuttgarter Klaviervertrieb, Initiator des ehrgeizigen Projektes, kleine gläserne Schmuckschatullen in einschlägig aufklappbarer Form – Aufbewahrungsort für Hochkarätiges, willkommen im Glashaus? Noch gibt es keine Absolventen, mit denen das Unternehmen sich schmücken oder messen lassen könnte, doch was zunächst verdächtig nach Elfenbeinturm aussieht, existiert in anderen europä-ischen Ländern schon längst. Renommiertestes Beispiel ist wahrscheinlich die Academia Pianistica in Imola, Italiens wohl begehrteste Kaderschmiede, die den Ruf hat, eine der besten Ausbildungsstätten in Europa zu sein und mittlerweile auf international erfolgreiche Absolventen wie Roberto Cominati oder Gianluca Cascioli verweisen kann. Mit wechselndem Unterricht bei vier festen Dozenten und regelmäßig stattfindenden prominent besetzten Meisterkursen mit Pianisten wie Rudolf Buchbinder oder Andrei Gavrilov ist Stuttgart vom rein instrumental-didaktischen Prinzip her ähnlich wie das italienische Vorbild konzipiert, mit erwartungsgemäß rund 20 bis 30 Studenten und Examina nach jedem Trimester aber etwas überschaubarer, noch straffer organisiert und auch erheblich teurer als das von Kommune, Region und Privatsponsoren großzügig unterstützte Imola. Das Stuttgarter Konzept ermöglicht darüber hinaus mit ergänzenden Literatur-, Kunst- und Philosophieseminaren ein „ganzheitlich ausgerichtetes Studium“, legt Wert auf eine breite Ausbildung, die Unterricht in Körpersprache und Rhetorik ebenso umfasst wie Kammermusik- und Liedkurse. Ein epochales Grundverständnis soll hier vermittelt werden, das eine stilsichere Interpretation aus geistes- und kulturgeschichtlichem Kontext fördert. „Wir machen Musiker zu Interpreten“, erklärt der künstlerische Leiter Konrad Richter, Professor und ehemaliger Rektor der Stuttgarter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, der „engen Kontakt mit Universitäten des Landes“ gewährleistet – vor allem mit der Stuttgarter Hochschule, deren Einrichtungen wie Bibliothek und Konzertsaal die Akademie mitbenutzen darf. „Privat, persönlich, individuell“ lautet die Maxime – ein exklusives Konzept, das regelmäßige Konzertauftritte, für herausragend Begabte „Konzerte in verschiedenen Konzertsälen Europas“ mit einschließt. In üppig ausgestatteten Überäumen werden die Studenten auf mehreren Fabrikaten unterrichtet, ausgedehnte Bildungsreisen ergänzen das illustre Angebot. So interessant und pädagogisch wertvoll das alles sein mag – verbessert es denn letztendlich auch die Chancen im harten Wettbewerb? Doch auch darauf hat die Akademie eine Antwort parat. Mit „nach den aktuellen Erfordernissen des Musikmarktes ausgerichteten Studienfächern“ wird dem Elfenbeinturm eine klare Absage erteilt: Manager, Veranstalter und Juristen sollen in Kompaktseminaren wie Marketing und Promotion, Urheber- und Verwertungsrecht den Pianisten-Nachwuchs auf eine internationale Karriere vorbereiten, ihn fit machen für Vertragsverhandlungen und die kommerzielle Auswertung der eigenen Leistung. „Wer die Fischer Musikakademie verlässt, ist nicht nur ein Top-Interpret, sondern sein eigener Unternehmer, der in der multimedialen Zukunft von Tonträgern auch die Auswertung seiner Kunst selbst vorantreiben kann“, verspricht Initiator und „Förderer“ Dieter Fischer. Denn: „Auch ernste Musik ist heute Business“. Dass die „Gesellschaft für pianistische Ausbildung“ ein gewinnorientiertes Unternehmen ist, macht sich auch in der Präsentation immer wieder bemerkbar. Worte wie „leistungsorientiert“ oder „ständige Qualitäts-Kontrolle“ dominieren die umfangreiche Hochglanzbroschüre, die Stuttgart als „zukunftsfähigen Wirtschaftsstandort“ vorstellt – Mercedes wird hier bewusst neben John Cranko plaziert. „Schnell, unbürokratisch, effizient“ – unkonventionelle, kompakte Konzepte sind heute notwendig, um die angehenden Pianisten für den Markt der Zukunft zu rüsten. Examina nach allen Studieneinheiten und ein straff organisierter Stundenplan, der die Studienzeit auf neun Trimester begrenzt, „garantieren eine individuelle und effiziente Entwicklung“ – die Übezeit ist per Chipkarte kontrollierbar. Studieneinheiten und Examina der Akademie sind nach dem internationalen Credit-Point-System ausgerichtet, das einen weltweiten Austausch mit führenden Musikhochschulen ermöglichen soll; auch die Studiengebühren entsprechen durchaus dem internationalen Standart, sind aber mit 6.400 Euro pro Trimester (!) für deutsche Verhältnisse vergleichsweise hoch angesetzt; das Kuratorium der Akademie will darum in Einzelfällen Stipendien ausloben und versuchen, Sponsoren und Privatinvestoren für die Finanzierung zu gewinnen. Allgemeine Unterrichtssprache ist Englisch, locker wird schon im Vorfeld mit Begriffen wie Campus-Garantie und Credit-Points jongliert. Die zweisprachige, nobel bebilderte Broschüre macht richtiggehend Lust, „Europa – die Wiege der Klaviermusik“ vor Ort zu erkunden – und vielleicht ist die aufmerksame Studentin, die das pädagogische Konzept darin so nett veranschaulicht, nicht unbedingt zufällig asiatischer Herkunft. „Unsere Studenten kommen aus allen Ländern der Welt und bilden eine kulturübergreifende Gemeinschaft“, erklärt Konrad Richter, und Dieter Fischer ergänzt: „Vorgespräche haben ergeben, dass besonders die USA und Asien ein Reservoir sind für unsere Zielgruppe.“ Ob sich das ehrgeizige Privatunternehmen, das im Januar 2000 mit einer Mindestzahl von 20 Studenten an den Start geht, im mit fünf Musikhochschulen und hochkarätigen Klavierprofessoren ohnehin gut bestückten Baden-Württemberg durchsetzen kann, bleibt abzuwarten. Dass eine pianistische Eliteausbildung im Hinblick auf ein immer härteres Klassik-Geschäft zunehmend unter Legitimationsdruck gerät, ist die andere Seite. Dieter Fischer jedenfalls ist sicher, dass es der Akademie mit ihrem ebenso kompakten wie umfassenden Konzept gelingt, ihre Absolventen „für den Markt fit zu machen“. Aber für welchen Markt eigentlich?

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