Die Einspielprobe von Antonín Dvořáks Streicherserenade ist kurz unterbrochen, da geht Toningenieur Wolfgang Rein auf die Bühne des Hans-Rosbaud-Studios und klebt Zettelchen auf die Mikrofonständer. „Sonderangebot?“, fragt Michael Dinnebier am Konzertmeisterpult unter dem Lachen seiner Kolleginnen und Kollegen. Einigen ist beim allerletzten Konzert in diesem Studio zwar eher zum Weinen zumute, aber Galgenhumor hilft bei ausweglosen Situationen. Verkaufen wird Wolfgang Rein die Mikrofonständer aber nicht. Für die letzte, von Musikredakteurin Lydia Jeschke betreute Produktion im Hans-Rosbaud-Studio, hat er die Mikrofone nummeriert. Sie gehören zu den wenigen Dingen, die von diesem Haus, in der nach dem Zweiten Weltkrieg Musikgeschichte geschrieben wurde, übrigbleiben werden.
Traumzimmer am Galgen – Abschied von Hans-Rosbaud-Studio
Die Entscheidung des Südwestrundfunks, das Grundstück westlich der Hans-Bredow-Straße zur Finanzierung seines rund 63,5 Millionen Euro teuren, neuen Medienzentrums auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu verkaufen und damit auch den Abriss dieses bedeutenden Studios in Kauf zu nehmen, ist zehn Jahre alt. Ein merkwürdiger Umgang mit der eigenen Geschichte. Das im Jahr 1950 in nur sechs Monaten für 500.000 D-Mark gebaute Studio 5, wie es bei seiner Eröffnung hieß, war das erste fertiggestellte Gebäude des Südwestfunks auf der sogenannten Funkhöhe am Fremersberg. Zuvor waren Orchester und Redaktion des 1946 gegründeten Senders im Kurhaus und in Hotels untergebracht. Von diesem Studio aus wurde der Name der Stadt in die Welt geschickt. Unter seinem akribisch arbeitenden Chefdirigenten Hans Rosbaud widmete sich das SWF-Orchester vor allem neuester Musik. Komponisten wie Igor Strawinsky, Paul Hindemith und Benjamin Britten, international renommierte Dirigenten wie Leopold Stokowski und Sir John Barbirolli gaben sich in Baden-Baden die Klinke in die Hand. Mit dem Umzug des Orchesters nach Freiburg im Jahr 1996 wurde es ruhiger im Hans-Rosbaud-Studio, aber für Kammermusik blieb es erste Wahl. Größere Veranstaltungen wurden schon länger aus Brandschutzgründen nicht mehr genehmigt. Um das Gebäude zu erhalten, hätte der Sender kräftig investieren müssen. Denkmalschutz bestand nicht.
„… weil die Musik als so unentbehrlich für das Dasein angesehen wurde …“
Wie gut der Saal klingt, hört man bei diesem Abschiedsfest mit rund 80 geladenen Gästen – fast alle ehemalige Kolleginnen und Kollegen – in jedem Moment. Die Bläser bei Wolfgang Amadeus Mozarts „Gran Partita“ tönen sprechend und direkt, die Streicher transparent und trotzdem warm. Im Gespräch mit Holger Schröter-Seebeck erzählt der frühere Stimmführer der zweiten Geigen Willy Lehmann (Jahrgang 1932) von stressigem, pultweisem Vorspielen unter dem strengen Hans Rosbaud. Andreas Gryphius’ Gedicht „Es ist alles eitel“, vorgetragen von Antje Keil, fasst die Vergänglichkeit in Worte. In seiner Laudatio auf das Hans-Rosbaud-Studio bei diesem „Trauertreff“ erinnert der frühere SWR-Musikredakteur Rainer Peters an den eiligen Bau des Gebäudes, „weil die Musik als so unentbehrlich für das Dasein angesehen wurde.“ Und an kulturbegeisterte Intendanten wie Willibald Hilf (1977-1993), der immer wieder zum Orgelspielen ins Studio kam und den Kulturkanal ARTE mitbegründete. „Dass die zuständige Denkmalschutzbehörde dem Gebäude gerade wegen der Maßnahmen, die seine akustischen Qualitäten und seinen Daseinszweck noch verbesserten und veredelten, den Schutz versagt, ist eine Pervertierung ihrer Satzung“, so Peters in seiner heftig beklatschten Rede.
„… unser aller Traumzimmer …“
Für Detlef Heusinger, früherer Leiter des SWR-Experimentalstudios und aktueller Geschäftsführer des Labels Neos, für das am Vortag im Saal noch ein Werk des italienischen Komponisten Simone Santi Gubini aufgenommen wurde, war das Studio „unser aller Traumzimmer. Ein Mediencenter kann ein Aufnahmestudio nicht ersetzen, sondern stellt eher einen Paradigmenwechsel dar.“ Der Dirigent, Arrangeur und Pianist Klaus Simon war zwischen 2011 und 2023 regelmäßiger Gast im Hans-Rosbaud-Studio und hat dort in Zusammenarbeit mit dem SWR und Deutschlandfunk Kultur Opern von Claude Vivier, Luke Bedford und Gustav Holst, aber auch unter anderem das gesamte Liedwerk von Erwin Schulhoff aufgenommen. „Etwas zu zerstören, ist einfach. Etwas zu erhalten, braucht kluge und verantwortungsvolle Entscheidungsträger. Dieser Abriss ist wirklich eine Schande“, sagt Klaus Simon.
Vor allem Wehmut empfindet die Geigerin Uta Terjung, die das Abschiedsfest mitorganisiert hat. Sie möchte an diesem Abend „das große Glück mitnehmen und die Töne speichern.“ Und dem Abschied ein würdiges Ende geben. „Wir wissen, welchen Reichtum wir hier erfahren haben!“
Auch Toningenieur Wolfgang Rein will an diesem letzten Abend das Haus, das ihm musikalische Heimat war, nicht im Groll verlassen. „Feiern hilft. Es tut gut, sich der gemeinsamen Vergangenheit zu vergewissern.“ Dass man solch einen historischen Raum mit seiner vortrefflichen Akustik im kommenden Jahr abreißen wird – dafür fehlt ihm dennoch jedes Verständnis. Nun gehen die Lichter aus in diesem Studio, dem der Sender in seiner Geschichte so viel Strahlkraft verdankt.
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