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Streifzüge durchs Kulturkaufhaus

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Jahresendzeitliche-Geschenk-Tipps der nmz-Redaktion 2018
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Roger Willemsen: Musik! Über ein Lebensgefühl +++ Wachgeküsst – 20 Jahre neue Kulturpolitik des Bundes +++ Maik Brüggemeyer: I’ve been looking for Frieden. Eine deutsche Geschichte in zehn Songs +++ Georg Seeßlen: Is This The End – Pop zwischen Befreiung und Unterdrückung. +++ Leonard Bernstein. Ein New Yorker in Wien, hrsg. v. Werner Hanak und Adina Seeger im Auftrag des Jüdischen Museums Wien. +++ The Art Ensemble of Chicago and associated Ensembles, 18 Alben auf 21 CDs, 300-seitiges Beiheft +++ Konstantin Wecker: Das ganze schrecklich schöne Leben. Die Biographie +++ Jahrbuch 2017/18 Hochschule für Musik Freiburg +++ Musik. Ein Streifzug durch 12 Jahrhunderte, hrsg. v. Tobias Bleek/Ulrich Mosch

Roger Willemsen: Musik! Über ein Lebensgefühl, S. Fischer 2018, 512 Seiten, ISBN 978-3-103973-83-9, € 24,00

2016 hat die bundesdeutsche Kulturszene mit Roger Willemsen einen ihrer klügsten Köpfe verloren. Der Buchautor und Moderator war überdies ein leidenschaftlicher Musikhörer und -kenner und hatte zwei Jahre lang seine eigene Musiksendung unter dem Titel „Willemsens Musikszene“ im ZDF, im NDR liefen 279 Folgen seiner 15-minütigen Radiosendung „Willemsen legt auf“. Die Texte dieses Bandes versammeln überdies seine Kolumnen in der ZEIT und demonstrieren eindrücklich, mit welcher Leidenschaft und doch großem Sachverstand sich Willemsen in allen Bereichen der Musik, von Bach bis Melody Gardot, zeit seines Lebens bewegte. Ein Buch, das fesselt und (wieder) große Lust auf’s Musikhören macht.
Ursula Gaisa

Wachgeküsst – 20 Jahre neue Kulturpolitik des Bundes, hrsg. v. Olaf Zimmermann, Deutscher Kulturrat 2018, 490 Seiten, ISBN 978-3-947308-10-1, € 22,80

Keine „Dornröschen-Paraphrase“ – oder vielleicht doch? Jahrzehntelang galt angeblich zum Schutz bundesländlicher Identitätswahrung das sogenannte Kooperationsverbot (und gilt teils noch heute): Der Bund hatte sich aus kulturellen und bildungspolitischen Belangen weitgehend herauszuhalten. Die teils spannende, teils groteske Entwicklung einer „deutschen Kulturpolitik“ ohne Leithammel-Denken dokumentiert die soeben erschienene Statement-Sammlung in teils sehr kundigen, sachlichen, teils etwas eitlen Darstellungen etlicher Akteure. Lesenswert!
Theo Geißler

Maik Brüggemeyer: I’ve been looking for Frieden. Eine deutsche Geschichte in zehn Songs, 288 Seiten, Penguin Verlag 2018, ISBN 978-3328102-86-1, € 10,00

Das Buch erzählt anhand von beispielhaften Liedern und Songs die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nach und stellt immer wieder Zusammenhänge zwischen musikalischen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen her. Ton, Steine, Scherben mit „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ und die Nach-68er-Bewegung, Nenas „99 Luftballons“ und Friedensmärsche oder David Haselhoff, der zu Silvester 1989 vor dem Brandenburger Tor mit „I’ve been looking for freedom“ die neu erworbene deutsch-deutsche Freiheit besang, sind nur einige Beispiele. Eine lesenswerte und gut lesbare, teils vergnügliche, immer spannende Tour durch etwa 70 Jahre (Musik-)geschichte!
Barbara Haack

Georg Seeßlen: Is This The End – Pop zwischen Befreiung und Unterdrückung. Edition Tiamat 2018, 224 Seiten, ISBN 978-3-893202-28-7, € 16,00

Ist es vorbei mit der Pop-revolte? Georg Seeßlen sieht in seinem Essay-Pamphlet Satz für Satz Probleme – wo in der Tat wirklich welche sind. Die Musik kann ja schließlich nicht besser sein, als die Gesellschaft es zulässt. Im Gegenteil: Immer mehr Pop landet im Bereich der Gegenaufklärung und übernimmt Positionen, die einmal der kritischen Revolte zugeordnet waren. „Von der politischen Fraktion des Rechtspopulismus übernehmen rechte Pop-Acts nicht nur die Taktik des Sagens und Doch-nicht-gesagt-Habens und die Selbststilisierung als Opfer übler Nachrede und böswilliger Verleumdungen, sondern auch das Feindbild von Elite und Establishment“, schreibt Seeßlen zum Beispiel (S. 175). Damit werden Korridore des Aufbegehrens okkupiert. Wie kann man da noch Position beziehen? Blablabla wird es eher nicht richten. Der Textrausch von Seeßlen dagegen legt zumindest die Finger in die Wunden.
Martin Hufner

Leonard Bernstein. Ein New Yorker in Wien, hrsg. v. Werner Hanak und Adina Seeger im Auftrag des Jüdischen Museums Wien. 176 Seiten, Wolke Verlag 2018, ISBN 978-3-955930-92-9, € 24,80

Zum Jubeljahr ist dies ein lohnender Seitenblick auf jene Stadt, die Bernstein im Laufe seines Lebens mehr und mehr zu einer zweiten Heimat wurde. Die schönen Fotos und seltenen Dokumente erhellen ebenso wie die intelligenten Essays seine besondere Beziehung zur Stadt, zu den Wiener Philharmonikern und zur braunen Vergangenheit, mit der Bernstein immer wieder konfrontiert wurde. Als Geschenk gehört freilich auch gleich das Zugticket nach Wien unter den Gabentisch, schließlich handelt es sich um das Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung, die noch bis 28. April 2019 im Jüdischen Museum Wien zu sehen ist!
Juan Martin Koch

The Art Ensemble of Chicago and associated Ensembles, 18 Alben auf 21 CDs, 300-seitiges Beiheft
ECM Records, € 89,99

2019 kann die einflussreiche Avantgardeformation Art Ensemble of Chicago (AEC) auf eine 50-jährige Geschichte zurückblicken. Die Kultur Afrikas wiederzuentdecken, sie als gleichrangig gegenüber anderen Kulturen zu begreifen, war eines der Hauptanliegen des amerikanischen Ensembles. Ebenfalls 1969 startete Manfred Eicher sein Label Edition of Contemporary Music (ECM) und wollte – tief beeindruckt von der Klangkultur, der rhythmischen Raffinesse, der einmaligen Improvisationskunst sowie den afro-performativen Elementen – als Produzenten-Eleve sofort mit diesen jungen Musikern aus Chicago zusammenarbeiten. „Nice Guys“ hieß die erste Platte des Ensembles bei ECM Records und viele sollten folgen. In der vorliegenden Edition sind alle Alben des AEC und der mit ihm verbundenen Ensembles in einer Edition mit 18 Alben auf 21 CDs zusammengefasst. Achtung: limitierte Auflage!
Andreas Kolb

Konstantin Wecker: Das ganze schrecklich schöne Leben. Die Biographie, Gütersloher Verlagshaus, 480 Seiten, ISBN 978-3-579086-44-6, € 24,99

Die einen sagen, er wäre ein Nörgler und sturer Alt-68er, die anderen verehren ihn als aufrechten Künstler: Konstantin Wecker. Seine Biografie „Das ganze schrecklich schöne Leben“ gibt Aufklärung und erleichtert die Positionierung. Im Gegensatz zu Weckers anderen autobiographischen Büchern ermöglicht dieses auch einen Blick von außen auf den vielseitigen Poeten und Sänger. Einerseits übernahm sein Wegbegleiter und Freund, der Autor Günter Bauch (Alter Ego des „daschlagenen Willy“), einen Großteil der zahlreichen Kapitel. Der Journalist Roland Rottenfußer bereichert andererseits mit seinem profunden Wissen zu Weckers Werk stilsicher und kenntnisreich die Biografie. Das Dreigestirn der Autoren ermöglicht so verschiedene Sichtweisen auf ein aufregendes und charakterfestes Künstlerleben. Mit Abgründen und Schwächen, die nicht zerstören, sondern stärken.
Barbara Lieberwirth

Jahrbuch 2017/18 Hochschule für Musik Freiburg, hrsg. v. Ludwig Holtmeier, Redaktion: Hans-Joachim Schmolski. Freiburg 2018, 264 Seiten, www.mh-freiburg.de

Wie ein „Sprung ins kalte Wasser“ dünkt einem Hochschul-Absolventen nach künstlerischer Abschlussprüfung seine Entlassung in die raue Praxis des öffentlichen Musiklebens, auf das die Musikhochschule ihn vorbereitet. Den Notentext der Kammerkomposition „Thawing“ (übersetzt „Sprung ins kalte Wasser“) für 5 Saiteninstrumente von der mongolischen Studentin Song Yang hierin abgedruckt zu finden, hat sicherlich symbolische  Bedeutung: weltweit kommunizierend, stilistisch ungebunden. Intensive Nachwuchsförderung? Dafür steht ihr eigenes Career Centre, berufsrelevanten Themen verpflichtet.  Ausgerechnet einer unserer kleineren Musikhochschulen gelang es, zur Erfüllung ihres Ausbildungsauftrages ein fundamental verändertes Konzept durchzusetzen, das hier auf über 250 Seiten sichtbar und verständlich aufbereitet ist. Ein anregender Hochschul-Almanach, deshalb lesenswert.
Eckart Rohlfs

Musik. Ein Streifzug durch 12 Jahrhunderte, hrsg. v. Tobias Bleek/Ulrich Mosch, Bärenreiter/Henschel 2018, 397 Seiten, ISBN 978-3-761822-33-3, € 34,95

Musique spectrale – Die Sex Pistols – Wolfgang Rihm – Die Neue Deutsche Welle, so geht es nacheinander Schlag auf Schlag, Doppelseite für Doppelseite: Geboten wird ein farbenreiches Mosaik all der Stile und Gattungen, Personen und Schlüsselwerke, Erfindungen und kulturgeschichtlichen Einflussgrößen, denen wir uns heute lustvoll und neugierig so umfänglich aussetzen können. Die Schwelle ist niedrig gesetzt für einen Eintritt in die vielen pointiert dargestellten Themen, die in chronologischer Reihung – sonst aber unverbunden – nebeneinander stehen und damit umso deutlicher die Vielfalt der Musikkultur durch die Jahrhunderte spürbar machen. Ein schön bebildertes Nachschlagewerk und ein kurzweiliger Schmöker zugleich, mit dem man schnell Kenntnislücken aufspüren und eine gute erste Orientierung erlangen kann.
Michael Wackerbauer

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