Hauptrubrik
Banner Full-Size

Tanzende Schlangen, wiegende Palmen in der alten Scheune

Untertitel
Die „Musikfeste auf dem Lande“ sind beim Schleswig-Holstein Musik Festival zum Kultprogramm geworden
Publikationsdatum
Body
„Die Sopranistin Dorothee Jansen hören Sie auch im Hauptprogramm des Festivals“, verkündete Patricia Moreno, vom Medienpartner NDR abgesandte Moderatorin, den Zuhörern in der Scheune von Emkendorf beim ersten „Musikfest auf dem Lande“ 1997. „Von welchem Hauptprogramm spricht die?“, bemerkt eine ältere Dame zu ihrem Begleiter. Recht hat sie. Trotz der vielen Höhepunkte, die das Schleswig-Holstein Musik Festival in Konzertsälen und Kirchen zu bieten hat, trotz Medienspektakel um große Namen: Für den eingefleischten Festival-Fan sind die „Musikfeste auf dem Lande“ das eigentliche Hauptprogramm, die Attraktion, eben das Besondere dieses Festivals im hohen Norden. „Musik in Scheunen, Reithallen, Gutshäusern und Gärten“: Das ist die wirkliche Botschaft des Schleswig-Holstein Musik Festivals. Hier bei den Musikfesten spürt man die besondere Atmosphäre dieses Festivals, hier sind die Unstimmigkeiten, Finanzlöcher und Quälereien der vergangenen Jahre vergessen, hier merkt man, warum das Schleswig-Holstein Musik Festival auch im elften Jahr noch so beliebt ist. Jung und alt mischen sich genauso wie Familien und Singles. Mit Picknickkorb, Campingstuhl und Decken bewaffnet belagern die Besucher meist schon Stunden vor Beginn die Rasenflächen vor der Musik-Scheune. Wer nicht entsprechend ausgerüstet ist aber über genügend Kleingeld verfügt, kann in einem der Sponsorenzelte Platz nehmen und sich edlen kulinarischen Genüssen hingeben. Eine weit hörbare Trompetenfanfare beendet die Mahlzeit und ruft zum Beginn eines Konzertblockes. Jeweils eine Stunde Musik wechselt sich mit einer ebenso langen Pause ab. Der letzte Block des Programms bleibt der leichteren Muse vorbehalten, was dem mittlerweile leicht gestiegenen Alkoholpegel der Besucher sicher entgegenkommt. „Laß es doch ruhig knattern“ ruft ein Zuhörer, nachdem Nebojsa Jovan Zivkovic sich gerade entschuldigt hatte, daß sein Marimba auf dem Transport etwas gelitten habe und jedes Pedaltreten mit Geräuschen verbunden sei. Die vornehmlich jungen Künstler, die bei den „Musikfesten auf dem Lande“ auftreten, stehen häufig bereits auf dem Sprungbrett zu einer großen Karriere. Obwohl nur mit einem „Appel und Ei“ vergütet, kommen sie gern zu den Musikfesten. „Es macht einfach unheimlich Spaß, hier zu spielen“, erzählt Cellist Jens Peter Maintz, immerhin bereits Preisträger im ARD Musikwettbewerb. Entsprechend hoch ist das Niveau der Konzerte. Starallüren hingegen müssen die Künstler zu Hause lassen. Hier bei den Musikfesten sind sie für jedermann greifbar, eben Künstler zum Anfassen. Immer wieder erstaunt ist man, welch gute Akustik in einer umgewandelten Scheune herrscht. Wohl auch gezwungenermaßen, denn die Ohren sind das Sinnesorgan, mit dem am meisten Stimmung eingefangen wird; die Musik ebenso wie andächtige Stille, aber auch das Piepsen kleiner Vögel im Gebälk oder die zarten Versuche einiger Babies, auf sich aufmerksam zu machen. Freie Sicht auf die Bühne kann man hingegen häufig nicht erwarten. Die aufwendige Balkenkonstruktion der Scheune macht deutlich, daß dieser Raum ursprünglich anderen Zwecken diente, manchmal sogar noch dient. Sicher, der Experte, der seinen Blick herumschweifen läßt, wird sich unweigerlich die Frage stellen, wie Festivalgründer und Multifunktionalist Justus Frantz es geschafft haben mag, den erforderlichen Antrag auf Raumnutzungsänderung bei den Behörden durchzuboxen. Naja, dem Justus hat halt damals keiner „nein“ sagen können. „Von wiegenden Palmen und tanzenden Schlangen“, heißt diesmal das Motto der Kindermusikwerkstatt, die an jedem Musikfest-Wochenende für die vielen Kinder eingerichtet wird, die sich in der Scheune langweilen oder selbst aktiv werden wollen. Nur ein paar Meter neben der Scheune steht diese mobile Musikschule, ein Zelt, ausgerüstet mit Orff-Instrumenten und anderen Rhythmikmaterialien. Barbara Stiller und Christiane Thiele, beide Diplom-Musikpädagoginnen, erarbeiten mit den Kindern Lieder, Tänze und Klanggeschichten. „Gelegentlich kommen sogar die Musiker aus der Scheune zu einem Mitmach-Besuch zu uns“, erzählt Barbara Stiller. Doch am liebsten rasseln die Kinder mit ihren selbstgebauten Instrumenten um die Wette. Langsam wird aus der wilden Meute eine Kamel-Karawane. Und zum Abschluß, heimliches Highlight eines jeden Musikfestes, halten die kleinen Künstler Einzug in die Scheune. „In der Wüste brennt der Sand, wie in keinem anderen Land - Summgalligalli!“, schallt es aus gut 40 Mündern, die ein klangvolles Oasenfest auf die Bühne zaubern. Auf den Brettern, die die Welt bedeuten, können die jungen Haremsdamen und die kleinen Scheichs endlich zeigen, was sie in den vergangenen Stunden alles gelernt haben. Überraschung für Publikum und die Pädagoginnen: Weil Kinder schöne Erlebnisse nicht vergessen und viele schon im vergangenen Jahr dabei waren, möchten sie auch gleich noch das Gespensterlied „Schua, Schua“, im letzten Festival-Sommer einstudiert, darbieten. Musikfestivals sind in den vergangenen Jahren überall aus dem Boden geschossen. Mittlerweile zählt man rund 160 Festivals im deutschsprachigen Raum. Von Festival-Boom ist bereits die Rede. Doch nur die Festivals, die, musikalisch gesprochen, eine eigene Note, wirtschaftlich ausgedrückt, ein eigenes Markenzeichen entwickeln, werden dem Konkurrenzdruck standhalten. Franz Willnauer, noch Direktor des Schleswig-Holstein Musik Festivals, braucht sich um sein Festival wenig Sorgen zu machen, wenn er weiter an der Königsidee festhält: Musik in Scheunen, Reithallen, Gutshäusern und Gärten.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!